T. C. Boyle: Hart auf hart

  • Sind Sie gelangweilt, Herr Boyle?



    Es gibt da einen Musiker, den ich schon seit Jahrzehnten verehre, und der alle paar Jahre ein neues Album veröffentlicht. Das kaufe ich dann, höre es mir an, gehe ins Konzert und freue mich darüber, dass dieser Musiker immer noch aktiv ist. Tatsächlich aber ist das längst zum Ritual geworden, bei dem die Musik inzwischen nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Okay, ein paar Sachen finde ich immer noch recht gut, aber eigentlich langweilt mich das Zeug. Der Mann ist fraglos nach wie vor ein großartiger Musiker, seine Auftritte sind beeindruckend, aber aus meiner persönlichen Sicht ist der Zug schon vor Jahren abgefahren. Ich hätte ihn fahren lassen sollen.


    Es gibt da einen Schriftsteller, den ich schon seit Jahrzehnten verehre, und der inzwischen fast jährlich einen neuen Roman veröffentlicht. Den kaufe ich dann, lese ihn und ... ja, was eigentlich? Entschuldigung, lieber T. C., aber meistens ärgere ich mich. Diese lahme Architektenbiographie - "Die Frauen". Großer Gott. Dieser völlig vergurkte Identitätsraubroman mit dem Titel "Talk Talk". Oder dieses wirklich, wirklich äußerst langweilige Buch über Albert "Dr. Sex" Kinsey. Ganz zu schweigen von der seltsamen Inselmonographie "San Miguel", die wohl ein Spin-Off des okayen "Wenn das Schlachten vorbei ist" war, übrigens der einzige Boyle-Roman der letzten Jahre, den ich halbwegs spannend und interessant fand. Halbwegs: Fett, kursiv und doppelt unterstrichen.


    Und jetzt "Hart auf Hart", multimedial angekündigt, mit viel Brimborium und der unvermeidlichen Adelung durch Denis "Druckfrisch" Scheck. Ehrlich, werter Herr Boyle, ich habe nicht die leiseste Ahnung, was Sie mir mit diesem Buch eigentlich erzählen wollten. Der doofe deutsche Titel hilft mir leider auch nicht weiter. Wer ist da hart? Und wer außerdem noch?


    Es beginnt mit einer Kreuzfahrt. Sten, ein gestandener Siebziger, Ex-Marine, ist mit seiner Ehefrau in Costa Rica unterwegs, auf einem Landausflug, als ein paar Gauner die Busladung reicher Rentner überfallen wollen. Eher aus Reflex killt Sten einen der Diebe. In seinem Heimatörtchen Mendocino, in den Redwoods von Kalifornien, wird Sten fortan als Held verehrt. Die Verehrung schlägt schnell ins Gegenteil um, als sich herausstellt, dass Stens durchgeknallter Sohn Adam im Wald Opium anbaut und mit seinem chinesischen Repetiergewehr Leute abschießt.
    Was die gesamte Handlung des Romans zusammenfasst. Ja, da ist auch noch Sara, die vierzigjährige Frau, freiberufliche Hufschmiedin, die "keinen Vertrag" mit den Ordnungskräften hat, also die US-Regierung für illegitim hält, und deshalb ohne Fahrzeugpapiere durch die Gegend schaukelt. Weil ihr Hund bei einer Verkehrskontrolle einen Polizisten beißt, kommt der Köter ins Heim. Auf dem Weg nach Hause liest Sara den herumstreunenden Adam auf und verliebt sich in ihn. Adam aber ist zu solchen Gefühlen nicht fähig, dafür hilft er Sara, das Tier zu befreien. Während sie völlig merkbefreit von trauter Zweisamkeit träumt, will Adam, nicht weniger realitätsfern, nur seinem Vorbild ähnlich sein, dem Waldläufer Colter, der zu Zeiten von Mason und Dixon im Busch unterwegs war.


    Auf knapp 400 Seiten gedehnt geht es (wieder einmal) ein bisschen um Naturschutz, um Drogenanbau, um alte (amerikanische) Freiheiten und neue (dito) Einschränkungen - und letztlich um zwei Leute, die, vorsichtig gesagt, etwas abseits stehen. Während Sara eher gedämpft verhuscht ist, hat der Knalltütenhammer bei Adam mit großer Wucht zugeschlagen. Leider bleibt beides auf der Behauptungsebene, und die Frage nach dem Warum ebenso unbeantwortet wie ungefähr ein Dutzend weiterer. Da das Buch aus der personalen Perspektive der jeweils handelnden Figur - Sten, Sara, Adam - erzählt ist, tauchen Formulierungen wie "das Rädchen rattert" (Adam bei der Betrachtung seiner eigenen Absonderheit) oder "ich habe keinen Vertrag mit ihnen" (Sara) häufig auf. Was da für ein Rädchen rattert oder was es gar zu bedeuten hat, dass Adam mal versucht hat, die chinesischen Aliens auf seine Seite zu ziehen, soll der Leser nicht erfahren. Das größte Rätsel aber lautet: Wozu diese Geschichte? Oder, kürzer: WTF?


