Redewendungen und guter Stil


  • Könnte man so sehen, ja. Und würde mich auch zufrieden stellen – wenn ich es glauben würde. Damit habe ich aber noch meine Probleme. Vermutlich wäre es mir auch so gegangen, wie Christoph, und ich hätte im Lesefluss darüber hinweggelesen, wenn es nicht am Anfang stehen würde. Da lese ich überaufmerksam, weil ich möglichst früh wissen will, ob es sich für mich lohnt, das Buch zu Ende zu lesen. So viel Lesezeit habe ich ja nicht mehr, das ich mir jeden Schmöker antun muss. So bin ich hängen geblieben, habe das Original herangezogen um zu erfahren, ob der Autor dies schon angelegt hatte, konnte das dort nicht finden und dachte, es ist eine gute Gelegenheit, über so etwas einmal zu diskutieren. Das es eine schlechte Übersetzung ist, wollte ich gar nicht dokumentieren, dazu fehlt mir auch die Kompetenz. Andere können das ja viel besser (s.o.). Damit sind wir wieder bei deiner Interpretation, die mich nicht endgültig überzeugt. Das Auftauchen der Wildkatze lenkt m.E. geradezu vom Abendhimmel ab (im Original wie in der Übersetzung). Sie holt die erzählende Person aus dieser visuellen Betrachtung der Umgebung heraus und fixiert sie auf die Katze, also auf ein Objekt, das sich über die Straße bewegt und sie auch noch zwingt, anzuhalten. Man könnte diese Redewendung nun deuten als den Bruch in der Betrachtung der Erzählerin, als die plötzliche Hinwendung auf die Realität. Möglicherweise haben sich die Übersetzerinnen es sich auch so gedacht. Damit wäre dann meine Eingangsfrage auch (für mich) ausreichend beantwortet. ja, kann man so machen. Andererseits gefällt es mir immer noch nicht, was aber nichts anderes heißt, als: Würde ich nicht so machen. (Hervorhebung von mir)


    Finde ich im Gegenteil: Das Bild vom spukhaft-gespenstischen Himmel verstärkt sogar noch den spukhaft-gespenstischen Auftritt der Wildkatze; die Erzählerin ist jetzt ganz Auge und der Leser kann sich seinen eigenen spukhaft-gespenstischen Assoziationen aus Horrorfilmen etc. hingeben. Gemessen an dieser Wirkung ist das doch eine gute Übersetzung.

    ASIN/ISBN: 395494104X


    "schönheit ist das versprechen, daß das werden kann, was wir uns wünschen." (Ronald M. Schernikau: Die Tage in L.)

    Einmal editiert, zuletzt von Jürgen ()

  • Ich mag abgelutschte Redewendungen generell nicht, am wenigsten in literarischen Texten, es sei denn in Dialogen. In die Erzählstimme gehören sie mAn nur, wenn es sich um einen Ich-Erzähler handelt. Im vorliegenden Fall mag ich sie trotzdem nicht, schlicht, weil sie keine Entsprechung im Originaltext hat.
    Habe diesen Satz heute mit meinem Englischtrainer (Nativspeaker) diskutiert. Er meinte, die Übersetzung wäre ungenau, was ich übrigens genauso sehe. ;) (Hervorhebung von mir)


    Der Redewendungen-Duden listet 10000 Redewendungen auf ("abgelutscht" müssen sie sein, sonst wären sie keine) - wie sollte man sich eine Kommunikation vorstellen ohne sie? Zumal sie Ausdruck eines Lern- und Rationalisierungsprozesses sind, der dazu führt, dass ich den bildhaft-sinnlichen Ausdruck "ablutschen" von der sinnlich-konkreten Situation des zungenhaften Ablutschens abstrahieren und auf die neue Situation der Benutzung von Redewendungen anwenden kann ")" .
    Aber davon ab. Wenn Redewendung für den Ich-Erzähler erlaubt seien, müsste dies konsequenterweise auch für personale Erzähler gelten, oder?


  • Aber davon ab. Wenn Redewendung für den Ich-Erzähler erlaubt seien, müsste dies konsequenterweise auch für personale Erzähler gelten, oder?


    Nicht alles, was erlaubt ist, ist in jeder Situation gut. Das ist der Kern meines Ausgangspostings. War ich am Anfang noch unsicher, bin ich inzwischen aber ziemlich fest in der Meinung, dass es in diesem Fall nicht die beste Wahl war, an dieser bestimmten Stelle zu dieser Redewendung zu greifen.

