TA 4: Rilke und Hofmannsthal

  • Hallo Horst-Dieter,


    die meisten Beschreibungen vor der Einführungen der Psychoanalyse laufen unter Hysterie, erste wissenschaftliche Diskussionen dazu kommen aus den Kreisen der Psychiatrie und Philosophie der frühen 1850ern aus Frankreich) und ich habe ja auch nur davon gesprochen, dass der Begriff von der Literaturkritik, nicht von den Autoren, die nur den Gegenstand der Untersuchung schaffen, für den Bereich der LIteraturkritik definiert wurde.


    Und vermutet, warum Schriftstellern Jung und Freud näherliegen als neurologische Forschungen. ;(


    In einem widerspreche ich aber, dass nämlich irgendeine Technik innerhalb eines Texte überbewertet werden kann. Wir wollen hier doch unseren Handwerkskasten füllen, und eben nicht die viereinhalb Meter literarturwissenschaftliche Sekundärliteratur zur Reitergeschichte verlängern oder? :bahnhof


    Liebe Grüße
    Judith

    Nay, thy lordship, me ain't no thief, not even a smart one - Piper Quickfingers



    Der Tokee in Die rote Kammer [buch]393991407X[/buch]

  • Zitat

    Original von Anja
    Ein Autor kann nur sagen wollen (bewusst sagen wollen), was in seiner Zeit bereits gedacht wurde.


    Das ist eine sehr spannende Frage, die ich mir auch schon oft gestellt habe. Ich habe sie für mich immer so formuliert:


    Kann ein Autor in Texten Dinge sagen, die er gar nicht weiß oder gar nicht sagen will? Kann es sein, dass der Diskurs einer Zeit (Epoche) so stark ist, dass der Autor Dinge nach Mustern sagen muss, die ihm der Diskurs vorgibt oder sogar aufzwingt – und zwar ohne, dass diese dem Autor bewusst ist?


    Ich vermute bei der Reitergeschichte, dass HvHT hier eine Menge Dinge gesagt hat, die ihm nicht oder nur teilweise bewusst waren, auf keinen Fall ganz oben in seinem Bewusstsein, sondern wenn, dann in tieferen Schichten.

  • Zitat

    Original von Judith


    In einem widerspreche ich aber, dass nämlich irgendeine Technik innerhalb eines Texte überbewertet werden kann. …
    Judith


    Hab ich das gesagt ?(


    Um mal in bewährter Politikermanier zu antworten: Ich kann mich nicht erinnern! :achsel


    Und wenn doch, streite ich einfach alles ab :D


    Damit wir hier jetzt aber nicht auf Nebenschauplätze ausweichen, merke ich mir alles und wir diskutieren das in Bronnbach in einer Kaffeepause und zur Verdauung nach dem Essen, okay?


    Horst-Dieter

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    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Hallo Thomas,


    mal ganz doof gefragt (weil ich das jetzt schlicht nicht nachlesen wollte): Rein zeitlich gesehen, welche Texte Freuds konnte Hofmannsthal zu der Zeit, als sein Text entstanden ist, schon gekannt haben oder welche Theorien Freuds waren damals schon so weit verbreitet, dass er zumindest davon gehört haben konnte?
    Denn ich glaube, Du kannst Recht haben: Er muss Freud nicht zwangsläufig bewusst verarbeitet haben, sofern ihm nur seine Ansätze bekannt waren. Dieser Text klingt zumindest so, als fließe einiges an Tiefenpsychologie ein.


    Zitat

    Kann ein Autor in Texten Dinge sagen, die er gar nicht weiß oder gar nicht sagen will?


    Ja, ich würde sagen, das kann er. Allerdings nicht "fremdgesteuert", sondern eher intuitiv. Und andere entdecken dann später Parallelen zwischen ihren Denkmodellen und dem jeweiligen Text. Typisch dafür ist ja Hoffmanns "Sandmann", den Freud tatsächlich im Sinne einer Fallstudie gedeutet hat. Oder man könnte es noch anders formulieren: Hoffmann hat eine Geschichte geschrieben und Freud später unabhängig von dieser Geschichte seine tiefenpsychologischen Modelle entwickelt. Im "Sandmann" hat er dann sozusagen bestätigt gefunden, wie viel an seiner Theorie richtig sein muss.