    Ja, Herr Boyle, Sie sind ein akribischer, routinierter Erzähler. Ihnen gelingt es, auch aus dem belanglosesten Setting einen Text zu entwickeln, der sich immerhin gut lesen lässt. Mitunter ist es interessant, wenn es beispielsweise um den krassen Kontrast zwischen Mega-Malls und jahrtausendealten Wäldern drumherum geht. Oder sogar spannend, etwa, wenn Sten und ein Kamerad verdächtige Mexikaner jagen, die sie für Drogenbauern halten, die irgendwo im Wald betäubungsmittelhaltige Pflanzen ernten. Aber aus diesen und vielen weiteren Details will sich einfach keine Geschichte formen, der man irgendeine Thematik entnehmen könnte. Klar, es gibt Einzelthemen wie das Altern (Sten), Einsamkeit und Liebe (Sara), psychische Störungen (Adam), und die Bestandsaufnahme der amerikanischen Gesellschaft (gähn), aber der kahlköpfige Waldteufel, der das alles vorantreibt, steht, von seiner Klatsche abgesehen, für nichts. Das ist nur einer, der frei herumläuft, obwohl man ihm das nicht gestatten sollte. Gut, vielleicht ist das Boyles Thema: Die Gefahr der weitgehend uneingeschränkten Freiheit(en). Aber dafür hätte eine Kurzgeschichte gereicht. Bei einer Short Story wäre wenigstens das fade Ende nicht so aufgefallen.


    Lieber T. C., ich muss abschließend leider zwei weitere schlimme Dinge über dieses Buch sagen. Erstens: Die Figuren wirken unecht, wie am Schreibtisch gemixt. Und zweitens: Man merkt dem Roman an, dass Ihnen das Schreiben keinen Spaß gemacht hat. Vielleicht ist das auch die Antwort auf mein Musikerproblem: Am Anfang, als die Verehrung entstand, hatte auch für ihn die eigene Musik noch große Bedeutung. Aber das hat irgendwann aufgehört, und dann war er nur noch Musiker - irgendein Musiker. Schade drum, vielleicht unausweichlich, aber immerhin kann man sich ja noch, wenn man mag, die alten Platten anhören. Oder die alten Boyles lesen, hinreißende Sachen wie die frühen Anthologien, oder "Willkommen in Wellville", "Grün ist die Hoffnung", "América" und, natürlich, "Wassermusik". Als Überbrückung, bis Ihnen das Schreiben wieder Spaß macht. Ich bin geduldig. Sie können doch mehr, als solche Ungeschichten wie diese hier herunterzurotzen.


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  • :down - Aber ich werd's trotzdem lesen. Ich bin so einer, der auch ins Konzert geht, wenn er weiß, dass er's besser lassen sollte.


    Aus dem Buch Boyles "mangelnden Spaß am Schreiben" herauszulesen finde ich - wie gesagt, ohne es gelesen zu haben - erstaunlich. - Und es erinnert mich an ferne Diskussionen, wahrscheinlich noch zu Listenzeiten, wo Spaß am Schreiben vom einen oder anderen als zumindest entbehrlich für die Qualität des Textes/Buches angesehen wurde :D .


    Auf jeden Fall Dank für die Rezi!

  • Hallo, Petra.


    Zitat

    Aus dem Buch Boyles "mangelnden Spaß am Schreiben" herauszulesen finde ich - wie gesagt, ohne es gelesen zu haben - erstaunlich.


    Eine Buchrezension ist eine vielschichtige und zuweilen sehr persönliche Angelegenheit, weshalb darin auch viel (mehr) zulässig ist als anderswo bei ähnlichen Gelegenheiten. Und ich habe diesen mangelnden Spaß nicht nur dem aktuellen Buch bzw. auf dessen Basis attestiert, sondern dem Boyle der letzten Jahre ganz allgemein. Wobei "attestiert" das falsche Wort ist. "Unterstellt" träfe es eher. ;) Letztlich ist es nur die Suche auf die Antwort der Frage, warum die Romane so steril, langweilig und humorlos geworden sind. Fehlender Spaß bzw. fehlende Freude scheint eine naheliegende Antwort zu sein.

  • Ich wollte einmal mitreden können und habe vor ein paar Wochen "Talk Talk" angefangen - und nach 50 Seiten wieder zugeklappt. Toms Rezension bestätigt mich darin, meine Restlebenszeit mit keinem zweiten Versuch zu vergeuden.

