"Adjektivitis"? Wenn es denn nur die wäre!

  • Ihr Lieben,


    Adjektive sind schwierig, finde ich.


    Ich habe nichts gegen Adjektive. Ehrlich. Einige meiner besten Freunde sind Adjektive. Es ist wie mit ... na ja: Mit ihnen kannste nich' und ohne sie ooch nich'!


    Aber manchmal könnt'ste se eben anne Wand klatschen! So wie heute Morgen, als ich mich durch die Zeitungen im Netz klickte. Auf einmal stand sie wieder da, groß und hässlich: die "humanitäre Katastrophe".


    Dabei dürfte jeder Sprachratgeber inzwischen x-mal durchgenudelt haben, dass die Katastrophe alles andere ist, aber bestimmt nicht humanitär. Ich will auch gar nicht wissen, wie viel Herzblut Sick & Co. schon zu diesem Thema verspritzt haben, und das etwa so erfolgreich, wie der Ritter von der traurigen Gestalt gegen die imaginären Riesen kämpfte.


    Denn dieser Quatsch begegnet einem ja inzwischen immer und überall, und ich strecke auch längst die Waffen. Ein Adjektiv beantwortet die Frage: "Wie ist das Substantiv?", das Adverb: "Wie ist das Verb?" Linguisten versuchten mir zu erklären, das sei eine viel zu einfache Definition aus Grundschulzeiten. "Einfach" mag sein. Aber trotzdem korrekt.


    Dass es also kein "Schwules Museum" geben kann (wie in Berlin-Tempelhof), ist noch klar, weil nicht das Museum schwul ist, sondern weil es Ausstellungen über Schwule zeigt. Egal, sagt man noch - das ist nur ein Witz aus der Szene, die ja auch einigen Humor hat.


    Nun steht aber ein paar Kilometer weiter in Berlin-Mitte eines der renommiertesten deuschen Museen mit dem scheußlichen Titel: "Deutsches Historisches Museum". Ist das Museum "deutsch und historisch"? Nö. Es ist ein Museum für deutsche Historie (Geschichte). Die Bonner wussten es noch besser: Da steht das "Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland".


    "Aber mit Adjektiv ist es so schön kurz und prägnant!" Ja. Das ärgert mich ja so. Denn das ist der Grund, warum ich die Waffen strecke: Im aktuellen BT-Fred schreibe ich zuerst vom "Gen für blonde Haare", dann aber vom "blonden Gen". Dabei ist das Gen natürlich nicht blond. Ein Kompromiss nicht politisch. Ein Ausgleich nicht finanziell. Ein "Niedergang" nicht kulturell.


    Was tun? Himmelherrgottsapperlotkrüzitürken! Es ist eben so schön kurz und prägnant.


    Auf der anderen Seite sind da Wörter wie "Großdemonstration (in Stuttgart)", "Großfeuer (auf der Wolga)", "Schnellzug", "Kleinwagen" oder "Starkstrom". Diese Komposita können sich ruhig ungerecht von mir behandelt fühlen; ich nenne sie faschistoid. Sie erinnern mich immer an den "Großkampftag".


    Warum in solchen Fällen kein Adjektiv? "Große Demonstration in Stuttgart" etwa? Weil das für eine "Großdemonstration" nicht reicht?


    Eigentlich wollte ich nur sagen, dass ich Adjektive sehr schwierig finde.


    Herzliche Grüße,


    Hugo

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

    2 Mal editiert, zuletzt von Hugo ()

  • Also kaum zu glauben aber wahr. Mir ist der Ausdruck " humanitäre Katastrophe" in den letzten Tagen ja schon häufiger unter gekommen. Gehört und gelesen habe ich ihn aber mir ist die falsche Bedeutung nicht ein Mal aufgefallen! Daran merke ich mal wieder wie wenig ich hinterfrage und wie einfach ich mich leiten lasse.
    Danke Hugo für die Erweiterung meines Blickfeldes ;)

