Redewendungen und guter Stil

  • Es gibt Redewendungen, die nicht wörtlich genommen werden dürfen, insbesondere auch, weil jeder weiß, was damit gemeint ist. Oder zumindest die meisten wissen es. Die Frage ist aber, ob solche Redewendungen in einen literarischen Text übernommen werden können oder ob das den Stil beeinträchtigt. Nicht in einem Dialog - da ist sowieso viel möglich, weil es auch der Charakterisierung der sprechenden Person dient - sondern in einem beschreibenden/erzählenden Text.


    Hierzu ein Beispiel, bei dem eine Redewendung (ins Auge fallen) bei einer Übersetzung genutzt wird:



    Was meint ihr?

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    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • 1. Person - JA!


    In der dritte Person klingt es vielleicht etwas seltsam - als ihm eine Katze ins Auge fiel ... AUA.


    Aber da es so eine geläufige Formulierung ist, wird die ja wohl keiner wörtlich nehmen, oder?


  • Aber da es so eine geläufige Formulierung ist, wird die ja wohl keiner wörtlich nehmen, oder?


    Nein, natürlich nicht. Aber ich fand es in diesem Zusammenhang doch etwas komisch, fühlte mich dann verunsichert und dachte, es ist eine gute Gelegenheit, darüber mal zu diskutieren.

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    Emanuel von Bodmann


  • Also mir ist am meisten das "spukhafte Dämmerlicht" aufgefallen - das ist echt keine geglückte Übersetzung und fängt die Stimmung der Originals nicht mal ansatzweise ein, finde ich.
    Und die Wildkatze, die ins Auge fällt, bringt mich auch eher aus dem Lesefluss (Autsch! ;)). Ich bin sicher, da könnte man bessere Worte finden und bezweifle, dass es in diesem Fall mit der Erzählstimme des Ich-Erzählers zu begründen ist, sondern tippe eher auf eine schlechte Übersetzung.


    Grüße,


    Heidrun

  • Im Original fällt ihm ja nichts ins Auge oder sonstwo hin, also würde ich mir das in der Übersetzung auch besser sparen. Hätte der Autor diese Wendung gewünscht, hätte er "a wild cat caught my eye etc." geschrieben. Hat er aber nicht, obwohl das im Englischen weniger zweideutig ist als das "fallen" in der entsprechenden deutschen Wendung. Warum also nicht: "... im gespenstischen (das trifft es besser als das "spukhaft"!)Dämmerlicht eines usw. - da sah ich eine Wildkatze, die usw." Das ist weniger irritierend und viel näher am Autor.

  • H.Dieter, willst Du nicht vielleicht als Übersetzer arbeiten? ;)
    gespenstisch ist jedenfalls schon viel, viel besser!


    Grüße,


    Heidrun

    Danke für dein Lob, Heidrun. Und ja, es gab Zeiten, in denen ich als Übersetzer gearbeitet habe - in Zweitfunktion. Das war, als ich Adjutant eines deutschen Generals bei der NATO war, der sich als Altsprachler mit dem Englischen recht schwer tat. Bei internationalen Konferenzen hab ich ihm das schwierige Zeug dann simultan übersetzt. Kein Problem, wenn man eine entprechende Weiterbildung an der Sprachenschule der Bundeswehr absolviert und drei Jahre als Austauschoffizier in den USA und eineinhalb in GB gelebt hat.
    Als der selige Harry Rowohlt noch lebte, der wohl der beste Romanübersetzer aus dem Amerikanischen war, den wir hatten, hab ich mir hin und wieder den Spaß gegönnt, seine Arbeit mit dem Original zu vergleichen. Das war ein Könner! Er hat meist das Wichtigste erreicht, etwas, das in diesem Metier ganz obenan steht: Er hat den Duktus und den Stil, ja die Erzählatmosphäre der Autoren sagenhaft feinfühlig erspürt und ist dennoch so nah wie möglich am Original geblieben.
    Das kann man von diesem Übersetzer im vorliegenden Falle nicht behaupten. Er schreibt einen stilistisch anderen Text - ein No-No für renommierte Übersetzer. Manchen von ihnen (die sind dann schön billig) bleibt aber mangels Qualifikation gar nichts anderes übrig ... :D

