Weltbild meldet Insolvenz an

  • Gerald schreib: "Das ist für die gesamte Buchbranche ein GAU. Denn ohne Katalog würde ein ganz wichtiger Impulsgeber wegfallen."


    Es ist noch nicht lange her, da mußte ich vom Briefkasten mal wieder den Umweg über die "Blaue Tonne" nehmen, nur weil so ein Weltbild-Katalog den Schlitz verstopfte. Meine Frau hatte vor Jahren mal den Fehler begangen, EIN Buch dort versandkostenfrei zu bestellen (es war schlechtes Wetter, meine Frau nicht so gut zu Fuß, Weltbild weit von hier... und nur noch dort war eine Restauflage erhältlich - zu übrigens HORRENDEN Preisen gegenüber unserem einstigen Remittenden-System des "Modernen Antiquariat", aber mit DIESER Praxis ist es ja wohl hoffentlich bald vorbei). Mein Eindruck von dem Katalog, den ich nur mal anblätterte: "Selig ist, was Umsatz macht..." ("Je höher der Absatz..."). Wer bitteschön braucht einen abgespeckten Quelle-Katalog mit angereichertem Buchbereich? Wie viel Werbemüll belastet allein durch diese eine Auflage unnötig die Schöpfung! Natürlich erscheint der Katalog pünktlich zum Anheizen des Konsumterrors zu Weihnachten, wobei der Advent ja ursprünglich eine Zeit des Fastens war (genauso 40 Tage vor Heiligabend wie die 40 Tage Fasten vor Ostern). Aber diese geistlose Gesellschaft dreht so ziemlich alles in das Gegenteil von dem, was Sinn war oder machen würde. Ich wäre froh, wenn solche Auswüchse der Unsinnigkeit wie Weltbild-Kataloge vom Erdboden verschwinden würden - schaun wir mal (in dem verlinkten Artikel wird leider schon ein Katalog 1/2015 angedroht...).


    Würde Weltbild verschwinden, wäre das für mich kein GAU, sondern eine angenehme Nachricht. Und für die Buchbranche, welche annähernd seit der Geschichtlichkeit des Menschen existiert, wäre es noch nicht einmal eine Episode.


    MfG


    Walter Hilton


  • :nuhr

  • Ich denke, dein Beitrag spricht für sich. Wenn es jemand für eine "angenehme Nachricht" hält, dass hunderte von Arbeitsplätzen verschwinden, dann macht mich so ein Geschwurbel nur noch wütend. Nicht nur, weil ich seit mehr als 30 Jahren für diesen Laden gearbeitet habe und noch arbeite, sondern weil ich hautnah mitbekomme, was das für viele Kollegen und deren Umfeld bedeutet. Weißt du, was ed bedeutet, jeden Tag in die Arbeit zu gehen und nicht zu wissen was morgen ist? Was es bedeutet, wenn man dir heute erzählt, alles wird gut, und morgen erfährst du aus der Zeitung, dass wieder 200 Arbeitsplätze wegfallen, und dass deiner eventuell dabei ist (sagt man dir aber erst nach Weihnachten. Frohes Fest!)? Weißt du, was so was mit den Leuten macht? Ich WEISS es, denn ich habe Kontakt mit einigen von ihnen. Sag denen doch ins Gesicht, dass du all das für eine "angenehme Nachricht" hältst! Wie muss man eigentlich drauf sein, um so einen Müll von sich zu geben?

  • @ Gerald Danke für die Antwort. So kann ich Deine Reaktion etwas besser verstehen. Ich sehe aber immer noch keinen Grund, mein Posting als Müll zu bezeichnen - mir Ahnungslosigkeit zu unterstellen, oder mir zu empfehlen, ich solle einfach die Fresse halten.


