Julian Bream: My Favorite Albums

  • Natürlich kannte ich Anfang der 70er Segovia bereits und schätzte ihn so als eine Art Gesamtkunstwerk. Und es war auch eine gehörige Portion Bewunderung dabei, was der Alte – er war damals ja immerhin schon fast 80 – mit seinen Wurstfingern aus dem Instrument herausholte. Keine Frage. Aber irgendwie wurde ich mit seiner Musik trotzdem nicht warm. Das was er sich an agogischen und dynamischen Freiheiten herausnahm wurde von mir nicht immer gebilligt (auch wenn ich das damals so noch nicht hätte formulieren können). Dann hatte ich einmal etwas mehr Geld als üblich in der Tasche und ging in einen Plattenladen. Heraus kam ich mit einer Platte des jungen Leo Brower (die der spätere Komponist noch selbst eingespielt hatte) und einer Kassette mit zwei LPs von Julian Bream (Gitarrenmusik aus drei Jahrhunderten). Eigentlich war das gar nicht so geplant. Ich wollte was von Jimi Hendrix oder ähnliches. Da man sich damals aber die Platten noch im Laden anhörte und die Kassette von Bream vor der Ecke ‚Rock/Pop‘ stand kam ich gar nicht erst so weit. An der Platte von Brower fand ich damals die Leichtigkeit, mit der er die Stücke von Gaspar Sanz spielte, überraschend - es wirkte auf mich berückend schön. Und die Stücke auf der zweiten Seite, Cimarron von Henze und eine eigene Komposition von Brower, die fand ich sowas von abgefahren, dass die einfach mitmusste. War auch nicht teuer, da sie unter dem Debut-Label der Deutschen Grammophon herausgebracht wurde. Von Bream hatte ich damals nur bis zum dritten Stück gehört (Tombeau sur la mort de M. Comte de Logy von S.L. Weiß, nach zwei Stücken von Bach) und dann gab es kein Überlegen und ‚Für und Wider‘ mehr. Mein finanzieller Etat war wieder auf dem üblichen Niveau und ich zog mit den neuen Platten heim.


    Julian Bream berührte mich wirklich. Er war Gitarrist, natürlich, aber in erster Linie Musiker. Er brilliert nicht vordergründig mit stupender Technik, sondern interpretiert die Musik, die Komponisten niedergeschrieben hatten. Seine Technik ist selbstverständlich enorm, man kann keine Begrenzungen hören, aber sie tritt hinter die Musik zurück. Außerdem enthielten die beiden Platten wenig Gitarrenstandardrepertoire. Natürlich, da war unweigerlich das d-moll Präludium von Bach, das viele Gitarristen ja fast als originär für ihr Instrument geschrieben ansehen, da war Villa-Lobos mit seinem Choros Nr. 1. Und da waren die Spanier Torróba, Albéniz, de Falla und Turina, von denen nur der erste tatsächlich für die Gitarre geschrieben hatte, die Musik der anderen von den Gitarristen aber schon so vereinnahmt war wie die Lautenmusik von Bach. Zusätzlich fand sich auf den Platten aber auch Musik von Domenico Scarlatti, Maurice Ravel, Luigi Boccherini, Joaquin Rodrigo und Benjamin Britten. Letzterer mit dem Nocturnal, das er nach Motiven Dowlands extra für Julian Bream geschrieben hatte. Aber, ob nun für Gitarre komponiert oder nur für Gitarre arrangiert – die Musik klang authentisch und Willkürlichkeiten wie bei Segovia, bei aller interpretatorischen Freiheiten die sich Bream nahm, konnte man nicht finden. Bald darauf bekam ich mit The Woods so Wild eine LP geschenkt, auf der Bream Laute spielte. Auch das hat mich damals berührt und vor allem für die Laute interessiert, die ich nur am Rande und eher oberflächlich beachtet hatte bis dahin. Heute weiß ich, dass Bream kein originärer Lautenist ist, dass er das Instrument seiner Gitarrentechnik angepasst hat. Ich höre ihn trotzdem noch ab und an auf der Laute weil auch da das Phänomen, dass er als Musiker unabhängig vom Instrument das Werk darbietet, trotz allem überzeugt. In letzter Konsequenz ziehe ich das aller vermeintlichen Werktreue vor.


