Zeiten ???

  • Ich werde durch mein Umfeld immer verrückter, was die Zeitformen anbelangt.


    Mein Buch ist aus der Ich Perspektive geschrieben und fertig. Mir selbst geht Präteritum definitiv leichter von der Hand. Allerdings denkt mein Hauptprotagonist immer während des Buches über die Geschehnisse nach. Die sind dann intuitiv im Präsens geschrieben.
    Generell sagte "man" (leute vom Fach) ich solle definitv im Präsens schreiben, weil der Leser dann näher am Geschehen wäre. Dann habe ich das versucht. Finde es selbst aber irgendwie doof.


    Frage:
    1.Kann ich im Präteritum schreiben? Oder stört das den Leser dann?
    2. In welche Zeitform müssen diese Gedankenpassagen?
    3. Wenn sie in der Vergangenheit etwas berichtet, also was schon viel früher geschehen ist. Kindheit oder so. Muss das dann ins Plusquamperfekt?


    Die Fragen mögen vielleicht ein bisschen komisch wirken. Aber mittlerweile hat mich mein Umfeld Zeitentechnisch so wirr im Kopf gemacht, dass ich schon gar nicht mehr weiß was was ist :help :help :help


    Danke für eure Hilfe

  • Im Präteritum zu erzählen, ist gängig und weder störend noch entfernt es den Leser vom Geschehen. Natürlich kann die Erzählung im Präsenz das Geschehen näher an den Leser heranrücken, aber das muss nicht unbedingt sein, manch Leser mag sich dadurch sogar gestört fühlen. Da muss man selbst abwägen, was man für sich und vor allem für die Geschichte (und auch fürs Genre) als passend empfindet.


    Die Gedankenpassagen und auch das aus der "Vorgeschichte" kann trotz allem im Präsenz erzählt werden. Tendenziell würde man bei Vorgeschichte eher Plusquamperfekt erwarten. Aber das ist auch eine Frage der Einleitung und Absetzung. Dem Leser muss einfach und leicht erkennbar klar sein, worum es sich handelt, um einen Rückblick oder Gedankenpassagen. Das ist eine Frage der Technik. Aber absolut legitim, immer nur Plusquamperfekt geht auch, ist aber nicht unbedingt elegant oder schön (kann's auch sein!!).


    Stell doch mal einen Teil des Textes im BT (Besprechungstext) ein. Dann bekommst Du eine Rückmeldung, wie das ankommt, das hilft vielleicht.


  • Stell doch mal einen Teil des Textes im BT (Besprechungstext) ein. Dann bekommst Du eine Rückmeldung, wie das ankommt, das hilft vielleicht.

    Genau das wollte ich auch empfehlen. Anhand eines konkreten Textes kann man sehr viel besser auf diese Fragen eingehen als rein theoretisch. Gerade an der Stelle, wo die stilistische Gestaltungsfreiheit des Autors das Heft in die Hand nimmt und dabei durchaus auch grammatikalische Logik hintanstellen darf (z. B. im oben erwähnten Falle des eigentlich logischen und grammatikalisch richtigen Plusquamperfekts, dessen ungelenke Aneinanderreihung von "hatte" man jedoch elegant umschiffen kann - wenn man es richtig macht), ist praktische Übung angesagt. Also, crazyygirl (welch ein Nick ...), nur Mut: Her mit dem Text, und im Rahmen eines BT werden dir alle Hinweise in erschöpfender Ausführlichkeit zuteil werden. Dafür machen wir BT´s - und u. a. dafür gibt es diesen Verein. :)

  • Manche Kritiker lehnen Präsens als Erzähltempus sogar ab. Präteritum ist das klassische Erzähltempus. Präsens geht aber auch: Es macht den Text filmischer, rückt die Bühne dichter an den Leser ran, verlangsamt den Text aber auch. Wenn man Präsenspassagen in einen Präteritumtext einbauen will (was man darf, aber nicht muss), dann sollte das nach einem logischen Muster erfolgen - also z.B. immer nur dann, wenn die Figur ganz in ihre Erinnerung versunken ist, wie im Traum. Das funktioniert aber auch bei träumerischen Passagen auf der Gegenwartsebene der Erzählung.