  • Wie beim Dialog können Redewendungen und Slang auch beim personalen Erzähler eine charakterisierende Funktion übernehmen:

    Zitat

    Sie will sich also nicht mit ihm aussprechen. Sie zieht es vor, glühende Kohlen auf sein Haupt zu sammeln. (...) Erst lässt sie ihn allein, und wenn er ihm dann raucht, wenn er fuchtig wird und ihr einmal keine feine Antwort gibt, dann spielt sie die Tante, die auf dem Sofa sitzt und übelnimmt. Nein, wenn sie ihm so kommt, dann wird auch er bockig. (...) Und alles wegen diesem (!) blöden, verdammten Rundfunk. (Lion Feuchtwanger: Exil (1939) Berlin 2008. S. 323f)


    (Frage nebenbei: WTF soll "guter Stil" sein? "Guter Stil" ist doch häufig nur hochtrabendes Geschwätz in der Form von vorvorgestern...)


  • (Frage nebenbei: WTF soll "guter Stil" sein? "Guter Stil" ist doch häufig nur hochtrabendes Geschwätz in der Form von vorvorgestern...)


    Ja, da hast du sicher Recht mit deiner Kritik. Gemeint ist vielleicht "gekonnter Stil" oder "überlegtes Schreiben". Jedenfalls sollte, wer seine schriftstellerischen Ergüsse (dazu gehören auch übersetzungen) an die Öffentlichkeit gibt, wissen, was er da tut. Wie es nicht gehen sollte, kannst du ja in diversen Selfpublisher-Veröffentlichungen sehen. Bei dem Satz, den ich hier zur Diskussion gestellt habe, bin ich mir nicht sicher. Deshalb habe ich ihn gepostet.


    Und ja, auch beim Erzähler kann natürlich die Art und Weise der Sprache eine charakterisierende Funktion übernehmen. Aber bist Du der Meinung, das trifft in diesem Fall (s.o.) zu?

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  • "Guter Stil" ist doch häufig nur hochtrabendes Geschwätz in der Form von vorvorgestern...)

    Guter Stil ist das Gegenteil von schlechtem. Man wird sich ewig streiten, was den einen vom anderen unterscheidet - und immer wieder zu unterschiedlichen Beurteilungen kommen. Aber was hat denn dieses elementare Kriterium für die Bewertung literarischer Texte mit einer zeitlichen Einordnung derselben zu tun?


  • Zitat

    Und ja, auch beim Erzähler kann natürlich die Art und Weise der Sprache eine charakterisierende Funktion übernehmen. Aber bist Du der Meinung, das trifft in diesem Fall (s.o.) zu?


    Ich finde die Übersetzung nicht schlecht. Zwar wird aus dem einfachen "saw" die Wendung "ins Auge fiel", aber dafür wird wie im Tausch aus "pick its way" ein einfacheres "lief". Wenn ich das richtig verstehe, ist "pick" eher ein vorsichtiges Gehen, Schritteabzählen, vielleicht ein Schleichen; das Vorhaben der Wildkatze, die Straße zu queren, könnte in gewisser Weise auch "ins Auge" gehen; diese Bedeutungsanspielung könnte mit dem vorigen "ins Auge fallen" schon mitausgedrückt sein, sodass ein einfaches "lief" reicht...
    Übrigens: bei Redewendungen ist es typisch, dass die Einzelbedeutungen der Worte "verblassen" und die feste Wortkombination eine neue Gesamtbedeutung erlangt; also in der Wendung "ins Auge fallen" "fällt" nichts mehr im bildlichen Sinne "ins Auge"; sie hat ihre bildliche Bedeutung abgelegt (wie auch das "ins Auge stechen") und bedeutet nur noch: sehen.


  • Übrigens: bei Redewendungen ist es typisch, dass die Einzelbedeutungen der Worte "verblassen" und die feste Wortkombination eine neue Gesamtbedeutung erlangt; also in der Wendung "ins Auge fallen" "fällt" nichts mehr im bildlichen Sinne "ins Auge"; sie hat ihre bildliche Bedeutung abgelegt (wie auch das "ins Auge stechen") und bedeutet nur noch: sehen.