  • Buchrezensionen dienen ja auch dazu ,mir als potentiellen Leser eine Art Hilfestellung zur Kaufentscheidung zu geben.
    Spaß am Schreiben ist wichtig, klingt aber auch immer ein bisschen harmlos.
    Aus Toms Rezension lese ich zwischen den Zeilen: Der Autor hat für die Story nicht gebrannt.
    Für den beschriebenen Musiker gilt möglicherweise das Gleiche. Er brennt nicht mehr, hat sich nicht weiterentwickelt, seit Jahren das gleiche Zeug, immer die gleichen Hits, immer die gleichen Storys. Ich glaube schon, dass man das einem Produkt (gleich welcher Art, Musik, Roman, etc), anmerkt.
    Wer ist schon dauerhaft genial? Sehr anstrengend das Ganze und kreative Pausen, die letztlich auch der eigenen Weiterentwicklung dienen, können sehr nützlich sein.

  • Grün ist die Hoffnung hat mich damals richtig von den Socken gehauen. So viele perfekt sitzende und kreative Vergleiche hatte ich noch bei niemandem gelesen, da hat hat man wirklich eine Schreibfreude herauslesen können (teilweise konnte er sich gar nicht bremsen und hat gleich zwei Vergleiche hintereinander rausgefeuert). Mein letzter war "Wenn das Schlachten vorbei ist", den fand ich nur noch "geht so". Und ich hatte mich danach gefragt, ob ich mich weiterentwickelt habe oder Boyle.


    Klasse Rezi, danke dafür.

  • . Und ich hatte mich danach gefragt, ob ich mich weiterentwickelt habe oder Boyle.


    Tom, vielleicht solltest du dich das auch fragen. ")"
    wahrscheinlich hast du dich weiter entwickelt, liest Texte anders, kritischer, wachsamer ... mit anderem Augenmerk.
    Das geht mir bei meinen Lieblingsautoren zum Teil auch so.
    Wobei sie sich zum Teil auch erschöpfen. Erschreckend für mich - denn da ist dann die Frage im Hinterkopf - wird mir das auch so gehen? ?!?


  • Wobei sie sich zum Teil auch erschöpfen. Erschreckend für mich - denn da ist dann die Frage im Hinterkopf - wird mir das auch so gehen? ?!?

    Nö, 42er erschöpfen sich nicht, sie entwickeln sich weiter ... :oo)

  • Zitat

    Oder die alten Boyles lesen, hinreißende Sachen wie die frühen
    Anthologien, oder "Willkommen in Wellville", "Grün ist die Hoffnung",
    "América" und, natürlich, "Wassermusik".

    Und bitte nicht auf "Riven Rock" vergessen. Einer meiner Lieblingsbände vom großen T.C. Boyle. ;)

  • Zitat

    Erschreckend für mich - denn da ist dann die Frage im Hinterkopf - wird mir das auch so gehen?


    Die wirtschaftliche Sattheit ist eine echte Bremse, denke ich. Wer nichts mehr erreichen muss, streckt sich möglicherweise auch nicht mehr. Die inhaltliche ist aber, wie ich meine, gefährlicher. Wenn einem die Verlage alles abnehmen, auch nur leicht veränderte Permutationen der vorigen Werke, wird das Eis möglicherweise brüchig. Man muss sich permanent entwickeln, sich auch hinterfragen, die bewährten Konzepte prüfen. Und man muss auch Mut zur Pause haben. Ein exzellenter Roman zwei Jahre nach dem letzten ist besser als zwei lahme Romane, um den Jahresrhyhthmus einzuhalten.

  • Hallo Tom,


    weiß nicht, ob man Schreiben und Musik miteinander vergleichen kann.
    Wer wirklich Musik macht, hat oft wenig Spaß dabei. Die Realität ist häufig stundenlanges, ätzendes, undankbares Einstudieren. Musik kann eine ziemlich nervige Arbeit sein. Je nachdem, welche Musik man macht.


    Bei Boyle kann ich weniger mitreden - ich kann mich vage daran erinnern, "Wassermusik" gelesen zu haben (ich glaube, ich fand den Roman großartig), aber das ist schon länger her, ich weiß nicht mehr ...

  • Hallo Dieter,


    da existieren sicherlich verschiedene Einstellungen.
    Wenn man es denn kann, macht es sicher auch hin und wieder Spaß.
    Ich würde den Spaß jetzt nicht zum einzelnen Ziel und Zweck erheben. Hauptsache, man tut es doch regelmäßig, oder?
    Entweder er ist da, oder er ist nicht da, und wenn er mal nicht da ist, weil man einen schlechten Tag hat - oder die Gitarre zum ersten Mal in die Hand genommen hat etc. pp. - , ist das für mich nicht schlimm.