    Für Rückblicke gilt: Beim Präteritum als Erzähltempus werden Rückblicke im Plusquamperfekt eingeleitet, dann wechselt man innerhalb des Rückblicks ab dem zweiten/dritten Satz wieder ins Präteritum, alles andere ist unlesbar. Am Schluss der Rückblende ein kleines Signal setzen, damit der Leser weiß: Jetzt geht es wieder in der Erzählgegenwart weiter.


    Und der Vollständigkeit halber: Beim Präsens als Erzähltempus leitet man Rückblenden im Perfekt ein und wechselt dann ebenso ins Präteritum. Hier ist durch den erneuten Wechsel ins Präsens die Rückkehr in die Gegenwart der Erzählung sogar noch einfacher.


  • Und der Vollständigkeit halber: Beim Präsens als Erzähltempus leitet man Rückblenden im Perfekt ein und wechselt dann ebenso ins Präteritum. Hier ist durch den erneuten Wechsel ins Präsens die Rückkehr in die Gegenwart der Erzählung sogar noch einfacher.

    Ja, so geht´s. Aber auch anders. Hier ein Beispiel aus meinem neuen Roman, der über 38 Kapitel im Präteritum erzählt wird. Lediglich ein einziges Kapitel, das 34. nämlich, steht gänzlich im Präsens. Kurzer Auszug zur Verdeutlichung:


    (...) Sie waren nun oben angekommen und machten sich auf den beschwerlichen Weg durch Gestrüpp und Buschwerk, immer an der Kliffkante entlang, in Richtung Lambert’sches Grundstück. Frau Sörensen, erkennbar müde geworden, trottete lustlos hinter ihnen her. Simon nahm die Maglite und ging voran. Als derjenige mit dem wesentlich robusteren Körperbau konnte er sich leichter einen Pfad durch diese Wildnis bahnen als Helene.
    Schweigend arbeiteten sie sich in den nächsten Minuten voran, Zeit für Simon, sich durch den Kopf gehen zu lassen, was er sich gerade hatte anhören müssen. Es schüttelte ihn vor Ekel, als er noch einmal Olsens Geständnis nachlauschte, dem irren Gestammel von der furchtbaren Tat, die er begangen
    hatte.
    Mein Gott, Lisa, was hat er dir nur angetan …


    34


    An jenem Samstagvormittag ist Tjark Olsen in bester Laune. Seine Geschäfte laufen grandios. Noch nie in seinem Leben hat er so viel Geld gehabt.
    Eigentlich hat er nie irgendwelches Geld gehabt.
    Dabei ist es ein Kinderspiel, was sie von ihm verlangen. Ein- oder zweimal in der Woche die Mädchen nachts rüber an den Strand auf der anderen Seite bringen – was soll daran gefährlich sein? Natürlich muss man sich auskennen auf dem Wasser, so wie er. Da kann man nicht jeden gebrauchen. Man muss auch im Dunkeln immer genau wissen, wo man ist und wohin man muss.
    Orientierung, das ist es. Einen Plan haben und schlau sein – und immer aufpassen, dass einem die Bullen nicht auf die Schliche kommen. Vor allem in der Nacht, wenn sie auf dem Wasser herumfahren, um zu kontrollieren.
    Tjark lacht vergnügt in sich hinein. Ihn haben sie noch nicht ein einziges Mal erwischt. Ihn nicht. (...)


    mehr zum Buch


  • Dafür hattest du dann sicher Gründe. Welche denn?