    Zitat

    Kann es sein, dass der Diskurs einer Zeit (Epoche) so stark ist, dass der Autor Dinge nach Mustern sagen muss, die ihm der Diskurs vorgibt oder sogar aufzwingt – und zwar ohne, dass diese dem Autor bewusst ist?


    Ohne dass mir dafür ein Text einfiele, würde ich auch dem zustimmen.
    Ich würde sogar sagen, dass Literatur genau so am häufigsten funktioniert. Unmittelbares und ganz bewusstes Reagieren auf Zeitströmungen kommt zwar sicher auch vor, aber ich glaube, dass es eher selten eins zu eins in die Literatur umgesetzt wird. Natürlich findet sich die Epoche im Werk wieder, sollte sie sogar, aber wenn sie zu unmittelbar umgesetzt wird, könnte das schnell plakativ wirken.


    Liebe Grüße
    Anja

  • Hallo ihr Lieben,


    ja, es war andersherum, Freud nannte seinen Ansatz erstmals 1924 Psychoanalyse, aber natürlich hat er vorher darüber gearbeitet und interessanterweise lehnte er z.B. die Existenz verschiedener "Bewusstseine" in einem Menschen ab. Dennoch stand die Möglichkeit der gespaltenen Persönlichkeit a. schon viel länger im Raum, auch aufgrund aufsehenerregender Kriminalfälle, und b. erreichte das allgemeine Interesse an dem Phänomen in der Zeit von 1880 bis 1920 einen Höhepunkt, und das nun wieder kann sich durchaus in der RT spiegeln . Dazu ist die Reitergeschichte von der Kritik so spät entdeckt wurden, dass den Kritikern das Wissen darum zur Verfügung stand. :D


    Und natürlich entstehen Texte im Leser innerhalb seines Kontextes jeweils neu, IMHO sogar mit jedem Lesen. Es ist referenzielles System, in dem auch die Kritik ihre Rolle spielt, und das sich in ständiger Interaktion zwischen allen Spielern entwickelt


    Ich wehre mich deshalb auch gegen den Vorwurf, dies sei ein Nebenschauplatz. Zur Untersuchung der Wirkung von Stilmittel gehört auch, sich mit der Rezeption und deren Bedingungen zu beschäftigen, wenn man bestimmte Techniken für sich nutzbar machen will/kann, auch wenn die, die bei ihrer Entstehung keine Absicht waren/sind oder zu späteren Zeiten andere Bedeutungen erlangt haben.


    Liebe Grüße
    Judith

    Nay, thy lordship, me ain't no thief, not even a smart one - Piper Quickfingers



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  • Hallo Judith,


    ich glaube, ich muss da jetzt zumindest was meine Beiträge betrifft, eine Unterscheidung vornehmen:
    Bei einer wissenschaftlichen Textinterpretation, so wie ich sie verstehe, steht meine persönliche Rezeption als Leser an letzter Stelle. MIch konnte ein Autor, der vor 200 Jahren geschrieben hat, unmöglich ansprechen wollen, da ihm mein Lebensumfeld völlig unbekannt war.


    Wenn es um das Handwerk geht, ist dagegen die Frage, wie ein Text auf mich wirkt, sogar sehr wichtig. Denn nur über die Wirkung kann ich den Techniken nachspüren, mit denen der Autor sie erreichen konnte.


    Ich glaube, die beiden Ansätze müssen wir hier unbedingt auseinanderhalten. Und gerade in dieser TA laufen wir Gefahr, die beiden Definitionen nicht klar zu trennen, was dann für uns untereinander zu einem Haufen Missverständnisse führt :).