    Wenn Du seit gut drei Jahrzehnten für Weltbild gearbeitet hast, trägst Du Mitschuld an dem massenhaften Verdrängen von Buchhandlungen und Verlagen aus dem Markt. Dein Mitleid mit diesen zehntausenden Arbeitsplätzen hält sich dabei offenbar sehr in Grenzen, denn ansonsten wärst Du nicht solange dabeigeblieben. Vor allem Bertelsmann mit seiner aggressiven Buchclub-Filialisierung, aber auch schon die Politik von Weltbild (Thalia hatte seinerzeit noch nicht diese Bedeutung) haben mich dazu bewogen, schon sehr rechtzeitig aus dem Bereich (Verlags)Buchhandel zu verschwinden. Ich liebe es nicht, beliebige Verschiebemasse des Großkapitals zu sein. Der Bertelsmann-Club muß nun endlich - nach einem Hoch von 320 Filialen in den 90ern- seine Tore schließen, für die restlichen 520 Mitarbeiter werden Sozialpläne erarbeitet. Ich kann mich noch bestens erinnern, auf welch hohem Roß diese Leute in den 80ern saßen - weswegen ich mich damals schon entschied, einer dergestalten Wirtschaftsform endgültig den Rücken zu kehren. Aber Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall, und jetzt ist es aus mit all dieser Herrlichkeit. Für mich ebenfalls eine angenehme Nachricht. Und mit Weltbild würde es einen zweiten Mitschuldigen an dem Kahlschlag im deutschen Buchhandels- und Verlagssystem mal selbst treffen...


    MfG Walter Hilton

  • … haben mich dazu bewogen, schon sehr rechtzeitig aus dem Bereich (Verlags)Buchhandel zu verschwinden. Ich liebe es nicht, beliebige Verschiebemasse des Großkapitals zu sein. ...


    MfG Walter Hilton


    Lieber Walter,


    du solltest Dir mal Gedanken über »Großkapital« machen. Selbst die größten in der Verlagsbranche - Bertelsmann (11,6 Mio. € Umsatz 2013) - G+J (11,2 Mio € umsatz 2012) - Holtzbrink 1,8 Mrd. € Umsatz 2012 - Weltbild 610 Mio. € Umsatz 2013) - können mit echtem Großkapital (z.B. Monsanto 14,8 Mrd. US$ Umsatz 2010 - Shell 451 Mrd. US$ Umsatz 2013 - Google Inc. 60 Mrd. US§ Umsatz 2013 - Amazon 74 Mrd. US$ Umsatz 2013) nicht wirklich mithalten.


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Lieber Walter,


    ich habe Ende der 70er, Anfang der 80er, BEI Weltbild gearbeitet. Als es die Zeitschriften noch gab. Und danach als Autor, Producer und Agent FÜR Weltbild. Da hab ich meines Wissens keine Arbeitsplätze vernichtet, sondern viele schöne und weniger schöne Bücher produziert (ja, dafür wurde Bäume gefällt, für manche tut's mir aufrichtig leid). Auf diese Weise sind einige Autoren ziemlich glücklich geworden (ich auch) und andere etwas weniger. Aber auch Grafiker, Illustratoren und freie Lektoren haben durch mein Gewirbele verdient (so wie sie das bis heute für so manch anderen Verlag tun). Weißt du was. Das tut mir NICHT leid! Die von dir vermutete Mitschuld an irgendwelchen Verdrängungen könnte ich also wieder mit dem schon einmal verwendeten Smiley beantworten, aber man muss nicht immer nach der Methode: Warum denn sachlich, wenns auch persönlich geht? vorgehen.


    Ich denke, in deiner Zeit im Buchhandel hast du mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch Bücher von mir oder einem meiner Autoren verkauft. Ich gönne dir jeden daran verdienten Cent (okay, damals waren es wohl eher Pfennige...)


    Trotzdem, lieber Walter: Lassen wir's gut sein; uns trennen Welten.

  • @ HD Als ehemaliger Mathematiker ist es mir schon bewußt, daß Bertelsmann und G+J mit ihren gut zehn Milliarden und erst recht Thalia mit knapp einer Milliarde und die Gruppe um Weltbild mit knapp einer halben Milliarde Umsatz nicht gerade zu den "Global Playern" wie amazon gehören (von anderen Wirtschaftsbereichen außerhalb von Medien mal ganz zu schweigen).


    Aber es reichen doch schon ein paar Milliönchen, um viel kaputtzumachen - wie ich in Niedersachsen erleben und von dort (und nicht nur von dort) immer wieder hören mußte. Manchmal gibt es unerwartete Nebeneffekte: so steht nun das letzte funktionstüchtige deutsche Art-Deco-Filmtheater ("Capitol") in Anhalt-Bernburg an der Saale - weil Thalia das Bonner "Metropol", welches kurz zuvor mit erheblichen denkmalpflegerischen Mitteln restauriert wurde, zu einer Filiale umbaute - gegen ein Bürgerbegehren, aber mit "unerwarteter" Schützenhilfe der Justiz.


