Niedergang der Literaturkritik in Zeitungen

  • Das muss auch hierher: Auf buchmarkt.de beschreibt Jörg Sundermeier, Chef des Verbrecher Verlags, im Interview den Niedergang der Literaturkritik in den Zeitungen. Kaum verwunderlich in durchökonomisierten Redaktionen: Wer soll denn da noch die Zeit haben, um ein Buch komplett zu lesen? Dabei dachte ich, dass wenigstens im Feuilleton noch über Inhalte von Literatur, d.h. auch über darin immerhin ab und an thematisierte gesellschaftliche Umwälzungen, gesprochen würde.


    So fällt die allgemeine Inhaltsberaubung nun auch der Autorenbranche auf die Füße - die Autoren hätten die gesellschaftliche Entwicklung erkennen und wenigstens gegen sie anschreiben können.

  • Michael, das ist alles nicht neu. Man findet schon bei Lernet-Holenia eine Satire auf die Buchkritik, in dem ein Protagonist sagt, dass die besten Buchkritiken dann geschrieben werden, wenn der Rezensent das Buch gar nicht gelesen hat. Will sagen, der Ruf, das jetzt alles schlechter ist und früher besser war ist so alt wie er immer falsch war. Oder so ähnlich. Möglicherweise ist es heute schwieriger, eine gute Buchkritik zu schreiben. Aber es gibt sie. Und wenn Verleger darüber klagen, dann auch immer aus dem Hintergrund, dass sie glauben, von der Literaturkritik nicht angemessen wahr genommen zu werden. Auch da ist etwas dran, aber immer bitteschön in Abzug bringen, dass die Selbstbefindlichkeit keine unwesentliche Rolle spielt.

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    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Und ich glaube, Horst-Dieter, nicht, dass sich das damit abtun lässt und Sundermeier so niedrige Motive hat. Zumindest gäbe es eine zwingende Begründung dafür, wenn es wirklich so wäre.


    Mir müsste erst einmal bewiesen werden, dass es eine "Hoch-Zeit" der Literaturkritik gegeben hat. Denn ohne diese wäre ja kein Niedergang möglich.

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  • Der vermeintliche Niedergang des Feuilletons hat wahrscheinlich wirklich etwas mit der Personalpolitik der Verleger zu tun, in der Hauptsache aber damit, dass die Reichweite der Literaturkritik in Zeitungen und Zeitschriften drastisch abgenommen hat - sie verkauft keine Bücher mehr. Das tun nur noch die (wenigen) Fernsehsendungen, die sich mit Literatur befassen, und irgendwelche Magazinformate oder Talkshows, die Autoren durchreichen. Und die Blogger. Jedenfalls die guten, reichweitenstärkeren. Kaum jemand liest noch eine Zeitung oder Zeitschrift, um sich darin über interessante Neuerscheinungen zu informieren. Oft reicht ein Blick auf die Amazon-Sternchen für eine Entscheidung aus. So bedauerlich das auch sein mag. Rezensionen in Zeitungen und Zeitschriften sind gut für Blurbs, aber sie sind längst nicht mehr die wichtigste Komponente im Marketingportfolio der Buchverlage. Und zwar schon seit ein paar Jahren.

  • Ich weiß, Tom, früher brachte die positive Besprechung eines Romans in der SZ oder FAZ ein paar tausend verkaufte Exemplare, heute vielleicht noch ein paar hundert. Du meinst also, man hat einfach das Angebot der Nachfrage angepasst, die sich ins Netz verschoben hat? Andererseits, warum liest man noch Zeitung bzw. könnte dies noch tun? Nicht weil man ganz schnell und aktuell informiert werden will, sondern weil man gerne Qualität und Intellekt (auf Papier) hätte - z.B. in Rezensionen. Dem steht natürlich die Ökonomisierung entgegen.

  • Ich würde sagen, dass zumindest in vielen Bereichen die Wertungshoheit noch beim Feuilleton liegt, dort also - vor allem bei "höherer Literatur" - die Entscheidung stattfindet, ob es sich um ein gutes oder nicht so gutes Buch handelt, während die publikumswirksamere und aktuellere Diskussion anderswo stattfindet - bei Bloggern und in Bücherforen. Die Leute, die bei Büchereule und Lovelybooks unterwegs sind, orientieren sich kaum noch am Feuilleton.

  • Früher <hüstel> hat man aus Zeitungen und Zeitschriften von neuen, interessanten Büchern erfahren. Dieser wichtige Aspekt ist längst weggefallen. Besprochen wird sowieso nur noch die Spitze des Eisbergs, wobei fast alle die selben Titel besprechen - ungefähr ein halbes Dutzend pro Woche. Die Wahrnehmungsrealität der Leser ist längst eine andere. Das Feuilleton ist höchstens noch für die Verlage und die Autoren wichtig, für die Leser nicht mehr.

  • So fällt die allgemeine Inhaltsberaubung nun auch der Autorenbranche auf die Füße - die Autoren hätten die gesellschaftliche Entwicklung erkennen und wenigstens gegen sie anschreiben können.

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    Auf den Punkt, Michael! Wobei ich das Wort können gegen müssen noch tauschen würde!

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    "Sinn mag die äußerste menschliche Verführung sein." - Siri Hustvedt

  • Tom: man könnte dem ja abgewinnen, dass damit ein bräsiges Kartell abgeschafft wird, das neben einem ausgesuchten Kreis von Schriftstellern sich selber feiert. Aber solange die Auswahl und die Rezensionen nur ein bisschen was mit Qualität zu tun haben, ist das ein Verlust. Bzw. spiegelt halt die allgemeine Abschaffung von Inhalten (hier Literatur) zugunsten von Unterhaltung, Ablenkung und Ökonomie (hier mehr oder minder Unterhaltsames zum Buchmarkt) wieder.


    Stefanie: Die Welt fühlt sich halt besser an, wenn man sich als Autor in kindliche Fantasiewelten u.ä. flüchtet. Verkindung ist einer der großen Trends unserer Zeit (die Wirtschaftsordnung braucht immer noch mehr Konsum. Konsumieren basiert auf kindlicher Nachahmung).

  • Stimmt, nicht mehr nur Jugendwahn sondern gleich die Verkindlichung ist angesagt.
    Und erschreckend ist, dass Kindern heutzutage genau das Erwachsenenverhalten (im Übertragenen Sinn) abverlangt wird, das die vermeintlich Großen scheuen.

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    "Sinn mag die äußerste menschliche Verführung sein." - Siri Hustvedt

  • Inhalte implizieren doch nicht Ideologie, sondern bloß Nachdenken über das was ist oder vielleicht anders sein könnte ... Entstehen solche Argumente durch Dissonanzreduktion?


    Vor-Verurteilungen - "kindliche Fantasiewelten" zähle ich dazu - sind kein Nachdenken über das was ist sondern Klassifizierungen und Wertungen. Von da ist es nicht mehr weit bis zur Schundliteratur. Auch Forderungen der Art, das Autoren gegen gesellschaftliche Veränderungen anschreiben müssen klingen für mich wie "ideologische Forderungen" aus einem sozialistischen Fundus a la DDR.

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