Und wieder eine Zwischenbemerkung.
Der Veröffentlichung in Partnerschaft mit Verlagen steht schon seit Jahren und Jahrzehnten die Selbstveröffentlichung ("Selfpublishing") gegenüber. Autoren haben ihre Manuskripte in Druckereien geschleppt und dann quasi per Bauchladen verkauft - zuweilen sogar recht erfolgreich. Der Münchener Autor Matthias Praxenthaler ließ 2.000 Exemplare seines Romans "Horst der Held" drucken, verkaufte einzelne Exemplare monatelang auf der Straße, bis dtv aufmerksam wurde und ihn ins Programm nahm. Seither - es fand in den Neunzigern statt - sind dort drei oder vier Bücher von ihm erschienen.
Mit dem Aufkommen des On-Demand-Prints (BoD, also Book on Demand, oder PoD, also Print on Demand), namentlich der Herstellung kompletter, einzelner Bücher in kurzer Frist und mit vergleichsweise günstigen Kosten, gab es so etwas wie einen "Zwischen-Siegeszug" der Selbstveröffentlichung, ungefähr gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts. Vor allem Autoren, die es nicht zur Zusammenarbeit mit Verlagen gebracht haben oder dies prinzipiell nicht wollten, wählten diesen Weg. Er war zunächst an einige wenige Hersteller gebunden, die Bücher waren recht teuer, die Vertriebswege überschaubar - entweder über die Online-Shops der jeweiligen Dienstleister oder, später stark anwachsend, über die Online-Buchhändler. Der stationäre Buchhandel hat sich mit solchen Titeln höchstens ausnahmsweise beschäftigt. Das ist auch heute noch so.
Aktuell stellt sich die Situation aber völlig anders dar, was im wesentlichen zwei Aspekten zu verdanken ist: Der vergleichsweise rasanten Verbreitung von E-Book-Readern ungefähr ab dem Jahr 2010 und der Öffnung des Online-Händlers Amazon explizit für diesen Markt. Mit dem "Kindle Direct Publishing" (KDP - für E-Books) und später mit "AmazonCreateSpace" (ACS - für Print) hat der Händler zwei direkte, sehr schnelle und, vor allem, für Autoren kostenlose Wege geschaffen, um Texte zu publizieren und über den Shop des Marktführers per Mausklick zu verbreiten. Ergänzt um einfach zu bedienende und elegante Softwarelösungen, die es auch Laien ermöglichten, ansehnlich gestaltete Werke zu veröffentlichten, nahm die Zahl der Selbstveröffentlicher plötzlich sprunghaft zu. Ergänzt um den parallelen Siegeszug der sozialen Netzwerke - allen voran Facebook - und Methoden des Viralmarketings gelang es einigen Autoren, auf diesem Weg direkt erfolgreich Texte zu publizieren und damit so viel Geld zu verdienen, dass es so manch einem vergleichsweise erfolgreichen Verlagsautor die Peinlichkeitsröte ins Gesicht trieb.
Obwohl es Konkurrenz für Amazon gibt, kann man hier - wenigstens derzeit - getrost nicht nur von Marktführerschaft, sondern von -beherrschung sprechen. Via KDP werden inzwischen tausende Titel pro Monat publiziert. Dienstleister sind auf dem Markt erschienen, die die dort fehlenden Angebote - Ausstattung, Lektorat, Marketing - in unterschiedlichen Qualitäten übernehmen, natürlich kostenpflichtig. Das Segment hat auch neue Formate und Textarten hervorgebracht; ein Buch muss nicht mehr um die 200 Seiten mindestens lang sein, um veröffentlicht zu werden. Neben erzählender Prosa haben sich auch einige andere Textarten vergleichsweise erfolgreich entwickelt. Der Hauptanreiz dieses Publikationswegs besteht jedoch offensichtlich im Vergütungssystem: Während man als Verlagsautor mit Beteiligungen (Tantiemen) im Bereich von 6 bis 20 Prozent des Nettoladenpreises leben muss, erhalten KDP-Autoren bis zu 70 Prozent vom Verkaufspreis, der allerdings in aller Regel deutlich unter dem Ladenpreis vergleichbarer Bücher liegt. Mit ACS ist die Systematik auch längst nicht mehr auf E-Books beschränkt. Die zwar on demand hergestellten gedruckten Bücher sind überwiegend in Tagesfrist lieferbar. Ein weiterer, besonders bestechender Aspekt: Sämtliche Bücher werden auf Augenhöhe neben Verlagspublikationen angeboten. Konsumenten, die sich nicht mit Verlagsnamen beschäftigen, erkennen höchstens an Ausstattung und/oder Textqualität, dass es sich um eine - ganz wertfrei - andere Art von Angebot handelt. Allen positiven Merkmalen steht allerdings hier ein negatives gegenüber: Der Vertrieb ist auf Amazon beschränkt. Selbst die Zusammenarbeit mit Distributoren, die zwischen Selfpublishern und Veröffentlichungsportalen stehen, bewirkt in aller Regel kaum nennenswert höhere Verkäufe über die anderen Plattformen, was schlicht an deren Reichweite liegt: iTunes, GoogleBooks und ähnliche haben im Vergleich sehr kleine Marktanteile. Amazon forciert und fördert das Programm, betreibt also ganz offensiv den Versuch, die Gleichbewertung von Verlagstiteln und selbstveröffentlichten Büchern voranzutreiben - sogar ein bisschen mehr als das. Warum und mit welcher Zielsetzung das geschieht, muss hier nicht diskutiert werden.