  • Ich würde die Sache nicht so eng sehen, weil die Sprache nun mal nicht nach so engen, will sagen genauen Regeln funktioniert. Zuerst einmal geht es ja um die Funktion im Satz, daher sollte man nicht von Adjektiven, sondern von Attributen reden. Deren Aufgabe ist es, Nomen (Substantive) näher zu bestimmen. Dieses "näher bestimmen" ist nicht in jedem Fall schlicht mit der Wie-Frage zu klären. Wenn ich frage, wie ist das Museum, dann scheint die Antwort nicht "historisch" sein zu können. Aber Attribute werden durchaus freier benutzt, so dass das Museum durchaus historisch sein kann, das Nomen (Museum) wird näher bestimmt (ein Museum, in dem es um Historie geht). Die semantische Kopplung von Nomen und Attribut kann sehr verschiedene Formen haben.
    Zum Teil sind diese Kopplungen - wie auch viele andere Teile der Sprache - quasi "synekdochisch". Beispiel wäre eben das schwule Museum. Daran ist nichts Falsches. Das ist die Freiheit, die die Sprache bietet. Eine mögliche Folge dieser Freiheit ist es allerdings auch, dass es zu solchen sprachlichen Härten wie der "humanitären Katastorphe" kommen kann.
    Gruß
    T.

  • Lieber tortich,


    dass man Sprache generell nicht bierernst betrachten sollte, das finde ich auch. :) Nach deinem Beitrag erinnere ich mich ein Stück besser: Die Linguisten haben auch mit Attributen argumentiert. Aber ich konnte mein Köpflein noch so sehr anstrengen - ich verstand es nicht. :(


    Ich entdecke keinen Unterschied, ob ich nur von der Funktion im Satz (Attribut) oder von der Wortart (Adjektiv) ausgehe. (Attribute brauchen ja auch nicht nur Adjektive zu sein.)


    Zitat

    Aber Attribute werden durchaus freier benutzt, so dass das Museum
    durchaus historisch sein kann, das Nomen (Museum) wird näher bestimmt
    (ein Museum, in dem es um Historie geht).


    Ja! Genau das haben die Linguisten auch gesagt, aber für mich blieb das leider nur eine Behauptung, die ich nirgendwo verifizieren konnte, unter anderem nicht in meiner Duden-Grammatik. Obwohl wiki nun nicht gerade "maßgebend in allen Zweifelsfällen" ist, verweise ich mal darauf, was da zu Attributen steht (nüscht von einer "freieren" Verwendung).


    Ich möchte diese "freiere" Verwendung ja gar nicht ausschließen. Ich möchte nur gern verstehen, woher man diese Aussage nimmt. Denn Attribut hin oder Funktion her - die fraglichen Wortarten beim "Deutschen Historischen Museum" sind doch nun einmal Adektive, oder? :kratz2


    Zitat

    Zum Teil sind diese Kopplungen - wie auch viele andere Teile der Sprache
    - quasi "synekdochisch". Beispiel wäre eben das schwule Museum. Daran
    ist nichts Falsches. Das ist die Freiheit, die die Sprache bietet.


    "Synekdoche" musste ich erst mal googeln. :duden Leider verstehe ich auch nicht, was ein "schwules Museum" mit engerer und weiterer Bedeutung, Ober- und Unterbegriff zu tun hat, auch nicht quasi und insbesondere nicht als pars pro toto. Aber ich freue mich über jede Aufklärung. :)