    Das würde ich dir allzu gern beantworten, liebe Christiane, weil ich es für einen gelungenen Kunstgriff halte, aber das würde zu viel über das Buch verraten, die Spannung teilweise herausnehmen. Da krieg ich Ärger mit dem Verlag - und vielleicht auch mit meinem Agenten ... ;)

  • Ich finde die Präsens-Szene auf jeden Fall von der Wirkung her sehr stark.


    Meine Waechter-Kriminalromane habe ich im Präteritum begonnen und ärgere mich jetzt darüber, weil ich mich dauernd mit dem dämlichen Plusquamperfekt herumschlagen muss. Hätte ich doch ... Aber beim nächsten freistehenden Roman werde ich das Präsens mal ausprobieren, der soll auch schneller, aberwitziger werden, vielleicht ist er das richtige Projekt dafür.


    In meinem zweiten Manuskript habe ich die aktuelle Handlung im Präteritum, die Rückblenden ins Jahr 1957 aber im Präsens. Keine Ahnung, was mich da geritten hat. Es fühlte sich einfach richtig an. Als ob ein Fenster aufgeht und man direkt in ein Leben hineinschaut.


    Ich glaube zu ahnen, was du mit den Gedanken des Protagonisten meinst, nämlich wenn die Gedanken sozusagen als Zitat wiedergegeben werden.
    Nicht: Eva fand, dass Adam immer solchen Ärger machte, sondern: Immer macht er solchen Ärger, dachte Eva. Liege ich richtig? Dann ist es natürlich wortwörtlich die Zeit, in der der Protagonist denkt.
    Ich markiere die Dinger immer kursiv, das ist Verlagsusus.

  • Immer macht er solchen Ärger, dachte Eva.


    Oder in erlebter Rede, dann sparst du dir das "dachte Eva". Also einfach nur: "Immer machte er solchen Ärger." Und das im selben Tempus wie der umliegende Text. Mit erlebter Rede hast du die Gedanken, aber nicht im Zitatmodus. Dann muss es auch nicht kursiv sein. Siehe hier .


    Ja, die Rückblenden im Präsens sind ein schönes Stilmittel, wenn es besonders suggestiv sein soll. Der Leser kapiert das leicht, wenn das Präsens mit System gebraucht wird.

  • Tja dann ... Abstrahiert kannst du es nicht begründen?

    Entschuldigung, Christiane - ich kam gestern nicht mehr dazu, ins Forum zu schauen. Und jetzt haben Nicole und du hierzu ja schon zwei wichtige, höchst treffende Sätze gesagt:


    Als ob ein Fenster aufgeht und man direkt in ein Leben hineinschaut. (Nicole N.)

    Ja, die Rückblenden im Präsens sind ein schönes Stilmittel, wenn es besonders suggestiv sein soll. (Christiane S.)


    Beides trifft zu. In meinem Fall ist es so, dass sich die Geschichte um Aufklärung eines zunächst unerklärlichen Kapitalverbrechens mit erheblichem Tempo über einige Umwege aus mancher Sackgasse auf einen Verdächtigen zubewegt, an dessen Schuld keine Zweifel mehr bestehen, dessen Motiv aber nach wie vor nebulös bleibt. Und da erleben wir dann plötzlich im Präsens und damit hautnah den Mordtag aus der subjektiven Sicht des tatsächlichen Täters.
    Das Präsens lässt das o. a. "Fenster aufgehen" und schafft freien Blick mitten in die Gedanken und Gefühle des schwer gestörten Täters. In ihrer beklemmenden, durch das Präsens unausweichlichen Nähe werden die LeserInnen förmlich an die Seite eines Menschen gezwungen, den sie "im richtigen Leben" nicht mit der Kneifzange anfassen würden. Eine Zumutung ist das, nicht weniger, durch diesen stilistischen Kunstgriff fast eine Art Kameradschaft zum Täter zu erzwingen. Mir selbst läuft immer noch die Gänsehaut des Gruselns und des Abscheus herunter, wenn ich Kapitel 34 lese.


    Ich hoffe, meine LeserInnen werden das ebenso aufregend finden ... :D