    Ich habe mal versucht, einer jungen Frau (ca. mein Alter) Gitarre beizubringen. Einfach nur ein paar Akkorde. Sie ist fast verzweifelt, weil sie die ganze Zeit gedacht hat: "Aber es muss doch Spaß machen! Warum macht es denn keinen Spaß? Hilfe, es macht keinen Spaß!"
    Ich hab die ganze Zeit versucht, ihr klar zu machen, dass es halt anfangs so ist und dass man da eben durch muss, aber sie ließ sich nicht beirren ... Und hat dann irgendwann aufgehört.


    Ich bin eine schlechte Lehrerin! :heul


    Singen hat mir immer viel Spaß gemacht. Seit ich Unterricht bei einer ziemlich gut ausgebildeten Opernsängerin nehme - sie studierte an einer Eliteuniversität, konnte wegen Asthma leider keine Karriere beginnen - ist es aber leider nur noch ätzend. Seitdem habe ich das Gefühl, dass ich von Tuten und Blasen keine Ahnung habe.
    Der Unterricht an sich macht schon Spaß, nur das Singen halt nicht. Mein bisheriges Highlight: "Joan Baez ist eine gute Sängerin. Die macht immer den Mund schön weit auf!" (Nicht nur beim Zahnarzt.)

  • Hallo Sabrina,


    ich glaube die Sache mit dem Spaß ist eine Frage der Einstellung. Hier unterscheidet sich Schreiben nicht vom Musik machen. Sich Dinge anzueignen, üben, schauen wie das andere machen, sich Techniken drauf zu schaffen usw. Alles Dinge die Spaß machen können. Es ist die Frage, wo ich hin will, mit wem vergleiche ich mich. Es gibt nach oben hin kaum eine Grenze. Letztlich ist es wie im alten Westen, einer ist immer schneller, besser, erfolgreicher.
    Ich kenne Musiker, die könne so ziemlich alles spielen und haben kaum noch Spaß, andere beherrschen nur drei Akkorde und brennen förmlich darauf sich weiter zu entwickeln.
    Ich halte es schon für wichtig sich Ziele zu setzen, aber wenn ich angekommen bin suche ich das Nächste. Du wirst niemals so singen wie deine Lehrerin, aber anders und ob dieses "anderes" besser oder schlechter ist, ist eine Bewertung von Außen.
    Oben ging es darum, ob Menschen die etwas auf einem hohen Niveau tun irgendwann satt sind und sich nicht weiter entwickeln. Ich glaube das kann passieren und es ist wichtig, dass derjenige es dann merkt. Schreiben und Musik machen ist eine Reise bei der ich niemals ankommen werde und wenn ich zu der Überzeugung gelange angekommen zu sein, fange ich an mich selbst zu kopieren. Das spürt dann der Leser und auch der Zuhörer.

  • Sich vergleichen ist tödlich für Musik, da stimme ich dir zu, Dieter.


    Und du hast Recht: Gerade bei Musikern, die auf hohem Niveau spielen, gibt es die Gefahr der Ermüdung. Ich bin überzeugt, dass es gerade im Klassikbereich so ist (ich arbeite in dem Bereich, wenn auch nicht als Künstlerin). Dann sollte man meiner Meinung nach lieber einen ordentlichen, ganz simplen und schönen Rocksong machen, und den dafür richtig gut. Nichts ist schlimmer als schlecht gespielte Klassik. Dann sollte man es lieber lassen.

  • Die Rezi hat auf jeden Fall Spaß gemacht - beim Lesen wenigstens.


    Boyle ist einer der wenigen Schriftsteller, die mich mit dem ersten - zufällig gewählten - Roman (in diesem Fall "Riven Rock") an der Angel haben. In einem solchen Fall kaufe ich deren Romane nicht nach dem Inhalt, der Name auf dem Cover allein genügt. (Wie schnell ich die dann lese, steht wieder auf einem anderen Blatt.) John Irving war auch so ein Fall. Und bei den bewussten Autoren hätte ich dann gerne immer wieder aufs Neue Bücher, die mich quasi umhauen. Dass das selten (oder nie?) möglich ist, ist auch klar.

  • Hmmm.... erinnert mich ein Problem, dass viele Autoren haben (oder zu haben scheinen). Mit der Zeit wird aus Kreativität und Begeisterung eine gewisse Routine. Mir ist es schon öfter so gegangen, dass ich an einem Autor, den ich wirklich gerne gelesen habe, mit der Zeit die Lust verloren habe. Entweder wurden die Bücher immer abstruser, oder es war immer das Gleiche.
    Vielleicht ist es auch einfach schwer, ein einmal erreichtes Niveau immer wieder zu halten oder gar zu toppen.