Roger Willemsen ist tot

  • http://www.spiegel.de/kultur/g…en-ist-tot-a-1076272.html


    Ich habe Ende 2009 mal zusammen mit ihm gelesen, wenn man so will - wir waren beide Gäste von "Feels Like Home" im Hamburger "Knust", einer Benefizveranstaltung, die der "Revolverheld"-Sänger Johannes Strate ins Leben gerufen hatte. Allerdings haben wir nur Hände geschüttelt.

  • Danke für diesen Bericht, Michael!


    Hat er dich also übergossen :) Recht so. :blume
    Kannst auch jedem Romancier die gleiche Frage stellen, warum er so viele Seiten braucht, um die (fast) immer gleichen und bekannten Inhalte zu erzählen. (Ich hab deshalb auch noch keinen Roman geschrieben, weil ich immer denke, das braucht viel zu lange! :) )


    Aber im ernst: hast du das Buch schon gelesen? Ich wills noch. Aber ich schiebs noch vor mir her, weil ich genau weiß, dass der Bundestag micht aufregt, brauch ich ja nur Phoenix gucken, und weil ich genau weiß dass ich mich tierisch und noch mehr aufregen werde, R.W. seine Anekdoten aus dem Bundestag ganz sicher gut pointiert rüber bringt. Der in einem halben Jahr gesammelte "Füllstoff" wird es sein, der dann auch noch emotionalisiert. Er ist ein Meister der Rhetorik und der Erzählung.
    Warum er ein halbes Jahr braucht, den Bundestag als Fassade zu entlarven ist keine Frage. Das ahnte er, ahnen wir, wissen wir.
    Viel mehr braucht man eine solche Zeit aber um Futter, um Worte, um Aufhänger für diese Geschichten zu finden, die uns Lesern dann aufbereitet erzählt werden. Die Arbeitsweise eines jeden Autors.


    Ich hatte bei meinen Begegnungen mit ihm ebenfalls dieses Gefühl, dass er jeden im Raum tatsächlich wahrgenommen hat. Als er hier in Duisburg zur Lesung kam, sorgte er erstmal dafür, dass er uns alle sehen konnte und wir ihn. Orderte noch Stühle und sorgte dafür, dass keiner hinter eine Säule sitzen musste, machte hier und da kleine Anmerkungen. Ein Aufmerksamkeitsmagnet, er genoss alles sichtlich, aber gab auch zurück.


    Nun ja, das ist nun vorbei. Wie unsagbar schade! Ich mag Menschen "seines Schlages".

    [buch]3866855109[/buch]


    "Sinn mag die äußerste menschliche Verführung sein." - Siri Hustvedt

    Einmal editiert, zuletzt von Stefanie J. ()

  • Hallo Stefanie,


    danke für Deine Reaktion. Ich mache gerne mal den Fehler, die Ironie in meiner Anekdote und den damit zusammenhängenden Zwiespalt zu erklären. Aus Pietätsgründen wollte ich das Wort «Eitelkeit» unbedingt nur zwischen die Zeilen schreiben. Sonst hätte ich mir auch nicht die Beobachtung verkniffen, dass Eitelkeit sich materialisieren kann. Da schwingt natürlich auch eine gewisse Bewunderung mit, sonst wäre es witzlos. Einen Menschen hinter der Figur Willemsen konnte ich freilich auf die Schnelle nicht erkennen.


    Viele Grüße,
    Michael

  • Dass dein Bericht ironisch ist, erkennt man. Und obendrein hast du aufmerksam beobachtet. Ich finde, die Stimmung kommt rüber, die er so verbreitet hat.
    Aber die Frage von dir...war die tatsächlich auch ironisch gestellt?

    [buch]3866855109[/buch]


    "Sinn mag die äußerste menschliche Verführung sein." - Siri Hustvedt

  • Bei "Harenberg" (Verlag für Chroniken, Kalender u.ä.) in Dortmund (ja, bisschen Kultur haben wir auch!) gab es jahrelang die lobenswerte Sitte, prominente Autoren lesen zu lassen und hinterher im 16. Stock zum entspannten Plaudern einzuladen.


    Letzteres klappte wirklich. Da ich ja hier auch ein winziges Bisschen Promi war, durfte ich dabei sein, auch bei Willemsen. Taktlos, wie ich bin, fragte ich ihn, warum er um Gotteswillen eine so tolle Frau wie die Maischberger verlassen hätte. (Die einzige, die ich von diesen Spättalkerinnen ertragen kann, ganz schlimm ist ja diese ständig kokett grinsende Maybritt!)


    Er schaute mich aus drei Metern Höhe ernsthaft an und sagte. "Vielleicht war es ja umgekehrt?....." Schade.


    Weiß jemand, wie sein augenblicklicher Familienstand war? Wenn er im "eigenen Haus" gestorben ist - was eine Gnade wäre - dann hatte er vielleicht auch Frau und Kind? Wäre toll, wenn solche Begabungen weiterlebten.