    Herzliche Grüße,


    Hugo

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Hallo Hugo,
    tja, das mit der Verifikation der Behauptung ist so eine Sache. Es gibt ja keinen Bestand an Regeln, der die Sprache vollständig beschreiben würde. Wie sollte die Verifikation also aussehen? Zum Teil behilft man sich mit Regeln, die man in Grammatiken findet. Zum Teil muss man wohl auf den faktischen Sprachgebrauch gucken. Im Sprachgebrauch findet man nun also den Ausdruck "Historisches Museum". Nun kann man also normativ reagieren und sagen, dass das "falsch" ist, und dann hat man das Problem entsprechende Regeln zu finden und - fast noch schwieriger - die Anwendung der Regel auf den konkreten Fall zu klären.
    Oder man beschreitet den eher deskriptiven Weg und konstatiert, dass der Sprachgebrauch nun einmal so ist und da werden sich vermutlich viele Beispiele finden lassen, bei denen die Kombination von Adjektivattribut (he, he) und Nomen irgendwie "schräg" ist. Oder eigentlich sollte man m.E. für sich einen Mittel- und Kompromissweg finden.
    Und noch zur Synekdoche: Wie du schreibst, ist ja nicht das Museum schwul, sondern vielleicht die Leute, deren Werke dort zu sehen sind, oder Werke, die sich irgendwie mit Homosexualität beschäftigen. Es wird aber nicht das eigentlich Gemeinte als Ausdruck gesetzt, sondern etwas (das Museum), das in einem logischen, kausalen, zeitlichen oder sonst wie Nexus zum Gemeinten steht, - und das hatte ich als synekdochisch bezeichnet.
    Gruß
    T.

  • ... ach, und das noch:
    Ich vergleiche das gern mit den Schauspielern und ihren Rollen. Schwarzenegger ist nicht der Terminator und Hopkins ist nicht Lector (schreibt der sich so?). Und so ist es auch mit den Wortarten und den Satzgliedern und Attributen. Eine Wortart kann im Satz verschiedene Rollen spielen. Und eine Rolle (ein Satzglied) kann durch verschiedene Wortarten ausgefüllt werden.
    Ist hier aber wohl nicht so wichtig.

  • oäh ... noch was vergessen:


    Du verweist auf Wiki und schreibst: nüscht von einer "freieren" Verwendung.
    Bei Wiki steht:


    Das Attribut bestimmt das Bezugswort näher.


    Die freiere Verwendung spiegelt sich hier in der Vagheit der Formulierung: bestimmt das Bezugswort näher.

  • Lieber tortich,


    nach meinem Verständnis gehen wir beiden von unterschiedlichen Ausgangspunkten aus, wenn wir Konstrukte wie "Deutsches Historisches Museum", "Schwules Museum" oder "humanitäre Katastrophe" beurteilen: du faktisch, ich normativ.


    Korrigiere mich bitte, wenn ich dich auf ein falsches Schlagwort reduziere. Ich will dich damit nicht in eine Ecke drängen, sondern pointieren, warum wir wegen unterschiedlicher Herangehensweisen auch zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.


    So wie ich es verstehe, ist mein Bezugspunkt die Grammatik, deiner (zumindest hauptsächlich) der faktische Sprachgebrauch der Allgemeinheit.


    Dazu fiel mir eben eine Sprachglosse Tucholskys ein:


    Zitat

    Die Alltagssprache hat ihre eigene Grammatik. Der Berliner zum Beispiel kennt ein erzählendes Futurum. »Ick komm die Straße langjejangn – da wird mir doch der Kuhkopp nachbrilln: Un vajiß nich, det Meechen den Ring zu jehm! Na, da wer ick natierlich meinen linken Jummischuh ausziehen un ihn an Kopp schmeißn ... «


    Diese eigene Grammatik gibt es dann ja nicht nur im Dialekt sondern auch im mündlichen Standard-Deutsch. Der faktische Sprachgebrauch setzt sich manchmal durch, wenn er hartnäckig genug bleibt, und wird zur berüchtigten normativen Kraft des Faktischen, findet also Eingang in die Grammatik.


    Mein Verständnis deiner Grundposition leite ich unter Anderem ab aus:


    Zitat

    tja, das mit der Verifikation der Behauptung ist so eine Sache. Es gibt ja keinen Bestand an Regeln, der die Sprache vollständig beschreiben würde. Wie sollte die Verifikation also aussehen? Zum Teil behilft man sich mit Regeln, die man in Grammatiken findet. Zum Teil muss man wohl auf den faktischen Sprachgebrauch gucken


    Das betrifft ja schon die allgemeine Frage: Wie gehe ich an Sprache heran?, was ich sehr spannend finde. Um aber am Ball zu bleiben: Für mich gibt es einen Bestand an verbindlichen Regeln, und die stehen in der Grammatik. Diese Regeln betreffen die "korrekte" Sprache. Ich habe nichts dagegen, auch beim Schreiben mit Regeln zu experimentieren und zu spielen, und das gesprochene Wort darf sowieso (fast) alles, aber die korrekte Sprache (der Kultusministerkonferenz) hat Regeln, die auch verbindlich und abschließend sind.