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    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann



  • Finde ich im Gegenteil: Das Bild vom spukhaft-gespenstischen Himmel verstärkt sogar noch den spukhaft-gespenstischen Auftritt der Wildkatze; die Erzählerin ist jetzt ganz Auge und der Leser kann sich seinen eigenen spukhaft-gespenstischen Assoziationen aus Horrorfilmen etc. hingeben. Gemessen an dieser Wirkung ist das doch eine gute Übersetzung.


    Nur dass es in diesem Text nicht um eine Horrorszene geht. Du versuchst diese Übersetzungsentscheidung positiv herbeizudeuten auf "Teufel kom raus". :evil

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  • Ich sagte ja, im Dialog gerne, da dienen sie der Profilierung der Figur, in der Erzählstimme nur, wenn es sich um einen Ich-Erzähler handelt. Aus demselben Grund. Schon in der 3. Person sehe ich sie kritisch, geschweige denn auktorial. Mag sein, eine persönliche Abneigung.
    Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch um eine Übersetzung. Es gibt eine nahezu unüberschaubare Menge an Redewendungen im Englischen, im zitierten Eröffnungsatz findet sich jedoch keine davon. Daher finde ich sie deplatziert.


    ... I saw a wild cat pick its way across the road, means: Ich sah eine Wildkatze, die ihren Weg über die Straße wählte. Nicht mehr und nicht weniger.

  • ... I saw a wild cat pick its way across the road, means: Ich sah eine Wildkatze, die ihren Weg über die Straße wählte. Nicht mehr und nicht weniger.


    naja, wählen wird dem nicht ganz gerecht, finde ich (aber in jedem Fall noch besser als "lief"):
    http://www.collinsdictionary.c…h-thesaurus/pick-your-way


    Bist Du sicher, es ist keine Redewendung? Nur aus Neugier.


    Ich finde nach wie vor diese Übersetzung trifft weder Kernaussage noch Stimmung des Originals. Wobei eine Bekannte von mir Übersetzerin ist, sie hatte mal eine Phase in der sie sehr gerne literarische Texte übersetzt hätte aufgrund der schlechten Bezahlung dann jedoch davon abgesehen.

  • Zitat

    Bist Du sicher, es ist keine Redewendung? Nur aus Neugier.

    Ich habe mich oben leider schlecht ausgedrückt, bezog mich bloß auf die zur Diskussion gestellte Phrase: fiel mir ins Auge.
    To pick its way
    könnte man im weitesten Sinn als solche bezeichnen. Und natürlich gibt es mehrere Interpretationen dafür.


    Edit: ... sah (erblickte) ich eine Wildkatze, die ihren Weg über die Straße nahm, wäre eine davon. :)

  • ... sah (erblickte) ich eine Wildkatze, die ihren Weg über die Straße nahm, wäre eine davon.


    oder auch: die sich ihren Weg (über die Straße) suchte.


    Okay, sorry Horst-Dieter, es ging nicht um den Preis der besten Übersetzung in dem Thread und dafür sind andere auch besser geeignet als ich ;).


    Nachdem Du zu dem Schluss gekommen bist, dass Du die Redewendung unpassend findest - wirst Du das Buch weiterlesen, im Anbetracht der begrenzten Lesezeit? (auch nur aus Neugier)


    Grüße,


    Heidrun


  • Nachdem Du zu dem Schluss gekommen bist, dass Du die Redewendung unpassend findest - wirst Du das Buch weiterlesen, im Anbetracht der begrenzten Lesezeit? (auch nur aus Neugier)


    Heidrun


    Doch, ich lese weiter. Das Buch ist vorläufig noch interessant. Solange ich nur ein oder zweimal über solche Unebenheiten stolpere, ist es nicht so schlimm. Interessant ist, dass der Autor sich ein altes Foto genommen hat, daraus die Protagonistin schnitzte und den Roman so aufbaute, als handle es sich um eine lebende Person. Es sind auch noch andere alte Fotos eingefügt in die Romanhandlung. Ob das Interesse durchhält und ob aus dieser Startidee etwas gutes herausgekommen ist, kann ich allerdings noch nicht sagen.

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  • Ah, das klingt tatsächlich interessant - wie ist denn der englische Titel & Autor?
    :)


    Wenn Du unter die Zitate schaust, da hast Du dann schon alles. Für Dich aber noch mal speziell der Link
    [buch]1408867974[/buch]

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  • Nur dass es in diesem Text nicht um eine Horrorszene geht. Du versuchst diese Übersetzungsentscheidung positiv herbeizudeuten auf "Teufel kom raus". :evil


    Ich mache nur nicht das voreilige Übersetzer-Bashing mit. Das sind unsere Kollegen!