    ASIN/ISBN: B001DD0HPG


    Nun ist eine Kassette mit 10 CDs erschienen, die kein Zusammenschnitt, kein Sampler ist, sondern aus dem vielfältigen Werk des Musikers 10 originale Alben, die Bream auf Schallplatte eingespielt hat - allein oder mit anderen - zusammenfasst. Sie liegen in der Kassette in Papphüllen die eine Verkleinerung der damaligen LP-Hüllen sind. Die CDs wurden auf der Oberseite mit einem Aufdruck versehen, der an eine Schallplatte erinnern soll. Die erste heißt „The Art of Julian Bream“ und erschien 1960. Es war bereits eine Art „Best of“, denn Bream hatte da seine ersten Erfolge und Tourneen in Europa und Amerika schon hinter sich, aber es war trotzdem seine erste LP, aufgenommen 1959. neben Frescobaldi, Scarlatti und Cimarosa findet sich u.a. auch die Sonatina Op. 52 von Lennox Berkeley, die Pavane von Ravel und die von mir bis heute geliebten ‚En los Trigales‘ von Joaquin Rodrigo auf der Scheibe. CD 2 enthält die Lautensuiten von Bach (1966), CD 3 Romantic Guitar Musik von Paganini, Mendelssohn, Schubert und Tarrega (1970), CD 4 Lautenmusik - The Woods So Wild - von Dowland, Byrd, da Milano u.a. (1972), CD 5 Kammermusik - Julian Bream and His Friends - von Boccherini und Haydn (1968), CD 6 zeitgenössische Musik - 20th Century Guitar - von Smith Brindle, Britten, Martin, Henze und Villa-Lobos (1967), CD 7 Orchesterkonzerte von Rodrigo, Vivaldi & Britten (1964), CD 8 Villa Lobos, die 12 Etüden vollständig und die Suite populaire brésilienne (1978), CD 9 die Liveaufnahme mit John Williams (1979), heute immer noch ein Genuss und die CD 10 Musik von Granados und Albeniz (1983).


    In der Summe ist das ein besserer Querschnitt als jede andere Zusammenstellung. Selbst die Überschneidung bei Villa-Lobos (12 Etüden) ist interessant, weil man sich die Unterschiede der ungefähr fast ein Jahrzehnt auseinander liegenden Einspielungen anhören kann. Deutlich auch hier, dass Bream fast komplett das romantische Repertoire von Carulli-Giuliani-Sor ausklammert und lieber auf Transkriptionen setzt. Nicht zu Unrecht, denn bei Carulli findet sich gar keine, bei Giuliani und Sor nur wenig wirklich großartige Musik. Natürlich hat Bream im Laufe seines Lebens auch davon etwas eingespielt, aber in der Summe ist das fast ein Nichts, wenn ich sein Gesamtwerk einmal mit Abstand betrachte.


    Die Kassette ist deshalb nicht nur wegen des ausgesprochen günstigen Preises (wenig über 20 Euro) die Anschaffung wert. Wer sich über den Musiker informieren will, geht besser gleich in die englische Wikipedia. Der deutsche Beitrag in diesem Online-Lexikon bietet kaum hilfreiche Informationen.


    Eine gute Ergänzung übrigens ist die DVD !Guitarra!, die eine Fernsehsendung in mehreren Folgen aus dem Jahr 1985 enthält. Bream führt durch die Geschichte der Gitarrenmusik in Spanien seit der Renaissance, mit Erläuterungen und Beispielen, teilweise auf historischen Instrumenten bzw. deren Nachbauten gespielt. Auch wen dies nur ein Ausschnitt aus der Geschichte und dem Repertoire der Gitarre ist, so ist es doch sehens- und vor allem hörenswert.


    ASIN/ISBN: B000936H78


    Das Bream durchaus für Grenzüberschreitungen gut war, zeigt dieser Videoausschnitt, in dem er mit Ali Akhbar Khan improvisiert.


    Wer Zeit hat, schaut und hört sich das Concierte Aranjuez von Rodrigo mit Bream an:


    1. Satz


    2. Satz


    3. Satz

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    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Oh, das muss ich haben! Ich habe Bream immer geliebt und hatte eine Reihe seiner Aufnahmen (auf Vinyl) - und in meinem CD-Regal ist nur eine einzige poplige Scheibe. Toll, danke für den Tipp!
    (Und danke für die späte Erklärung, warum ich ihn Segovia immer vorgezogen habe. Jetzt weiß ich es. :-))

  • Hallo Horst-Dieter,


    ich sollte eigentlich arbeiten und arbeite irgendwie auch, wollte aber kurz einwerfen: der für mich schönste und erhellendste Beitrag von dir, den ich in diesem Forum kenne - auch wenn ich nicht alle kenne, also noch woanders solche Perlen verborgen sein mögen! Hervorragend! Der 10er-Koffer ist gewißermaßen gestern bestellt! Mein Favorit darunter: die Etüden von Villa-Lobos, die klingen, als hätte einer die Chopin-Etüden für Gitarre transkribiert!