    Mir ist auch besonders wichtig, dass eine Grammatik möglichst widerspruchsfrei ist, zumindest, wenn es an ihre Grundfesten geht. Hier sehe ich das Hauptproblem, wenn es darum geht, dass man nach deutscher Grammatik irgendwann vielleicht nur irgendein Adjektiv von ein Substantiv klatschen kann, und aus der Bedeutung ersehen dann alle irgendwie, was gemeint ist. Dann müsste man nämlich die ganze Definition der Wortart Adjektiv ändern. Dann wäre ein Adjektiv kein Adjektiv mehr im heutigen Sinn, das beschreibt: Wie ist das Substantiv? Dann wäre es nur irgendeine Ergänzung.


    Neues Beispiel: "politische Korrektheit". Das ist kompletter Nonsens (,was auch für das Original im Englischen nach seiner Grammatik gilt.) Die "politische Korrektheit" ist kurz, knapp, und jeder weiß, was gemeint ist. Deshalb setzen sich solche Konstrukte auch durch. Trotzdem ist die "Korrektheit" nicht "politisch", und wenn sie sich auf den Kopf stellt und jodelt.


    Aber ich benütze diese kurzen und knackigen Formen ja auch. Das Leben macht keinen Spaß, wenn man immer auf Deibel komm raus konsequent sein will. :D


    Herzliche Grüße,


    Hugo

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Ganz stimmt das mit den Ausgangspunkten nicht, denn wie gesagt meine ich, dass man einen Mittelweg finden muss.
    Und was die "korrekte" Sprache betrifft, ist mein Glaubenssatz halt, dass die Regeln zu unvollständig und zu vage sind, so dass sich in vielen Fällen über korrekt oder nicht korrekt nicht entscheiden lässt. Und dann muss man sich halt den Sprachgebrauch angucken und nach Präzedenzfällen suchen.
    Wie wäre es zum Beispiel mit diesen (die, wie ich glaube, auf der Linie deiner Beispiele liegen):
    weise Antwort, dummes Geschreibsel, unverschämte Lüge...
    Wörtlich genommen ist das wohl auch "Unsinn", aber die Sprache ist nun mal wie Jean Paul meint, ein Herbarium vertrockneter Metaphern. Mit dem Wörtlch-Nehmen kommt man da nicht weit und wird dem Wesen der Sprache nicht gerecht.

  • Lieber tortich,


    sorry, dass ich deine Aussage mit dem Mittelweg unterschlagen habe. Allerdings kann ich mir nichts Genaues vorstellen unter einem Mittelweg zwischen normativem und deskriptivem/faktischen Ansatz. Für mich sieht ein Mittelweg subjektiv für mich so aus, nicht zum Grammatik-Ayatollah zu werden und nicht zum reinen Laissez-Faire-Befürworter.


    Zitat

    Und was die "korrekte" Sprache betrifft, ist mein Glaubenssatz halt,
    dass die Regeln zu unvollständig und zu vage sind, so dass sich in
    vielen Fällen über korrekt oder nicht korrekt nicht entscheiden lässt.

    Grammatik und Rechtschreibung sind ja kein Selbstzweck. Innerhalb ihres Anwendungsbereichs sorgen sie für Einheitlichkeit und Verständlichkeit, stellen vollständige Regeln (und Ausnahmen :D ) auf, die "maßgebend in allen Zweifelsfällen sind" (nur ist das heute nicht mehr der Duden, sondern die KMK).


    Vielleicht kannst du mir helfen und ein Beispiel für eine unvollständige und vage Regel nennen. Oder einen Fall, in dem sich nicht über korrekt und inkorrekt entscheiden lässt. Mir fällt nichts ein.


    Zitat

    Und dann muss man sich halt den Sprachgebrauch angucken und nach Präzedenzfällen suchen.


