Hanns Kneifel ist gestorben

  • Hanns Kneifel bewegte sich in den
    unterschiedlichsten Genres, als ob jedes ein Zuhause sei. Ob
    Historie, Fantasy, Science Fiction, Mythologie u. a.: Die Handlungen,
    die er erzählte, die Schauplätze, die er beschrieb, alles zeugt von
    Sachkenntnis und scheint in seinen Worten gleichsam den Sprung von
    der Fiktion in die Realität zu machen, so echt wirkt es.



    Nicht von Perry Rhodan her kenne ich
    Hanns Kneifel (ich werde es nachholen), aber von „Die Spur des
    Widders“ und von einem der „Falkenherz“-Romane. Bereits nach
    wenigen Seiten, mitunter sogar Zeilen hat man das Gefühl, dass sehr
    viele ob ihrer stilistischen Originalität und Raffinesse in den
    Feuilletons gelobten Autoren ihm zumindest an Umfang des aktiven
    Wortschatzes nachstanden. Bei ihm habe ich zum ersten Mal von
    „Kehrwassern“ (Widder, S. 468) gelesen, und nicht jeder, gar
    einer der Genre-Autoren, würde sich, die Vorschrift missachtend,
    trauen, die Verbklammer zu schließen: „Zwischen den Felswänden
    widerhallten die Schreie“ (S. 334). Vergleiche und Metaphern
    sitzen: Fischadler kreisen „mit gelassenem Flügelschlag“ (S.
    528), in „den Augenwinkeln hockten Tränen der Müdigkeit“ (S.
    556) – hier sind zwei Metaphern verschränkt, ohne dass es
    künstlich oder gesucht wirkte. Zwar ist Kneifel gelegentlich den
    Gefahren der Adjektivitis nicht entgangen, aber was er erzählt,
    beeindruckt durch sinnliche Präsenz. Ich wollte, ich hätte einen
    kleinen Teil dieser Fähigkeit und einen kleinen Teil der
    unglaublichen Leichtigkeit und dennoch Sicherheit, mit der formuliert
    zu haben scheint.



    Analysen gegenwärtiger
    Befindlichkeiten hat er anderen überlassen, aber, wie Wolfgang
    Hohlbein, Kai Meyer, Karl May, hat er – erzählt. Nur wenige können
    sich offensichtlich in beiden Bereichen bewegen, wie Ludwig Tieck,
    oder wie Georges Simenon. Schade, dass die Erzählforschung solchen
    Erzählern wie Hohlbein („Hagen von Tronje“), Meyer (die
    Brüder-Grimm-Romane) oder Kneifel bislang keine oder nur äußerst
    geringe Aufmerksamkeit schenkt.

    Non quia difficilia sunt, multa non audemus, sed quia non audemus, multa difficilia sunt. Seneca
    [Nicht weil es schwierig ist, wagen wir vieles nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist vieles schwierig.]