Ich habe den Namen kurz in meiner jüngsten Rezi erwähnt und prompt Privatpost erhalten, also hole ich jetzt mal nach, was ich längst hätte tun sollen, nämlich: Hamilton vorstellen. Einzelrezis zu den fast zwanzig Büchern, die ich inzwischen von ihm gelesen habe, haben aus meiner Sicht keinen Sinn.
Vor etwa zwei Jahren habe ich, eingefleischter SF-Fan, der ich bin, einen neuen Autor für mich entdeckt, nämlich Peter F. Hamilton. Ich bin eigentlich kein Freund von Sagas oder Zyklen, bevorzuge also in sich abgeschlossene Einzelromane. Ausnahmen habe ich bisher nur beim unglaublich klugen Iain Banks gemacht, der ja immer wieder Romane in seinem "Kultur-Universum" ansiedelt, wobei Banks weitgehend auf inhaltliche Bezüge zwischen den Romanen verzichtet - man kann die Bücher in fast beliebiger Reihenfolge lesen - also auch das erste aus der Serie, nämlich "Bedenke Phlebas" zuletzt. Gemein ist Hamilton und Banks, dass sie angeblich "Space Operas" schreiben, was gemäß Wikipedia das hier bedeutet: "Die Space Opera (auch Weltraumoper) ist ein Genre der Science-Fiction, in dem es vorwiegend um romantische Abenteuer, fremde Welten und Völker, Überlichtgeschwindigkeitsreisen und Raumschiffkämpfe geht, wobei jedoch nicht zwangsläufig immer alle diese Themen behandelt werden." So ganz kann ich dieser Definition nicht folgen, aber sie hat - wie alle nachgereichten Definitionen - auch den Nachteil, dass sich die Autoren nicht an ihr orientieren. So werden beispielsweise auch die bahnbrechenden "Hyperion-Gesänge" (Dan Simmons) der Space-Opera zugeordnet, wie eben auch Banks' "Kultur-Zyklus", aber beide haben so viel gemein wie die Bücher von Philip Roth und Günter Grass (also ein bisschen was).
Wie gesagt, ich habe Hamilton, der den ersten Teil seiner "Armageddon"-Saga bereits 1996 veröffentlicht hat, erst kürzlich entdeckt. Vorweg: Keines auch der älteren Bücher wirkt heute irgendwie veraltet, und es gibt kaum technische Aspekte, die von der Realität überholt wurden. Was übrigens sehr verblüfft, denn die Zukunftswelten, die der Autor skizziert, verbinden enorme technische Fortschritte mit aktualisierter Jetztzeit-Technik. So bewegt man sich im "Commonwealth-Zyklus" zwar mit Hilfe von Wurmlöchern von einem Planeten zum anderen, aber man sitzt währenddessen in der Eisenbahn. Aber - eins nach dem anderen.
Das Hauptwerk Hamiltons besteht aus drei Zyklen, von denen zwei zusammengehören. Die deutschen Fassungen sind auf sehr viel mehr Bände aufgeteilt als die Originale. So bestand die amerikanische Fassung des "Armageddon-Zyklus'" aus drei Romanen, die deutsche aber aus sechs, die insgesamt übrigens mehr als 5.000 Seiten umfassen. Beginnen wir doch damit:
Der Armageddon-Zyklus
Entstanden zwischen 1996 und 1999.
Die Menschheit hat das All kolonialisiert, wobei nach einigen, anfänglichen gemischt-ethnischen Kolonien im Prinzip nur noch ethnisch "reine" Welten entstanden sind, die aber friedlich interagieren. Zwischen den Planeten und Sonnensystemen bewegt man sich mit Fusionsantrieben oder per Wurmloch-Sprung, wobei temporäre Wurmlöcher von den Raumschiffen selbst generiert werden. Die Menschen sind mit "neuronaler Nanonik" und "Datavis" ausgestattet, haben also einerseits Zugriff auf jede Menge Daten und interne Subroutinen, die etwa ihre Sinne verstärken, können aber auch wortlos kommunizieren. Zwei Gruppen haben sich aufgespalten, nämlich die Adamisten und die Edeniten. Adamisten sind im Prinzip Puristen, die zwar Nanonik usw. benutzen, aber nicht das bahnbrechende "Bitek", das Organik und Technik verbindet - und denkende Konstrukte zulässt, die so groß wie Planeten sein können und auch die Bewusstseine von Menschen in sich aufnehmen können, nämlich die von Edeniten. Auf einer neuen Kolonialwelt namens "Lalonde", auf der die ersten beiden Bände spielen, öffnet ein verbrecherischer Typ vermeintlich ein Tor zum Jenseits, findet also einen Weg, um tote Seelen in lebende Körper zurückkehren zu lassen. Diese "Besessenen" verfügen dann über "energistische" Kräfte, sind praktisch unbesiegbar, und sie starten ihren vernichtenden Feldzug durch die Konföderation.