    Aber das machen doch nicht einmal die Angelsachsen mit ihrem "case law" so. :) Die haben doch auch eine Grammatik als "Kodex". :)


    Zitat

    Wie wäre es zum Beispiel mit diesen (die, wie ich glaube, auf der Linie deiner Beispiele liegen):


    weise Antwort, dummes Geschreibsel, unverschämte Lüge...


    Ich halte alle drei deiner Beispiele für korrektes Deutsch, im Gegensatz zu meinen: Eine Antwort kann durchaus weise sein, auch wenn der Antwortende es nicht ist. Hochintelligente Menschen können auch mal Geschreibsel absondern, das ganz und gar dumm ist. Und warum soll eine Lüge nicht unverschämt sein?


    Ich glaube auch nicht, dass Jean Paul das anders gesehen hätte.


    Herzliche Grüße,


    Hugo

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Haarspalterei, mit Verlaub, und dazu überflüssige. "Heinz und Uschi führten eine glückliche Beziehung." "Beziehung" ist ein Zustand, genauer genommen eine Organisationsform, und die verfügt nicht über Gefühle, denn es fehlt ihr an physischer Existenz. Eine Beziehung könnte ergo niemals glücklich sein, und auch nicht todtraurig (oder beispielsweise zugedröhnt). Hier offenbart sich auch keineswegs ein grammatischer Grenzbereich, sondern eine Fehlinterpretation der absichtsvoll "weichen" Regelung.


    Mit der "humanitären Katastrophe" sieht das ein bisschen anders aus, denn hier werden Begriffe (in diesem Fall das Adjektiv) schlicht falsch benutzt. Derjenige, der mitteilen wollte, dass es sich um eine Katastrophe handelte, von der sehr viele Menschen betroffen waren (es handelte sich um Rudolf Scharping, der diese Wendung eingeführt hat), übersetzte das Wörtchen "humanitarian" einfach wortwörtlich, aber nicht sinnentsprechend.

  • Haarspalterei, mit Verlaub, und dazu überflüssige. "Heinz und Uschi führten eine glückliche Beziehung


    Lieber Tom,


    ich stimme dir zu, dass es überflüssige Haarspalterei wäre, wollte man in deinem Beispiel kritisieren, dass die Beziehung an sich keine Gefühle entwickeln kann, sondern nur die Partner der Beziehung.


    Das will hier aber auch keiner.


    In deinem Beispiel beantwortet das Adjektiv: Wie ist das Substantiv? Das ist der Ausgangspunkt dieses Fred (ein wichtiger zumindest).


    Das ist bei der "humanitären Katastrophe", dem "kulturellen Verfall", dem "finanziellen Ausgleich", der "politischen Korrektheit" usw. usf. anders, wie du ja auch schreibst: Hier wird das Adjektiv falsch benutzt. (Und das gilt auch im Englischen, Übersetzung hin oder her.)


    Herzliche Grüße,


    Hugo

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Zitat

    In deinem Beispiel beantwortet das Adjektiv: Wie ist das Substantiv?


    Mit Verlaub, es beantwortet die Frage, wie sich Heinz und Uschi fühlen. Es ist prinzipiell unsinnig, eine Beziehung als "glücklich" zu bezeichnen. Man könnte sie mit allen möglichen Attributen (gut, zuverlässig, langjährig usw.) versehen, aber glücklich kann eine Beziehung nicht sein, sondern nur die Menschen, die sie führen. Trotzdem ist diese Formulierung zulässig, denn Sprache ist kein exaktes Abbild, sondern lediglich der Versuch, etwas in Worte zu fassen, für das Worte eigentlich nicht ausreichen. Diese Unzulänglichkeit des Kommunikationsmittels erlaubt auch Wendungen, die wortwörtlich interpretiert irreführend wären (humanitäre Katastrophe), so lange es einen allgemeinen Kontext gibt, der allen Beteiligten erlaubt, die Mitteilung halbwegs korrekt zuzuordnen. Jeder von uns weiß, was mit einer glücklichen Beziehung gemeint ist (Heinz bekommt sein Bier, Uschi darf schoppen), und wir wissen auch, dass mit dem eigentlich falschen Begriff "Stundenkilometer" eigentlich "Kilometer pro Stunde" gemeint ist. Sprache ist kein Verhaltenscodex für ihre Nutzer, sondern ein Hilfsmittel. Und weil sich beide - die Sprache und ihre Nutzer - unterschiedlich schnell und flexibel entwickeln, kommt es zu Situationen, in denen Regeln vermeintlich missbraucht werden, was aber niemandem schadet, denn der Sinn der Sprache - eben Kommunikation - bleibt unangetastet. "Humanitäre Katastrophe" mag eine Wendung sein, die die Puristen auf die Barrikaden treibt, aber selbst die wissen, was gemeint ist. Und genau dafür ist Sprache da. Ich mag kreativen Sprachmissbrauch.