Allerdings fehlen hier alle Leistungen, die ein Verlag übernimmt, von der Ausstattung über das Lektorat bis zum Vertrieb. Diese Leistungen müssen die Autoren selbst übernehmen oder einkaufen. Presse und Buchhandel interessieren sich für dieses Segment nur ausnahmsweise. Die Wahrnehmung durch die Leser fällt sehr uneinheitlich aus und scheint sich überwiegend auf bestimmte Genres zu konzentrieren. Die Demokratie des Angebots präsentiert nicht nur Selfpublisher und Verlagsautoren auf Augenhöhe, sondern auch gute und schlechte Selfpublisher. Da es keine Kriterien für die Inverlagnahme gibt, die ja auch faktisch nicht existiert (Amazon ist Händler), werden alle Texte publiziert, von denen sich die Autoren die Publikation wünschen.
Neben den SP-Großverdienern gibt es auch eine große Gruppe von SP-Gutverdienern, die in relativ hoher Taktung und sehr zielgerichtet fast regelmäßig Texte publizieren, die auf diesem Weg ordentlich viel Leser erreichen. Da die Margen im Schnitt zehnmal so hoch sind wie bei der Verlagsveröffentlichung, muss man auch nur ein Zehntel der Titel verkaufen, um das gleiche zu verdienen. Allerdings sind Reichweite und Zielgruppe begrenzt.
Ergänzung: Eine Anmerkung zum Margenvergleich ist erforderlich. Die Distanz zwischen im Schnitt sieben bis acht (Verlagsvertrag, Debüt) und bis zu 70 Prozent bei der Selbstveröffentlichung ist groß. Allerdings übernehmen Selfpublisher auch alle nötigen Leistungen, die sonst in die Verantwortlichkeit der Verlage fallen, selbst, entweder in Eigenleistung oder über Dienstleister. Demgegenüber hat ein Autor, der mit einem Verlag zusammenarbeitet, abgesehen vom Aufwand für die Manuskriptherstellung und -bearbeitung (Zeit, Recherchekosten u.ä.) keine weiteren Kosten mehr - im Idealfall bekommt er mit dem Vertragsabschluss eine Garantiezahlung ("Vorschuss"), die nicht zurückgezahlt werden muss, wenn das Buch die nötigen Verkaufszahlen nicht erreicht. Für Ausstattung, Satz und Marketing müssen Selfpublisher selbst sorgen. Der hierfür nötige Aufwand, zeitlich wie direkt finanziell, schmälert die Einnahmen. Das sollte man bei entsprechenden Kalkulationen und Vergleichen berücksichtigen, wobei der konkrete Aufwand individuell sehr unterschiedlich ausfallen kann. Wer einen Lektoratsservice in Anspruch nimmt, muss unter Umständen vierstellig in Vorleistung gehen, bei professioneller Covergestaltung verhält es sich ähnlich, und auch Online-Marketing kostet Geld. Anders gesagt: Die sehr viel höhere Marge ist ja nur möglich, weil es - unter anderem - bestimmte Leistungen nicht gibt. Die Erbringung oder Inanspruchnahme solcher Leistungen kostet dann wieder einen Teil des Geldes, das man mehr einnimmt. Und auch der Zeitaufwand ist natürlich sehr viel höher.