Endlich bin ich auch mal mitgemeint!

  • ich beziehe mich auf achims antwort an mich:


    Altbekanntes Vorurteil. Ich könnte hier das dein erstes Zitat aus dieser Antwort wiederholen: man kann es nur falsch machen. Die gleichen Leute (Politiker/Juristen), die von uns eine verständliche Amtssprache fordern, hängen uns zum Trocknen auf die Leine, wenn wir kein - und jetzt halt dich fest - rechtskonformes und rechtssicheres Deutsch verwenden. Diese ganzen so verschwurbelt klingenen Begriffe und Formulierungen sind Fachtermini. Wenn ich mich (inhaltlich-rechtlich) missverständlich ausdrücke, um dem Bürger verständlich zu schreiben, dann bin ich - und zwar persönlich - für die Rechtsfolgen verantwortlich. Denn wie ein Bescheidtext zu verstehen ist, darüber hat nicht der Beamte, der den Text geschrieben hat, die Deutungshoheit, sondern letztlich das Verwaltungsgericht.

    meistens geht es gar nicht um sog. fachtermini, sondern um sog. unbestimmte rechtsbegriffe. die muss behörde eindeutig und klar mit leben füllen. ein beispiel, mit dem ich mich gerade beschäftigen musste:


    ein naturschutzamt hat einem bauern angeordnet, seinen melkstall in einer der umgebung angepassten farbe zu streichen. der bauer fragt sicherheitshalber nach, welche farbe die behörde meint. die behörde teilt ihm fernmündlich mit, die könne er sich aussuchen. der bauer freut sich und sucht sich die farbe also aus. doch das unglück nimmt seinen lauf, denn die behörde findet, das sei keine farbe wie im bescheid aufgeführt. er soll neu streichen. sie ordnet den vollzug an und setzt zwangsgeld fest. der bauer sagt ?!? und klagt vor dem verwaltungsgericht. die richter geben ihm recht. auch ein rechtskräftiger bescheid kann nicht vollzogen und schon ganz und gar nicht mit zwangeld durchgesetzt werden, wenn behörde nicht in der lage ist, dem adressaten ihrer bescheide klar und deutlich zu machen, was sie denn nun von ihm will. gerichtsurteile, gerade von verwaltungsgerichten, sind häufig überraschend pragmatisch und gar nicht verschrobelt :like

  • Liebe Stefanie,


    die Nachricht über die Uni Leipzig ist natürlich nur eine Kleinigkeit, wenn auch meiner Ansicht nach eine ziemlich absurde. Das könnte man mit einem Kopfschütteln abhaken. Ich empfinde diesen Beschluss jedoch als ein Puzzleteilchen einer umfassenden Kampagne, die in den letzten Jahren zunehmend an Fahrt gewinnt. Ich sehe mich einem ständigen Bombardement an gut gemeinten Zumutungen über unser ganz alltägliches und privates Leben ausgesetzt. Darüber, was man alles nicht sagen darf, kann man inzwischen ganze Bücher schreiben. Das N-Wort, das Z-Wort und all die anderen, und die ganzen Genderbereinigungen führen in öffentlichen Verlautbarungen und auch in den Medien zu krampfhaften Umschreibungen und Eiertänzen, um nur ja in keines der rundum aufgestellten Fettnäpfchen zu treten. Beispiele sind die neue StVO, die Bereiningung von Kinderbüchern von unerwünschten Worten, die Angst in den Medien, bei Straftaten zu sagen, welcher Bevölkerungsgruppe die Täter zugehören. Man muss jetzt immer erst googeln, wer sich hinter den ominösen Jugendlichen verbirgt. Die Pläne der EU Lehrmaterialien von Geschlechterprägungen zu befreien, was die nächste große Säuberungswelle sein wird. Dazu kommt noch all das ach so gut gemeinte Drängen, was man essen und nicht essen soll und was schrittweise verboten wird, eine Tendenz die inzwischen mit Glühbirnen- und duschkopverboten schon in die Intimzonen vordringt.


    Du wirst jetzt vielleicht sagen, dass hat doch alles nichts miteinander zu tun. Doch das hat es, und das eben ist das Problem. Wir sollen gezähmt und zurechtgeschliffen werden, das "Richtige" tun, essen, sagen und denken. Bei jeder Regung, Handlung und Verrichtung sollen wir uns prüfen. Ich nenne das totalitären Gesinnungsterror, was übrigens auch eine eminent religiöse Komponente hat. Und das ist der Grund, warum ich dazu neige, auch bei kleinen Anlässen zunehmend polemisch zu reagieren.

