Schriftstellerische Verhaltensauffälligkeiten

  • 1. Letztens saß ich im Taxi, so gegen zwei des Nachts, und da ich in einer kleinen Nebenstraße wohne, die nicht jeder Berliner Taxifahrer kennt, erklärte ich ab dem vorläufigen Zielpunkt, der (so gut wie) allen bekannt ist, den Weg. Wobei ich, wie mir an jenem Tag erstmals deutlich auffiel, wieder einmal so verfuhr:


    "Nächste rechts, und anschließend, am Ende der Straße, bitte nach links abbiegen."
    "Und gleich noch einmal rechts."
    "Hier bitte abermals rechts."
    "Nun links."


    Ich habe also Wort- und Formulierungswiederholungen zu vermeiden versucht. Einfacher wäre es so gewesen:
    "Jetzt rechts."
    "Jetzt links."
    "Jetzt rechts."
    Usw.


    2. Ich habe nun zum dritten Mal nacheinander in einem Roman einer weiblichen Nebenfigur den Vornamen [X]ine (X ist ein Präfix aus der Gruppe "Jan", "Nad", "Jaquel") verpasst. Eine gute Bekannte Schrägstrich Freundin heißt so. Tatsächlich habe ich das - meines Wissens - nicht bewusst gemacht, aber sie hat mich jetzt zum zweiten Mal darauf angesprochen. Tatsächlich habe ich ein ungeheuer schlechtes Namensgedächtnis, halte Namen aber zugleich für bedeutsam. Ich sammle originelle Namen, wenn ich sie höre oder lese (Grundschulbesichtigung, Fotos mit allen Kindernamen an der Tür - "Lila Engel". Kein Witz. Eine Story, in der eine Frau, die den Nachnamen "Engel" trägt und ihr Kind "Rosa" nennen will, ist in Arbeit). Und ich will eigentlich vermeiden, dass mein Freundeskreis ständig nach sich selbst in den Büchern sucht. WTF?


    3. Kneipe, kurz nach Mitternacht, drittes Bier (zur Hälfte ausgetrunken): Mein Gegenüber erzählt eine spannende Geschichte aus dem eigenen Leben. Der Mann weiß, dass ich Bücher schreibe, aber er erzählt die Geschichte nicht deshalb. Trotzdem hat er in meinem Kopf ungefähr ab der Mitte der Erzählung einen anderen Namen, eine andere Haarfarbe, eine neue Vita - und seine Geschichte wird (im Gegensatz zur erzählten) böse enden.


    t.b.c.


    Ähnliche Erkenntnisse?

  • hab noch ein bisschen stieg larssons story zugehört. kann mich auch da nicht voll und ganz mitnehmen lassen, weil ich automatisch lektoriere :verleg3 kann die funktion einfach nicht abschalten. gäbe viel zu tun bei dem schund. weiß nicht, wann ich zuletzt ein buch mit reinem vergnügen gelesen habe.

  • Hm. Hmhm - also, ein Korinthenkacker beim Thema Sprache war ich schon, bevor ich mich als Autor bezeichnet hätte. Mir fällt als Verhaltensauffälligkeit nur ein, dass ich beim Lesen der Online-Gazetten darauf achte, was als Thema für ein Buch taugen könnte, insbesondere im Panorama-Teil. Die meisten ersten Ideen verwerfe gleich wieder selbst, und den größten Teil des Restes verwirft der liebe Agent. :wink2


    Gestern ist mir bei meinem aktuellen Buch ein Thema über die Füße gelaufen, aber ich schreibe ja keine Historischen Romane. Wer jedoch einen spannenden Stoff in der Spätantike sucht: Ammianus Marcellinus und die Belagerung Amidas 359 n. Chr (heute Diyarbakır in Südost-Anatolien). 73 Tage mit Kriegselefanten und Belagerungsmaschinen der Perser, und Ammianus rettet sich als einer der wenigen Überlebenden aus der römischen Garnison und schreibt das Ganze hinterher auf. Da kann auch Herzschmerz rein. Wäre eine geile Story.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Geht mir ständig so. Nun schreibe ich ja nicht selbst Romane, aber ich überlege immer: Wen könnte ich auf dieses Thema ansetzen. Noch schlimmer wird's bei Sachbüchern, Geschenkbüchern oder Ratgebern. Man kann kaum fernsehen oder Zeitung lesen, ohne das Gesehene/Gelesene auf eine gute Story hin zu scannen. Zu allem Überfluss tickt die Frau an meiner Seite ähnlich. Abschalten: schwierig. (Man wird übrigens selbst im Urlaub von Autoren-Zecken belästigt !;-)!! )


    Fazit: Das Agentenhirn schläft nie! Wobei 99,9% der Ideen im Papierkorb landen. Weil es letztlich ein doofer Gedanke oder die Konkurrenz schneller war ...