    Dinge die klar sind, muss man nicht wiederholen. Ich schrieb schon als Antwort auf Ullis Frage, das ich nicht die Gefahr der wörtlichen Bedeutung sehe. Ich bin auch überzeugt, dass jeder hier im Forum weiß, was eine Redewendung ist. Um die Frage, ob es angemessen ist, Redewendungen so in den Erzähltext zu übernehmen, drückst du dich aber. Ich sehe in diesem Fall dadurch keine Charakterisierung des Erzählers. Auch das Original gibt das nicht her. Das man so etwas "im Tausch" mit einer anderen Übersetzungsphrase einbringen kann, leuchtet mir allerdings nicht ein.

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  • Dinge die klar sind, muss man nicht wiederholen. Ich schrieb schon als Antwort auf Ullis Frage, das ich nicht die Gefahr der wörtlichen Bedeutung sehe. Ich bin auch überzeugt, dass jeder hier im Forum weiß, was eine Redewendung ist. Um die Frage, ob es angemessen ist, Redewendungen so in den Erzähltext zu übernehmen, drückst du dich aber. Ich sehe in diesem Fall dadurch keine Charakterisierung des Erzählers. Auch das Original gibt das nicht her. Das man so etwas "im Tausch" mit einer anderen Übersetzungsphrase einbringen kann, leuchtet mir allerdings nicht ein. (Hervorhebung von mir)


    Der Erzähler charakterisiert sich (oder seine Person, aus deren Sicht er erzählt) wie folgt: Nebensächlichkeiten, Undramatisches etc. werden lakonisch dargestellt:

    Zitat

    I was driving back to Barrandale from Oban in the evening


    Zitat

    not 200 yards from the bridge to the island.


    Wichtiges dagegen (ich kenne das Buch nicht, aber ich vermute mal, dass das wichtig ist...) wird mit bildhaften, starken Wörtern hervorgehoben:

    Zitat

    in the haunted gloaming of a Scottish summer


    Zitat

    a wild cat pick its way across the road


    Diese Person ist also wortgewandt, kann stimmungsvoll und wahrscheinlich auch spannend erzählen. Sie ist weiblich (Männer finden an einer blöden Wildkatze nichts Erzählenswertes 8-) ), Akademikerin und über 40 Jahre alt. Haarfarbe: rot.


  • Dinge die klar sind, muss man nicht wiederholen. Ich schrieb schon als Antwort auf Ullis Frage, das ich nicht die Gefahr der wörtlichen Bedeutung sehe. Ich bin auch überzeugt, dass jeder hier im Forum weiß, was eine Redewendung ist. Um die Frage, ob es angemessen ist, Redewendungen so in den Erzähltext zu übernehmen, drückst du dich aber. Ich sehe in diesem Fall dadurch keine Charakterisierung des Erzählers. Auch das Original gibt das nicht her. Das man so etwas "im Tausch" mit einer anderen Übersetzungsphrase einbringen kann, leuchtet mir allerdings nicht ein. (Hervorhebung von mir)


    In literarischen Texten kann man mit diesen ehemals bildlichen Bedeutungen spielen. Wie oben im zititerten Text vom Boyd.


  • Dinge die klar sind, muss man nicht wiederholen. Ich schrieb schon als Antwort auf Ullis Frage, das ich nicht die Gefahr der wörtlichen Bedeutung sehe. Ich bin auch überzeugt, dass jeder hier im Forum weiß, was eine Redewendung ist. Um die Frage, ob es angemessen ist, Redewendungen so in den Erzähltext zu übernehmen, drückst du dich aber. Ich sehe in diesem Fall dadurch keine Charakterisierung des Erzählers. Auch das Original gibt das nicht her. Das man so etwas "im Tausch" mit einer anderen Übersetzungsphrase einbringen kann, leuchtet mir allerdings nicht ein. (Hervorhebung von mir)


    Indem der Übersetzer-Erzähler die Redewendung "ins Auge fallen" wählt, lenkt er (wenn die Redewenung literarisch-bildlich gelesen wird) die Assoziationen des Lesers u.a. aufs Visuelle (und auf alles, was mit "Auge" zu tun hat); damit unterstreicht (und erklärt) er die bildhafte Beschreibung des Abendhimmels und charakterisiert die erzählte Person, die doch wohl Fotografin ist. Okay?


