Eine überwiegend dem Feuilleton bekannte Schriftstellerin hält eine Rede, formuliert ihre Meinung. Die Frau ist frömmelnde Christin. Sie ist bei Suhrkamp, hat u.a. den Büchner-Preis gewonnen. Eine halbwegs intelligente frömmelnde Christin also, möchte man sagen. Ihr Werk kannte ich bislang nicht, womit ich offenbar einer Mehrheit angehöre. Sie redet über In-Vitro-Fertilisation und Homosexuelle mit Kinderwunsch. Sie nennt das "abartig" und bezeichnet die so entstandenen Kinder als "Halbwesen". Masturbation hält sie ebenfalls für suboptimal, vorsichtig ausgedrückt. Zusammengefasst wiederholt sie letztlich nur die Standpunkte einer der größten Kirchen der Welt, nämlich der römisch-katholischen. Auch, wenn sie, wie heute im "ZDF-Morgenmagazin", medizinischen Fortschritt als "unnatürlich" bezeichnet.
"Abartig" ist ein Wort, das man spätestens 1945 wohl aus dem deutschen Wortschatz hätte ausmerzen müssen. "Ausmerzen" hätte man übrigens auch ausmerzen müssen. Und viele andere Wörter. Betriebe man das akribischer und internationaler und ginge man weiter in der Geschichte zurück, bliebe vom deutschen Wortschatz wahrscheinlich nicht mehr viel übrig. In der Reflexion des diktatorischen Sprachmissbrauchs beschränken wir uns aber in aller Regel auf die Nazizeit.
Über das, was diese Frau da gesagt hat, kann man trefflich diskutieren, wenn man das Thema und diese Frau für wichtig genug hält und/oder etwas Zeit übrig hat. Man kann diese Frau natürlich auch kritisieren, gar beschimpfen und beleidigen, wenn einem das hilft. Es scheint ja vielen Leuten grundsätzlich zu helfen, Menschen zu beleidigen und zu beschimpfen, die originelle oder überhaupt nur "andere" Meinungen vertreten. Einer der Merksätze dieser Zeit lautet: Wenn jemand etwas politisch Unkorrektes sagt, ist er ab diesem Zeitpunkt vogelfrei.
Ich bin völlig zweifelsfrei überhaupt nicht der Meinung dieser Frau. Aber ich bin energisch dagegen, ihr das Recht abzusprechen, diese Meinung zu haben und auch zu äußern. Man mag diese Meinung für dumm, unzeitgemäß, gefährlich, gar tendenzfaschistisch oder was auch immer halten, was letztlich eine subjektive (!) Einschätzung ist - am Recht dieser Frau, diese Meinung zu haben und für sie zu werben, ändert das nichts. Diese Meinungshygiene ist die wahre Dummheit. Denkverbote haben noch nie positive Veränderungen gezeitigt.
Dies nur am Rande. Eigentlich missfällt es mir, solche Themen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Mäßig interessante Menschen sagen irgendwas. Und lösen Scheißestürme aus. Tatsächlich missfällt mir das deutlich mehr als die Tatsache, dass Menschen Dummheiten aussprechen. Wozu sie immer und jederzeit das Recht haben und haben müssen. Natürlich hat auch jedermann das Recht auf Widerspruch. Aber es geht hier nicht um Diskurse, sondern um Diktate.