  • In deinem Beispiel beantwortet das Adjektiv: Wie ist das Substantiv?




    Mit Verlaub, es beantwortet die Frage, wie sich Heinz und Uschi fühlen. Es ist prinzipiell unsinnig, eine Beziehung als "glücklich" zu bezeichnen.


    Lieber Tom,


    betreibst du jetzt nicht gerade das, was du in deinem letzten Beitrag noch als überflüssige Haarspalterei bezeichnetest und dafür gerade die "glückliche Beziehung" als Beleg anführtest?


    Das "glücklich" bezeichnet auch nicht, wie sich Heinz und Uschi fühlen, denn dann wäre es ein Adverb. "Glücklich" vor "Beziehung" ist schon okay, wenn man keine überflüssige Haarspalterei betreiben will. Denn sonst könnte ich eine Beziehung auch nicht "zuverlässig" nennen. Allerstrengstens genommen können Hunde zuverlässig sein und Diener und Boten und Sekretäre, aber keine Beziehungen.


    So weit will hier aber niemand gehen!


    Zitat

    Trotzdem ist diese Formulierung zulässig


    Jahaaa! Wie gesagt, das bestreitet hier auch keiner.



    Zitat

    Diese Unzulänglichkeit des Kommunikationsmittels erlaubt auch Wendungen, die wortwörtlich interpretiert irreführend wären (humanitäre Katastrophe), so lange es einen allgemeinen Kontext gibt, der allen Beteiligten erlaubt, die Mitteilung halbwegs korrekt zuzuordnen.


    Nein. Dazu verweise ich zuerst nach oben. Die "humanitäre Katastrophe" kann nicht korrekt sein und nicht werden, solange wir noch nicht eine völlig andere Grammatik mit anderen Wortarten haben. Diesen Ausdruck können täglich Millionen Menschen gebrauchen, er kann in allen Zeitungen stehen und auf allen Radio- und Fernsehsendern gesendet werden - er bleibt falsch, falsch und nochmals falsch, solange die deutsche Grammatik und alle anderen Grammatiken, die Adjektive kennen, sagen: Ein Adjektiv bestimmt, wie ein Substantiv ist.


    Im Extremfall können vierundachzig Millionen Deutsche, alle Österreicher, Deutsch-Schweizer und die deutschsprachigen Minderheiten in Belgien, Ungarn, Rumänien, Polen und was weiß ich nicht bestimmen, was "korrekt" ist. Auch nicht "halbwegs". Sie können nur bestimmen, was verständlich ist.


    Das erinnert mich an mich selbst, wenn ich versuche, Spanisch zu sprechen. Mein Spanisch ist unter aller Kajüte. Aber wenn ich abends mit Javier, Piedro, Ines oder Ignacio in der Kneipe sitze, gebe ich mir Mühe, dass sie den Sinn dessen verstehen, was ich ihnen sagen will. Ohne jede Rücksicht auf Grammatik. Hauptsache, der Inhalt kommt einigermaßen verständlich rüber.


    Aber das kann doch wohl nicht ernsthaft das Sprachverständnis in einem Autorenforum sein: Passt schon. Ist verständlich. Wir wissen schon, worum es geht.


    Es gibt auch Neunmalkluge, die auch die "Kilometer pro Stunde" auseinandernehmen und statt dessen nur "Kilometer in der Stunde" lesen wollen.


    Aber darum geht es hier nicht!