  • Oh, das muss ich haben! Ich habe Bream immer geliebt und hatte eine Reihe seiner Aufnahmen (auf Vinyl) - und in meinem CD-Regal ist nur eine einzige poplige Scheibe. Toll, danke für den Tipp!
    (Und danke für die späte Erklärung, warum ich ihn Segovia immer vorgezogen habe. Jetzt weiß ich es. :-))


    Ich hoffe, dass ist nicht diese:


    ASIN/ISBN: B000003F1J


    auf der Fernando Sor mit seinen Mozart-Variationen unter die Barockkomponisten eingereiht wurde :affe Derjenige, der diese CD zusammengestellt hat, gehört an den Hoden (falls es eine Frau ist: an den Fußnägeln) aufgehängt ;)

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  • Hallo Horst-Dieter,


    ich sollte eigentlich arbeiten und arbeite irgendwie auch, wollte aber kurz einwerfen: der für mich schönste und erhellendste Beitrag von dir, den ich in diesem Forum kenne - auch wenn ich nicht alle kenne, also noch woanders solche Perlen verborgen sein mögen! Hervorragend! Der 10er-Koffer ist gewißermaßen gestern bestellt! Mein Favorit darunter: die Etüden von Villa-Lobos, die klingen, als hätte einer die Chopin-Etüden für Gitarre transkribiert!


    Lieber Thomas,


    das dieser Beitrag so eine Art »Rache« war, kann ich ja jetzt offen sagen. Nachdem du mich verführt hast, eine CD mit Rossini-Arien (von der Bartoli) zu bestellen und anzuhören, musste ich mich ja irgendwie revanchieren. War aber nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Das erste Hören habe ich unbeschadet überstanden. Interessanterweise habe ich, obwohl ich bis dato noch jungfräulich in Sachen Rossini war, einige Melodien erkannt, was aber daran liegt, dass dessen Melodien bei einigen Gitarristen und Komponisten für die Gitarre so beliebt waren, dass die Variationen dafür geschrieben haben (Carulli, Giuliani z.B.).


    Ähnliche Beiträge findest du übrigens durchaus noch im Vorführraum, zur Minimal Music zum Beispiel, E.T.A. Hoffmann und Mike Oldfield.

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  • … - aus irgendeinem völlig unerfindlichen Grund. Wahrscheinlich hab ich sie mal im Vorbeigehen irgendwo mitgenommen. Ist aber hübsch, ich mag Dowland.


    Dann hast du ja Glück, denn die ist in der Box nicht enthalten. Trotz aller Verehrung für Bream muss man aber sagen, dass es mit Laute inzwischen bessere Einspielungen der Dowlandschen Musik gibt. Etwa Paul O'Dette


    ASIN/ISBN: B0000007HU


    Jakob Lindbergh


    ASIN/ISBN: B001716JQ0


    oder


    Nigel North


    ASIN/ISBN: B002N5KEBU


    Mir persönlich gefallen die Aufnahmen von Nigel North am besten.


    Allerdings ist von Dowland ja nicht nur instrumentale Lautenmusik vorhanden. Einen schönen Überblick gibt


    ASIN/ISBN: B000LSA7WC


    Eine richtige Offenbarung ist allerdings diese CD


    ASIN/ISBN: B001DCQJ72


    Die Stimme von Dorothee Mields ist das Hören schon wert, wobei die begleitenden Santana und Hille Perls alles andere als beliebige Zugaben sind.

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  • Das war jetzt fies. Ich mag Dowland wirklich. Muss ich mir jetzt alles zulegen. Schnüff.


    Nein, musst du nicht. Von den 3 Gesamteinspielungen reicht wirklich eine.

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  • Wem 10 nicht reichen, kann jetzt 40 haben. Zu einem ebenso sensationellen Preis (kaum 2 Euro je CD).
    [buch]B00BCCEBRI[/buch]
    Besser als ich, kann Peter Päffgen sagen, was in der Box drin ist.

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