Deutschland im Herbst

  • Der Text ist klasse, keine Frage. Dennoch bezweifle ich die Wirksamkeit. Wirken kann nur, was gelesen wird. Und zwar von den Angreifern der Zivilisation, um M Höflers Worte zu verwenden. Ich habe daran erhebliche Zweifel.

  • Der Text ist klasse, keine Frage. Dennoch bezweifle ich die Wirksamkeit. Wirken kann nur, was gelesen wird. Und zwar von den Angreifern der Zivilisation, um M Höflers Worte zu verwenden. Ich habe daran erhebliche Zweifel.


    Nein, diese fatalistische Haltung ist falsch! Alles was richtig ist kann gesagt und soll geschrieben werden. Das stärkt diejenigen, die auf dieser Linie denken und handeln. Das die "Angreifer der Zivilisation" nach der Lektüre solcher Texte plötzlich andersdenkende werden, ist ohnehin kaum anzunehmen.


    Nachtrag: Außerdem gibt es nicht nur zwei Fronten. Viele stehen dazwischen und suchen nach einer Position. Gerade denjenigern kann mit solchen Texten geholfen werden.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann



  • Nachtrag: Außerdem gibt es nicht nur zwei Fronten. Viele stehen dazwischen und suchen nach einer Position. Gerade denjenigern kann mit solchen Texten geholfen werden.


    Genau: indem man die Kultur, den Diskurs, die Aufklärung stärkt.


    Wie man an die stark Verblendeten rankommt, weiß ich leider auch nicht. Außer über Opportunismus. Und dafür sollte man die Vernunft stärken und dahinter möglichst viele Menschen versammeln.

  • Ich bin weit entfernt von Fatalismus. Ich halte es nur für den falschen Weg. Ich bin ein Fan von miteinander reden, und das geht nun mal nur, wenn man die "dazwischen Stehenden" und ihre Probleme ernst nimmt.


    Nach meiner Erfahrung sind das die, die ohnehin am unteren Ende der Nahrungskette stehen. Sprich: schlechter Lohn für viel Arbeit, Anspruch auf Sozialwohnung (es gibt nur nicht genug), womöglich Hartz 4. Oder diejenigen, die sich von der Wende den Himmel auf Erden versprachen und in der Arbeitslosigkeit gelandet sind. In dem Umkreis mag es Leser der Zeit geben, die Regel scheint es mir nicht.


    Allerdings sind sie es, die mit den Flüchtlingen Tür an Tür leben werden, nicht die Verfasser von Zeitkolumnen.


    Ein weiteres Motiv scheint mir Angst zu sein, Angst vor dem Fremden, Angst vor Überforderung, Gefühle von Ohnmacht. Das sind aber Gefühle, da nutzt ein Diskurs erst recht nichts, schon gar keiner auf intelekltueller Ebene. Viel hilfreicher wäre da eine Politik, die zeigt, dass sie die Lage im Griff hat. Daran fehlt es aber. So schön das ehrenamtliche Engagement ist, es wäre Sache des Staates gewesen, für die Flüchtlinge zu sorgen. Ich habe selten etwas dilettantischeres gesehen, als die Politik der letzten Monate. Und das in diesem Land, wo alles und jedes geregelt ist.


    An Extremisten kommt man ohnehin nicht ran, da gebe ich dir recht.

  • (...) Ich halte es nur für den falschen Weg. (...)

    Die Erkenntnis, dass viele Verunsicherte diese Kolumne nicht lesen werden - und die dumpfdreisten ungeistigen Brandstifter schon gar nicht - kann niemals zu der Schlussfolgerung führen, Tacheles zu reden, sei "der falsche Weg". Dann wäre überhaupt jegliche Literatur, jeder anspruchsvolle Journalismus obsolet.


    Natürlich braucht es politische Maßnahmen, unbedingt sogar, statt Parteiengezerre, es braucht Sofortprogramme wie z.B. massiven Sozialwohnungsbau, durchgreifende Verbesserung aller Integrationswege, Abschied von der Schimäre der "Schwarzen Null" zugunsten durchgreifender Finanzierung dieser ungeheuren Herausforderung u.v.m. Aber das heißt nimmermehr, zu den irrwitzigen gesellschaftlichen Entwicklungen, zum massiven Verfall immer größerer Teile der Gesellschaft in faschistische Denkmodelle zu schweigen. Ganz im Gegenteil: Gerade jetzt heißt es, die Stimmen zu erheben.Und es ist erfreulich, wenn dies hin und wieder auch mal auf eine literarisch und intellektuell anspruchsvolle Art und Weise geschieht. Wie in diesem Falle.

  • Meines Erachtens ist es nicht Aufgabe des Textes zu missionieren, auch nicht Menschen, die angeblich noch eine Position suchen. Herr Zaimoglu schildert auf literarische Weise und subjektiv sein "Deutschland im Herbst". Weder kann es das Ziel dieses Textes sein, die Flüchtlingspolitik, ihre Chancen und Fehler, darzustellen, noch etwa, Leser zu "bekehren". Der Text beschreibt, was der Schriftsteller fühlt.


    Gestern erschien im Spiegel ein Kommentar mit dem Titel Deutsche Verrohung: Was ist nur aus diesem Land geworden? Dieser Artikel gehört nicht zur Belletristik, sondern zum Journalismus. Er ist direkt darauf gerichtet, Meinungen zu beeinflussen. Zaimoglus Text führt sicher auch zu Diskussionen, nicht nur hier, aber der Text geht über Argumente und Beschreibungen hinaus.