    Erneut: Zu wissen, was gemeint ist, das kann doch keinen Autor zufrieden stellen!


    Lieber Tom: in diesem Fred geht es nicht um Haarspalterei und Klugscheißerei, sondern um den Gebrauch von Adjektiven.


    Herzliche Grüße,


    Hugo

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Lieber Tom: in diesem Fred geht es nicht um Haarspalterei und Klugscheißerei, sondern um den Gebrauch von Adjektiven.


    P. S.: Ich habe eben meinen Schluss von gestern noch einmal gelesen. Rein vorsorglich, damit keine Missverständnisse entstehen: Mit "Klugscheißerei" meinte ich nicht deine Äußerungen, Tom, sondern im Gegenteil mein eigenes Bestreben, bei der Beurteilung von Adjektiven nicht päpstlicher zu zu sein als der Papst.

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Diesen Ausdruck können täglich Millionen Menschen gebrauchen, er kann in allen Zeitungen stehen und auf allen Radio- und Fernsehsendern gesendet werden - er bleibt falsch, falsch und nochmals falsch, solange die deutsche Grammatik und alle anderen Grammatiken, die Adjektive kennen, sagen: Ein Adjektiv bestimmt, wie ein Substantiv ist.

    Sprache (gesprochen und geschrieben) ist lebendig, verändert sich die ganze Zeit. Eine systematische Grammatik muss aber notwendigerweise eine Momentaufnahme sein. Darum muss sie tendenziell hinterherhinken. Unser individuelles Zeitfenster - ein Menschenleben - ist lediglich zu kurz, um das zu bemerken. Der eigentliche Maßstab für richtig oder falsch können mMn nur die SprecherInnen selbst sein.


    Denn Grammatik beschreibt und systematisiert ja lediglich das, was die SprecherInnen äußern.


    Und: Es gibt Sprachen, in denen Adjektive die Funktion eines Prädikats haben können. Mit obiger Definition kann man in der Form nicht arbeiten.


    :sulk
    Kristov ;)

  • auf allen Radio- und Fernsehsendern gesendet werden - er bleibt falsch, falsch und nochmals falsch, solange die deutsche Grammatik und alle anderen Grammatiken, die Adjektive kennen, sagen: Ein Adjektiv bestimmt, wie ein Substantiv ist.


    Es gibt Sprachen, in denen Adjektive die Funktion eines Prädikats haben können. Mit obiger Definition kann man in der Form nicht arbeiten.


    Lieber Kristov,


    wenn es solche Sprachen gibt, dann muss ich meine Aussage ergänzen, die aber ohnehin keine Definition ("Ein Schimmel ist ein weißes Pferd." bestimmt und abschließend) ist: Eine Konstruktion wie "humanitäre Katastrophe" bleibt also falsch, "solange die deutsche Grammatik und alle anderen Grammatiken, die Adjektive als dieselbe Wortart kennen, sagen: Ein Adjektiv bestimmt, wie ein Substantiv ist." (Wobei: wenn andere Sprachen eine Wortart anders verstehen, ist sie nach deutscher - und englischer, polnischer, russischer, französischer, spanischer ... - Anschauung eben kein Adjektiv.)


    Allerdings kann ich mir höchstens vorstellen, dass es Sprachen gibt, die Adjektive auch in der Form eines Verbs kennen, keines Prädikats. (Denn dann gerieten die Begriffe völlig durcheinander: Wortart und Funktion im Satz.) Nicht einmal ein Verb hat immer die Funktion eines Prädikats.
    Leider habe ich auch da kein konkretes Bild vor Augen, wie das aussehen könnte.


    Oder meinst du mit "Funktion des Adjektivs" etwas, was es auch und gerade im Deutschen gibt: eine prädikative Verwendung? (Allerdings kein Fall des Adjektivs, sondern des Attributs.) "Das Pferd ist schnell." (Im Deutschen hängt diese Bezeichnung mit der Sonderstellung von "sein" zusammen und damit, dass Adjektiv und Adverb dieselbe Form haben. Bei "Das Pferd rennt schnell läge keine prädikative Verwendung eines Adjektivs, sondern ein Adverb vor - in der Funktion "Attribut".)