  • Ich bin eine schreckliche U bahnnutzerin geworden. Ich beobachte die Leute und denke mir Geschichten über sie aus. Altere Paare sind da besonders ergiebig :evil


    Ich ertappe mich bei korrekter indirekter Rede beim Sprechen. Mit Frankfurter Slang (je nach Gesprächspartner babbel ich manchmal so) klingt das sehr merkwürdig. Mir sind auch schon irritierte Blicke aufgefallen!

  • Eigentlich habe ich verhältnismäßig wenig Autorenmarotten. Würde zumindest ich selber sagen, andere denken da vielleicht anders :).


    Aber hin und wieder passiert es mir, dass ich mir aus einer konkreten Situation eine Geschichte weiterspinne: Könnte man von dieser Turmspitze hier vielleicht jemanden ... und wenn, würde der das überleben ...? Schwierig wird es, wenn ich das mit meinen Mit-Turmbesteigern kurz erörtern möchte. Die gehen sicherheitshalber erst mal ein paar Meter auf Abstand =) .


    Schlimmer ist die Korrektorenmacke. Das geht schon so weit, dass ich Mitteilungsblätter, die mein Sohn aus der Schule mitbringt, auf Orthographie hin scanne. Können die das meinem Kind überhaupt richtig beibringen? Bisher konnten sie allerdings alle :)

  • Den Korrekturwahn haben wir hier zuhause alle fünf; lieben Bücher, achten sehr auf Sprache verbessern jeden, der wagt, in unserer Nähe einen orthografischen Fehler zu begehen, egal ob in Schrift oder Rede und machen uns auch schon mal über diese Fehler lustig, auch über Lehrer, Nachbarn und Freunde, denen so etwas passiert...ähem. Wir spielen aber genauso gnadenlos und gerne damit herum. Rabulisten allesamt. Ganz schlimm geht es an unserem Kühlschrank zu. Was da alles dran hängt und klebt, würde wahrscheinlich für eine Familien-Einweisung in die Nervenheilanstalt Anlass geben.


    Finde das faszinierend, wie du beschreibst, Tom: dass du Personen, quasi in Echtzeit, schon in Figuren umbaust. Ist mir so noch nie passiert.
    Im Theaterensemble geht mir das so, wenn unsere Ruhrgesteine (wie jetzt aktuell wieder) zum gewählten Thema erzählen. Da wachsen mit jedem Satz die Rollen und Figuren fürs Stück. Das geht bei mir aber alles eher langsam.


    Ich bin höchstens sehr empfänglich für Situationen/Medienmeldungen/Tagesgeschehen. Neuerdings spiele ich anscheinend im Traum mit Worten oder Sätzen, die dann nach dem Aufwachen in einen Text gemangelt werden.
    Das ist nicht immer schön:
    Zuletzt habe ich eine gefühlte ganze Nacht damit verbracht, panisch im Bundesministerium vorm Amtszimmer unseres Innenministers auf Einlass zu warten, weil ich mit ihm dringend über "sichere Innerheit" verhandeln musste. Fühlte mich dabei wie Kafka im Prozess.


    Schöner Fred! Macht Spaß und bin gespannt, was es noch zu lesen geben wird. Gerald der Agent und Claudia die U-Bahn-Spionin...klasse Berichte! :pop2

    [buch]3866855109[/buch]


    "Sinn mag die äußerste menschliche Verführung sein." - Siri Hustvedt

  • 4. Eine Party oder vergleichbare Veranstaltung. Gespräch danach mit meiner Frau:


    Sie: "XY sah aber ganz schön geschafft aus, oder?"
    Ich "XY? War der da?"
    Sie: "Du hast Dich eine gute Viertelstunde mit ihm unterhalten."
    Ich: "Echt? Wow. Aber ist Dir aufgefallen, dass der Kleine, der mit seinem Lego in der Ecke saß, innerhalb von zehn Minuten einen kompletten Bauerhof gebaut und dabei die Titelmelodie von "Shaun, das Schaf" gesummt hat? Dass das Pärchen hinten links die ganze Zeit versucht hat, zu kaschieren, dass sie Distanz voneinander suchen? Dass der Typ am Tresen ständig an seinem Jackett gezuppelt hat, um den roten Fleck an seinem Hemd zu überdecken? Dass AB einmal pro Viertelstunde aufs Klo gegangen ist? Dass CD vermeidet, sein Baby auf den Arm zu nehmen?"
    Sie: "Äh, nö. Interessant. Aber schon spannend, was EF erzählt hat."
    Ich: "EF? War die da?"


    Usw.