Das sind die Bände aus dem Zyklus in der hoffentlich richtigen Reihenfolge (die scheußlichen Cover sollte man ignorieren):
ASIN/ISBN: 3404232216 |
ASIN/ISBN: 3404232224 |
ASIN/ISBN: 3404232275 |
ASIN/ISBN: 3404232283 |
ASIN/ISBN: 340423233X |
ASIN/ISBN: 3404232348 |
Der Commonwealth-Zyklus
2004/2005
Die Geschichte beginnt damit, wie ein Astronom ein in "Dyson-Sphären" gehülltes Zwillings-Sternensystem beobachtet, wobei sich just im Moment der Beobachtung einer der beiden Sterne wieder enthüllt, innerhalb von Sekundenbruchteilen. Die Menschheit, die einen Gutteil der Galaxis mit Wurmlöchern verbunden hat, wobei die Planeten weitgehend von Unternehmen kontrolliert werden, beschließt, nach langer Zeit wieder ein Raumschiff zu bauen, um nachzusehen, was dort - vor 600 Jahren - geschehen ist. Sie werden entdecken, dass dort eine kollektive Spezies lebt, die mit den "Borg" aus Star Trek wenig gemein hat, aber kaum weniger angriffslustig ist, denn sie missversteht ihr eigenes Dasein als Zwang zur Expansion. In einer von vielen Parallelhandlungen wird davon erzählt, wie sich eine Guerillatruppe auf einem entfernten Planeten für einen Krieg gegen den "Starflyer" wappnet, von dem aber nur sie selbst glaubt, dass er überhaupt existiert - weil die Verschwörung dieses Wesens so clever ist, dass sie eben von niemandem bemerkt wurde. Während also die bösartige Spezies, die von wem auch immer in eine Sphäre gehüllt wurde, ihre Fühler in Richtung "Commonwealth" ausstreckt, versuchen die "Guardians of Selfhood" mit allen Mitteln, die Verschwörung des Starflyers zu sabotieren. Die Menschen sind übrigens zu dieser Zeit weitgehend unsterblich, wenn sie es sich leisten können, in die "Juvenation" zu gehen, was umgekehrt bedeutet, dass das "Commonwealth" seinerseits laufend expandieren muss, um die unaufhörlich wachsende Bevölkerung unterzubringen. Über diesem Zyklus steht die Frage, ob ein Genozid an jener aggressiven Rasse eine moralisch vertretbare Lösung wäre, weil bzw. obwohl gerade diese Rasse keine Moral kennt.
ASIN/ISBN: 3404232909 |
ASIN/ISBN: 3404232933 |
ASIN/ISBN: 3404233301 |
ASIN/ISBN: 3404233042 |
Die Void-Saga
2007-2010
Die Saga um die "Leere" spielt auch im "Commonwealth"-Universum, aber 1.500 Jahre später, was nur wenige Protagonisten daran hindert, noch am Leben zu sein, dank "Juvenation" und einiger weiterer Entwicklungen, die es inzwischen gegeben hat. Irgendwo im All dehnt sich ein Bereich immer weiter aus, der leer zu sein scheint, aber umliegende Planeten und Sternensysteme "frisst". Mit dieser "Leere" scheint ein "Träumer" in Verbindung zu stehen, der eine überbordende, fantasyartige Geschichte träumt - und zugleich mit allen Menschen teilt. Dieser Traum verheißt eine heile, glücklichmachende Welt im Inneren der Leere, weshalb es auch eine Religion gibt, die sich zum Ziel gesetzt hat, eine gewaltige Pilgerfahrt dorthin zu veranstalten. Andere aber nehmen an, dass genau das die Vernichtung des gesamten Universums zur Folge haben könnte. Die "Void"-Saga ist allein für die unfassbar ideenreiche und wunderschön erzählte Traumhandlung die Lektüre wert, aber längst nicht nur dafür.
ASIN/ISBN: 3404285352 |
ASIN/ISBN: 340428531X |
ASIN/ISBN: 3404285409 |
ASIN/ISBN: 3404200128 |
Allen Romanen ist gemein, dass sie vor Ideen sprühen, sehr, sehr intelligent erzählt sind und tief in ihr Personal eindringen. Die Schar der Figuren ist unglaublich groß, aber nicht unüberschaubar, und auch wenn man als Leser oft nicht einmal ahnt, was eine der vielen Seitenhandlungen mit dem Gesamten zu tun hat, ist das doch immer der Fall. Hamiltons Welten sind stringend und klug gebaut, und sein Fantasiereichtum sucht seinesgleichen. Der Autor ist sich auch für simples Sex and Crime nicht zu schade, aber es hat fast immer Sinn, denn es lässt die gewaltigen Erzählungen authentisch wirken - man taucht nachgerade in die Welten ein. Einzig die Enden der Zyklen sind, nun ja, halt irgendwie Enden - es muss sie ja geben. Ob die zwar spektakuläre, aber doch ziemlich geradlinige Auflösung etwa des "Commonwealth-Zyklus'" überzeugt, muss jeder für sich selbst entscheiden, aber Lesespaß auf dem Weg dorthin ist garantiert.
Fazit: Für mich einer der ganz großen der aktuellen SF. Ein großartiger Erzähler, kreativ wie kaum ein anderer, technisch versiert und fast schon brillant. Es gibt Nörgelei bestenfalls auf hohem Niveau - so gefallen Hamilton Raumschlachten offenbar so gut, dass er sie wie festliche Feuerwerke schildert, und manch eine Idee (wie "enzymgebundener Beton") wird so oft wiederholt, dass man ihre nächste Nennung schon antizipieren kann. Aber ohne das wäre es auch fast schon zu perfekt. Für Freunde des Genres und der intelligenden SF eine dringende Empfehlung!