    Vielleicht könntest du Beispiele für solche Sprachen nachreichen und dafür, welche Form oder meinetwegen auch Funktion Adjektive dort einnehmen können? Ich schätze, dass solche Beispiele aus ganz anderen Sprachfamilien mit einer ganz anderen Systematik kommen.


    (Die Form kann natürlich identisch sein, wie beim Verb und Adverb im Deutschen. Trotzdem sind es verschiedene Wortarten.)


    Zitat

    Sprache (gesprochen und geschrieben) ist lebendig, verändert sich die ganze Zeit. Eine systematische Grammatik muss aber notwendigerweise eine Momentaufnahme sein. Darum muss sie tendenziell hinterherhinken. Unser individuelles Zeitfenster - ein Menschenleben - ist lediglich zu kurz, um das zu bemerken. Der eigentliche Maßstab für richtig oder falsch können mMn nur die SprecherInnen selbst sein.

    Klar ist Sprache lebendig und verändert sich, in Lexik, Orhtographie, Interpunktion und Grammatik. Habe ich ja auch geschrieben. Neue Wörter (Lexik) zum Beispiel sind ratzfatz gebildet und stehen auch hurtig im Duden. Die Rechtschreibung/Orthographie verändert sich schon langsamer, manchmal auch abrupt wie vor zwanzig Jahren, ebenso die Interpunktion.


    Die Grammatik ist da noch viel zäher. Und am zähesten ist sie in ihren Grundfesten wie den Wortarten. Was Verben, Adjektive, Substantive, Pronomen, Artikel und Zahl- und Mengenwörter sind, das steht in vielen Sprachen seit seeehr langer Zeit fest (Das galt auch schon für Walther von der Vogelweide. :) ). Und meiner Meinung nach wird das auch noch für sehr lange Zeit so bleiben.


    Jedenfalls interessiert es die Wortarten für die nächsten (locker aus der Hüfte geschossen: ) tausend Jahre einen feuchten Kehricht, ob Politiker, Journalisten, Künstler, Maurer, Bankiers, Friseure, Lehrer, Bäcker, Schneider oder Bauern irgendwelchen Modetrends hinterherlaufen, und mögen die auch ein ganzes Menschenleben oder zwei oder drei dauern. Das kratzt das Adjektiv in seiner Grundbedeutung absolut null. Nada.


    Herzliche Grüße,


    Hugo

    Es gibt drei Regeln, wie man einen Roman schreibt. Unglücklicherweise weiß niemand, wie sie lauten. (William Somerset Maugham)

  • Oder meinst du mit "Funktion des Adjektivs" etwas, was es auch und gerade im Deutschen gibt: eine prädikative Verwendung? (Allerdings kein Fall des Adjektivs, sondern des Attributs.)

    Ja, da fragse mich was. Keine Ahnung. Im Chinesischen gibt es Adjektiv-Prädikate. Man kann eine Gruppe von Adjektiven so benutzen: "Er gut." Die deutsche Entsprechung wäre: "Er ist gut" bzw. "Ihm geht es gut."
    Diese Sätze haben kein Verb. Das Prädikat ist ein einsilbiges Adjektiv.

    Klar ist Sprache lebendig und verändert sich, in Lexik, Orhtographie, Interpunktion und Grammatik. Habe ich ja auch geschrieben. Neue Wörter (Lexik) zum Beispiel sind ratzfatz gebildet und stehen auch hurtig im Duden. Die Rechtschreibung/Orthographie verändert sich schon langsamer, manchmal auch abrupt wie vor zwanzig Jahren, ebenso die Interpunktion.

    Hm, ja, ok, ich wollte nur ergänzen, dass ich nicht das Grammatikbuch als regelsetzend ansehe, sondern die SprecherInnen, da sie zeitlich vor der systematisierten Grammatik stehen.


    Sprache hat tatsächlich so eine Eigendynamik. Orthographie und Interpunktion haben sie mMn jedoch nicht. Denn diese werden verhandelt und dann festgelegt. Die Struktur von Sprache verändert sich durch den Gebrauch. Da wird nichts explizit abgesprochen.