    Ich gebe dir absolut Recht, lieber Siegfried, dass diese Gängelei langsam Ausmaße annimmt, die unerträglich sind. Ich verstehe weder das Nichtrauchergesetz, noch kann ich diese fürchterlichen Glühlampen leiden bzw. den Zwang sie zu nutzen. Ich bin beruflich viel in Grundschulen unterwegs und wie da schon kleine Menschen gegängelt werden macht mir Angst. Sie müssen von der Mülltrennung über Benimmregeln bis hin zu mönchischer Empathie alles lernen, wozu ich ein halbes Leben gebraucht habe. Von der Institution Schule aufgedrängt...und weißt du, warum das so ist? Weil die Eltern das den Kindern eben nicht mehr beibringen. Erziehung, Wertevermittlung findet in der Instition Schule statt. Genau so, wie intergeneratives Miteinander jetzt von Mehrgenerationenhäusern organisiert wird und man nur noch seinen Körper auf Trab bringt, in dem man den Fernsehcoach zuhause hat.
    (nebenbei möchte ich hier noch einen Schlenk zum anderen Fred der Woche machen: nämlich die Befürchtung äußern, dass wir auf dem besten Wege sind, wieder so eine steuerbare Gesellschaft zu werden, die wir zwischen den Weltkriegen waren)
    Ich denke, dass die Sprache das mächtigste Mittel ist, um zu lernen. Wir denken und sprechen was wir sind. Und - das sagt Horst-Dieter weiter oben ganz richtig: wir können uns über neue Begriffe auch verändern.
    Aus dem Grund allein bin ich neugierig auf dieses Leipziger Experiment.
    Dass Handlungsbedarf in der vielzitierten und verhohnepipelten Frauenfrage besteht kann keiner bezweifeln, solange es Gewalt gegen Frauen gibt. Hier bei uns tut sich eben was auf bereits hohem Entwicklungsniveau. Und jeden Mann, der das begrüßt, statt es einfach abzuwatschen, könnt ich küssen...weil ich ihn so als extrem selbstsicher und männlich finde...so!

    [buch]3866855109[/buch]


    "Sinn mag die äußerste menschliche Verführung sein." - Siri Hustvedt

  • Der Fehler liegt bei Fernmündlich.


    Isso.


    Ich habe viele, viele Kämpfe mit Behörden und Gerichten durch, ich mach nichts - nienimmernicht - fernmündlich.

    nö, das ist egal, ob telefon oder im amt antanzen oder schreiben. isso.  
    einzig und allein wichtig, wer ärger mit behörden hat, darf niemals nie zögern, sich von eimem guten rechtsbeistand vertreten zu lassen.

  • gerichtsurteile, gerade von verwaltungsgerichten, sind häufig überraschend pragmatisch und gar nicht verschrobelt :like


    Komisch, dass ich ca. 98% meiner VG-Verfahren gewonnen habe ")" . Der Fehler lag hier wohl tatsächlich bei der Behörde, aber eben nicht in der verschwurbelten Sprache (Substantivismus etc.) sondern es ist tatsächlich ein inhaltlicher Fehler. Insofern ist dein Beispiel nicht treffend.

  • inhaltlicher fehler war es ja nicht. die idee der naturschützer war ja nett gemeint. der melkstall sollte teil des waldes sein, damit die naturlandschaft möglichst erhalten bleibt. ein guter gedanke, aber womöglich gar nicht umsetzbar, außer das dings kommt wieder wech

  • Ich drück mich wahrscheinlich zu verschwurbelt aus =) . Du hast natürlich recht, das Anliegen der Behörde ist nachvollziehbar. Ich meinte den Inhalt des Bescheides (nach Verwaltungsverfahrensgesetz).
    Was ich an dem Fall sehe: Die Kollegen hätten den Bescheid hier auch in schönstem Kinderbuchdeutsch verfassen können, er wäre trotzdem rechtswidrig gewesen, weil nicht hinreichen bestimmt gewesen ist (auch so ein Fachterminus :D ).
    Sei es drum. Ich will die Leute da nicht schelten, mir unterlaufen auch Fehler. Entgegen manchem Vorurteil sind Beamte auch nur Menschen.

  • Gestern Leipzig, heute Potsdam - und wer weiß: morgen vielleicht Köln?


    Meine Lieblingsstelle:


    Zitat

    Die bislang durch die Genderisierung "verhunzelten" Texte sollten wieder
    besser lesbar sein. Hätte das Gremium sich aber nur für männliche
    Bezeichnungen entschieden, hätte es Ärger von Feministinnen gegeben,
    sagte Albrecht.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)