    Bei den Freitext-Kolumnen der "Zeit" soll es um "literarisches Denken" gehen. Dieses umfasst meiner Ansicht nach mehr als die reine Meinungsäußerung. Dem Kommentar im Spiegel stimme ich zwar zu, aber ich lese Zaimoglus Text mit mehr Genuss, gerade wegen seiner Subjektivität. Trotzdem ist beiden Texten gemein, dass sie sich einseitig ein Unterthema aus dem Komplex der Flüchtlingssituation herausgreifen. Das, was der Spiegel mit Zahlen und Beispielen beschreibt, beschreibt der Schriftsteller mit Stimmungen.


    Im Grunde sind wir hier wieder mal bei der Frage nach Aufgabe und Engagement eines Schriftstellers. So wie ich Zaimoglu einschätze, will er mit seinem Text gar nicht unbedingt etwas verändern.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Zitat

    Die Erkenntnis, dass viele Verunsicherte diese Kolumne nicht lesen
    werden - und die dumpfdreisten ungeistigen Brandstifter schon gar nicht -
    kann niemals zu der Schlussfolgerung führen, Tacheles zu reden, sei
    "der falsche Weg".

    Aber warum nicht? Horst-Dieter sprach von denen, die noch nach einer Position suchen. Ich bezweifle, dass diese von solchen Texten angesprochen werden, die Gründe habe ich ausführlich dargelegt.


    Dennoch sollte jeder Tacheles reden, der von etwas überzeugt ist, schon aus Gründen der Meinungsfreiheit. Allerdings wundert mich schon, warum das jetzt erst Thema ist, immerhin sind faschistische Denkmodelle schon länger im Vormarsch.


    Herzliche Grüße von


    ClaudiaF (Niemandin :) )

  • Zitat

    Weder kann es das Ziel dieses Textes sein, die Flüchtlingspolitik, ihre
    Chancen und Fehler, darzustellen, noch etwa, Leser zu "bekehren". Der
    Text beschreibt, was der Schriftsteller fühlt.

    Als solchen halte ich ihn für sehr gelungen.


    Bei diesem Thema kann man sich kaum einer politischen Diskussion entziehen. Man sieht es in diesem Thread und ich erlebe es in jedem Gespräch, selbst wenn es mit etwas völlig anderem angefangen hat.

  • Aber warum nicht? Horst-Dieter sprach von denen, die noch nach einer Position suchen. Ich bezweifle, dass diese von solchen Texten angesprochen werden, die Gründe habe ich ausführlich dargelegt.



    ClaudiaF (Niemandin :) )


    Die Gründe sind für mich nicht nachvollziehbar, weil unterschiedliche Ebenen angesprochen werden. Das konkrete Hilfe vor Ort und bei den Menschen die eine Sache ist und das Reden darüber etwas anderes, ist so nachvollziehbar, dass man es eigentlich gar nicht erwähnen muss. Eine Bewertung, in dem man beides nebeneinander stellt, ist aber unsinnig, genau so, als wenn man 'Äpfel gegen Birnen gegeneinander ausspielen wollte.


    Ich zolle allen, die jetzt direkt helfen, uneingeschränkten Respekt, aber auch allen, die jetzt laut und in der Öffentlichkeit Stellung beziehen gegen Verrohung und Dummheit angesichts des Flüchtlingselends. Dabei spielt es KEINE Rolle, ob sich einzelne Flüchtlinge der Hilfe nicht für würdig erweisen oder bestimmte Menschen von der geäußerten Meinung nicht beeindrucken lassen und weiter die Flüchtlinge aus dem Land treiben oder gar nicht mehr hereinlassen wollen.

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Da siehst du, wie unterschiedlich die Menschen sind!


    Mich treibt die Frage um: wie erreiche ich die Menschen, die zwischen den Fronten stehen, und nach einer Position suchen? Da scheint es mir unumgänglich notwendig, einmal ihre Situation nachzuvollziehen. Zu überlegen, wie sie sich fühlen, warum sie eventuell Extremen zuneigen, was daran so anziehend ist. Wenn man jemanden erreichen will, muss man ihn dort abholen, wo ersteht, das ist eine Binsenweisheit.


    Dass ich den Menschen direkt helfe, die jetzt vor meiner eigenen Haustüre sitzen, ist wiederum für mich selbstverständlich.


  • Mich treibt die Frage um: wie erreiche ich die Menschen, die zwischen den Fronten stehen, und nach einer Position suchen? Da scheint es mir unumgänglich notwendig, einmal ihre Situation nachzuvollziehen. Zu überlegen, wie sie sich fühlen, warum sie eventuell Extremen zuneigen, was daran so anziehend ist. Wenn man jemanden erreichen will, muss man ihn dort abholen, wo ersteht, das ist eine Binsenweisheit.


    Dass ich den Menschen direkt helfe, die jetzt vor meiner eigenen Haustüre sitzen, ist wiederum für mich selbstverständlich.

    Das ist ja alles schön und gut, aber wieso ist deswegen die o. a. Kolumne "der falsche Weg"? Die Begründung für diese Behauptung bleibst du schuldig.

  • Hallo H Dieter


    möglicherweise ist mein Ansatzpunkt nicht klar genug herausgekommen:


    Meine Einwände bezogen sich auf das nachfolgende Zitat von Horst Dieter


    Zitat

    Nachtrag: Außerdem gibt es nicht nur zwei Fronten. Viele stehen
    dazwischen und suchen nach einer Position. Gerade denjenigern kann mit
    solchen Texten geholfen werden.

    Ich teile diese Einschätzung nicht, sondern komme zu anderen Schlussfolgerungen s.o.


    Deshalb ist die Kolumne mitnichten falsch, sie wird Wirkungen haben, z B diejenigen stärken, die ähnliches erleben müssen. Aber den positiven Einfluss auf 'Dazwischenstehende' bezweifle ich erheblich.