  • Im Oktober 2009 bekam ich eine Mail von einem gewissen Johannes Strate, der sein Projekt "Feels Like Home" skizzierte und anfragte, ob ich dazu bereit wäre, im Rahmen dieser Benefizveranstaltung zu lesen. "Feels Like Home" präsentierte relativ unbekannte Singer-Songwriter, die Strate überall auf der Welt eingesammelt hatte, und die Veranstaltung - vor ungefähr 600 Zuschauern und -hörern - wurde jeweils durch eine Lesung unterbrochen. Ich folgte an dieser Stelle Heinz Strunk, Ralf Husmann und anderen. Natürlich sagte ich sofort zu. Wir tauschten uns dann per Mail noch ein bisschen darüber aus, was ich von "Revolverheld" und der Musik dieser Band hielt; Strate zeigte sich erfreut (obwohl oder vielleicht weil ich ein bisschen übertrieb). Das Geld, das bei der Veranstaltung eingenommen würde, sollte an Selbsthilfeprojekte in Afrika und Südamerika gehen. Gute Sache.


    Am Nachmittag des Veranstaltungstags wurde ich im Hotel abgeholt und ins "Knust" verklappt, genauer in den Backstage-Bereich, wo sich bereits ein paar Musiker und deren Helfer tummelten. Der Raum war eng und muffig, wurde von einem großen Kühlschrank und dem Geruch lange getragener Turnschuhe beherrscht. Einige Musiker fläzten auf dem Sofa (zwei hatten die Schuhe tatsächlich ausgezogen), eine junge Frau schminkte sich vor einem kleinen, mit Aufklebern übersäten Spiegel. Ich setzte mich dazu und tat, als würde ich in meinen Texten lesen (eine Short Story und ein Auszug aus "Pauschaltourist", das damals aktuell war). Ein sehr netter isländischer Musiker namens Helgi Jonsson kam mit mir ins Gespräch. Dann kam Johannes Strate herein und verkündete, dass es noch einen Überraschungsgast gäbe. Er fixierte mich. "Roger Willemsen wird auch lesen", sagte er. Da war ein gewisses Bedauern in seinem Blick, oder Mitgefühl. Dann verschwand er, um fünf Minuten später zurückzukehren. "It's packed", verkündete er. Ausverkauftes Haus. Ari Hest, ein Musiker aus New York, schnappte sich seine Gitarre und ging auf die Bühne. Als ich den Applaus hörte, bekam ich Schüttelfrost.


    Dann wurde es unruhig. Wieder Strate, gefolgt von einem ganzen Tross, darunter wohl eine Pressesprecherin und noch jemand Wichtiges, und am Ende Willemsen in Begleitung einer attraktiven Frau namens Julia Stinshoff, wohl eine Schauspielerin. Die beiden begrüßten höflich jeden, dann wurde das Sofa geräumt, um für Willemsen und Stinshoff Platz zu schaffen. Die setzten sich hin und begannen damit, die Lesung einzuüben. Die anderen Menschen im Raum, und das waren nicht eben wenige, schienen für sie nicht zu existieren - es gab keinen Blickkontakt, kein Gespräch, nichts. Hest kam von der Bühne, ich ging nach draußen und durchlebte etwa 25 Minuten, die aber in meiner Erinnerung fehlen. Zum Glück durfte ich vor Willemsen raus. Anschließend verließ ich den Backstage-Bereich, suchte und fand meine Frau und ein paar Fassbiere, stellte mich ins Publikum und sah dem Überraschungsgästeduo dabei zu, wie sie aus irgendeinem Reisebuch Anekdoten vortrugen. Sehr akzentuiert, sehr professionell, sehr inszeniert. Ich kehrte in den Backstageraum zurück, weil wir für den Schlussapplaus alle auf die Bühne sollten, aber Willemsen & Co. waren bereits wieder verschwunden. Die Aftershow-Party hat Spaß gemacht, und ich sammelte unverdientes Lob ein.


    Das war meine Begegnung mit Willemsen, mehr kann ich nicht über ihn sagen. Ich habe ihn als Fernsehfigur wahrgenommen und nicht alles gemocht, was ich da gesehen habe, und ich habe keines seiner Bücher gelesen, weil sie mich thematisch nicht interessiert haben. Es ist sehr, sehr schade, wenn jemand schon mit sechzig (oder noch früher) stirbt, ganz egal, ob er prominent war oder nicht. Es ist in diesem Fall vermutlich und in gewisser Weise besonders schade, weil es wenige Intellektuelle im Fernsehen gibt - und jetzt noch einen weniger. Es hat mich gestern sehr betrübt, als ich die Nachricht gehört habe, aber nicht, weil ich mal ein paar Minuten mit Willemsen hatte, während derer auch keine wie auch immer geartete Beziehung entstand, sondern weil ich mit den Leuten fühle, denen diese Person etwas bedeutet hat.


    Edit: Ich hatte über die Veranstaltung schon im Forum berichtet, wie ich gerade festgestellt habe. Schön, dass dieser neue Bericht weitgehend mit dem alten übereinstimmt. ;)