  • Indem der Übersetzer-Erzähler die Redewendung "ins Auge fallen" wählt, lenkt er (wenn die Redewenung literarisch-bildlich gelesen wird) die Assoziationen des Lesers u.a. aufs Visuelle (und auf alles, was mit "Auge" zu tun hat); damit unterstreicht (und erklärt) er die bildhafte Beschreibung des Abendhimmels und charakterisiert die erzählte Person, die doch wohl Fotografin ist. Okay?


    Könnte man so sehen, ja. Und würde mich auch zufrieden stellen – wenn ich es glauben würde. Damit habe ich aber noch meine Probleme. Vermutlich wäre es mir auch so gegangen, wie Christoph, und ich hätte im Lesefluss darüber hinweggelesen, wenn es nicht am Anfang stehen würde. Da lese ich überaufmerksam, weil ich möglichst früh wissen will, ob es sich für mich lohnt, das Buch zu Ende zu lesen. So viel Lesezeit habe ich ja nicht mehr, das ich mir jeden Schmöker antun muss. So bin ich hängen geblieben, habe das Original herangezogen um zu erfahren, ob der Autor dies schon angelegt hatte, konnte das dort nicht finden und dachte, es ist eine gute Gelegenheit, über so etwas einmal zu diskutieren. Das es eine schlechte Übersetzung ist, wollte ich gar nicht dokumentieren, dazu fehlt mir auch die Kompetenz. Andere können das ja viel besser (s.o.). Damit sind wir wieder bei deiner Interpretation, die mich nicht endgültig überzeugt. Das Auftauchen der Wildkatze lenkt m.E. geradezu vom Abendhimmel ab (im Original wie in der Übersetzung). Sie holt die erzählende Person aus dieser visuellen Betrachtung der Umgebung heraus und fixiert sie auf die Katze, also auf ein Objekt, das sich über die Straße bewegt und sie auch noch zwingt, anzuhalten. Man könnte diese Redewendung nun deuten als den Bruch in der Betrachtung der Erzählerin, als die plötzliche Hinwendung auf die Realität. Möglicherweise haben sich die Übersetzerinnen es sich auch so gedacht. Damit wäre dann meine Eingangsfrage auch (für mich) ausreichend beantwortet. ja, kann man so machen. Andererseits gefällt es mir immer noch nicht, was aber nichts anderes heißt, als: Würde ich nicht so machen.

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    Emanuel von Bodmann


  • Ich mag abgelutschte Redewendungen generell nicht, am wenigsten in literarischen Texten, es sei denn in Dialogen. In die Erzählstimme gehören sie mAn nur, wenn es sich um einen Ich-Erzähler handelt. Im vorliegenden Fall mag ich sie trotzdem nicht, schlicht, weil sie keine Entsprechung im Originaltext hat.
    Habe diesen Satz heute mit meinem Englischtrainer (Nativspeaker) diskutiert. Er meinte, die Übersetzung wäre ungenau, was ich übrigens genauso sehe. ;)

  • Ich mag abgelutschte Redewendungen generell nicht, am wenigsten in literarischen Texten, es sei denn in Dialogen. In die Erzählstimme gehören sie mAn nur, wenn es sich um einen Ich-Erzähler handelt. Im vorliegenden Fall mag ich sie trotzdem nicht, schlicht, weil sie keine Entsprechung im Originaltext hat.
    Habe diesen Satz heute mit meinem Englischtrainer (Nativspeaker) diskutiert. Er meinte, die Übersetzung wäre ungenau, was ich übrigens genauso sehe. ;)


    Hi Teiresias,
    die Übersetzung von belletristischen Texten muss nicht "genau" sein (wie etwa bei Sachtexten), sondern sollte u.a. einen ähnlichen Assoziationsraum schaffen; dabei muss sie geradezu von einer wortwörtlichen Übersetzung abweichen.
    Viele Grüße
    Jürgen