    MfG Walter Hilton

  • Hei Gerald,


    keine Ahnung, was "Sanierung mit der Axt statt "Weltbild 2.0 " für die Buchbranche bedeutet, aber ich habe das eben gelesen:

    Zitat

    Mich kotzt diese Abzocke-Gesellschaft so was von an. Ich werde mich am Wochenende unter der Bettdecke verkriechen, sonst springe ich dem
    Nächstbesten an die Gurgel. By the way: Die Kanzlei des Insolvenzverwalters liegt keine 100 Meter von unserer Wohnung entfernt.
    Wutvoll: Gerald

    und finde, das hört sich nach einem guten schreibbaren Stoff an. Auch wenn es nur eine mörderische Kursgeschichte wird, ich lese sie!


    Grüße, Die Nina


    p.s.: Ich verstehe nicht ganz, warum ich "Lieber So und So" lese, wenn Euch der Hut vor Wut hoch geht, bei den Zeilen, die ihr schreibt (ok, das ist nur eine Vermutung)?!

  • Tja, liebe Nina, warum nicht einen Thriller schreiben "Der Tod des Insolvenzverwalters"? So, wie ich es sehe, ist diese Berufsgruppe mehr oder weniger genau so beliebt wie Fußpilz.


    Gegen Fußpilz gibt es aber wirksame Mittel …

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    Emanuel von Bodmann


  • Gerald Schrieb: "Ich denke, in deiner Zeit im Buchhandel hast du mit an Sicherheit
    grenzender Wahrscheinlichkeit auch Bücher von mir oder einem meiner
    Autoren verkauft. Ich gönne dir jeden daran verdienten Cent (okay,
    damals waren es wohl eher Pfennige...)"


    Und wieder so eine haltlose Mutmaßung von Dir... Von zu Hause aus bin ich Mathematiker und Astrophysiker (daher auch meine Affinität zur "42"), doch da ich zur Zeit meiner Ausbürgerung schon 11 Jahre totales Berufsverbot in der DDR hinter mir hatte, wußte die Arbeitsverwaltung sich nicht besser zu behelfen, als mich erst einmal zwei Jahre in einer Wegbildungsmaßnahme (aus der Arbeitslosenstatistik) "umzuschulen" (es wäre besser für mich gewesen, ich hätte bis zum letzten Tag in der DDR "Heil Ulbricht/ Heil Honecker" gebrüllt, dann wäre meine Qualifikation auch nicht verfallen...). Da die Arbeitsverwaltung NICHT gemäß SGB I handelt (Ausbildung gemäß personlicher Eignung, Fähigkeit und Neigung), sondern einfach formal eine höhere Ausbildungsförderung verwehrt, wählte ich damals als bestmöglichen Kompromiß eine Umschulung in einer kleinen, aber feinen und ehemals renommierten Verlagsbuchhandlung (ich stamme aus einer alten Buchhändler-/ Verleger- und Antiquariatsfamilie). Ich erhielt ein Übergangsgeld nur unwesentlich über dem Arbeitslosengeld, welches noch nicht einmal meine höheren Spesen gegenüber einem Arbeitslosendasein kompensierte. Ohne die finanzielle Unterstützung meiner Frau, welche damals nebenbei in einer "Altenfabrik" rabottete, hätte ich das "großzügige" (mit angedrohter Leistungseinstellung abgepreßte) "Angebot" der Arbeitsverwaltung gar nicht annehmen können. Auch mein damaliger "Arbeit"geber war nicht auf Rosen gebettet - infolge der zunehmenden "Konzentration" im Buchgewerbe war er schon zu meiner Zeit gezwungen, freitags und samstags nachts gegen Entgelt in einem Hotel Musik zu machen. Kurz darauf war er ganz pleite, ich habe das nur noch mit etwas hinausgeschoben. Angesichts solcher Mißentwicklungen bin ich natürlich NICHT in der Branche geblieben. Von Deinen mir "großzügig" überlassenen "Pfennigen" habe ich bestimmt keinen gesehen. Aber trotzdem: Danke für diese Generösithät!


    Für diese Entwicklung sensibilisiert, habe ich seither dutzende GUTE Verlage/Verlagsbuchhandlungen kaputtgehen sehen. Meine einzige Schwester betreibt im Ausland ein Antiquariat, nachdem mein Schwager einen der bibliophilsten deutschen Verlage des 19. und 20. Jahrhunderts liquidieren mußte. Weder durch die Weltkriege noch durch die Inflation wurde unsere Familie zu solch drastischen Maßnahmen gezwungen, wie jetzt durch die Globalisierung.


    MfG Walter Hilton