    Ich hatte mich weiter oben tatsächlich wegbewegt vom Handwerk und bin auf die andere Ebene gegangen, die, die ich als die "wissenschaftliche" verstehe.


    Liebe Grüße
    Anja

  • Hallo Anja,


    natürlich hast du recht und wahrscheinlich ging die Zweiteilung meiner Antwort ohne die Zitat einfach flöten. Der erste Teil galt dem Kontext für die RT sowie für die erste Sekundärliteratur dafür.


    Der zweite Teil galt der Erarbeitung des Handwerkes. Dass das zwei völlig verschiedene Ansätze sind, ist ja/nein wollte ja mein ständiges Reden sein.


    Liebe Grüße
    Judith

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  • Judith, ich habe bisher noch kein Wort von dir gelesen, das mit der Reitergeschichte etwas zu tun hätte. Diese TA 4 heißt Textanalyse und damit ist auch Textanalyse gemeint und nicht ein freies Herumrhapsodieren, in dem irgendwie alles und gar nichts, was um das Jahr 1899 in Wien los war, mit dem Text bin Bezug gesetzt werden kann.


    Ich habe die Texte vorgeschlagen und die Verantwortung für die TA 4 übernommen und dieser Verantwortung komme ich auch nach. Kraft meiner Funktion als Moderator und meiner Kenntnisse auf dem Gebiet der TA habe ich dieses Mal eine im Forum neue Methode der TA vorgestellt, und ich denke, dass wir diese auch durchhalten sollen.


    Die Methode der strukturalen Textanalyse verlangt, dass hart und präzise am Text argumentiert und alles, was man sagt, mit Textstellen belegt wird. Das ist für mich die Mindestvoraussetzung für diese TA Das hat z.B. Sabine hervorragend geleistet.


    Ich beharre keineswegs auf meiner TA (das hat man auch schon sehen können), aber ich will diese zwei Wochen an dieser Form der TA festhalten, weil sie hier auch gut anzukommen scheint und überdies reichhaltige Ergebnisse erbringt. Wir müssen nicht über jede TA die immer gleiche Fertigsosse aus ein bisschen Psychoanalyse, ein bisschen Biographie, ein bisschen historische Texteinordnung und ein bisschen Rezeptionsästhetik drübergiessen.


    Es werden andere TAn kommen, die ich (ganz bestimmt) nicht moderieren werde, und da stehen einer Methodenpluralität alle Türen offenen.


    Judith, ich weiß, dass du, genau wie Anja, im Verein bist, und ich nicht, aber wenn man mir eine Moderatorenaufgäbe überträgt bzw. mich das machen lässt, dann muss man das auch respektieren! - Verein oder nicht!


    Abgesehen davon hängt mir dieser ewige Diskutiererei, wie wir das jetzt machen, zum Hals heraus! Wir ziehen das jetzt durch – und dann kann jeder und jede abstimmen, ob ihm die TA 4 was gebracht hat oder nicht!

  • Hallo Thomas,


    wie ich schon vermutet hatte, es geht um eine Definition des Begriffs Textanalyse.


    Es kann sein, dass Du die Vorüberlegungen zu dieser (neuen) Rubrik nicht mitverfolgt hast, deshalb noch mal zur Erklärung:
    Als wir diese Rubrik hier gegründet hatten, war das mit der Absicht passiert, anhand verschiedener Texte das Handwerkszeug zu analysieren, das der jeweilge Autor einsetzt (im Sinne von "wie erzielt er welche Wirkung beim Leser?). Und das geht durchaus sehr stark in Richtung Textrezeption. Denn ohne Wirkung kein Ansatzpunkt für diese Art der Analyse.


    Mir ist durchaus klar, was Du unter "Arbeit am Text" verstehst und ich gehe davon aus, dass auch Judith das weiß.
    Und es ist tatsächlich nicht entscheidend, ob ein Moderator der TA im Verein ist oder nicht. Aber was Du mit Deiner Analyse vorstellst, ist (bis jetzt) einfach etwas anderes, als wir ursprünglich mit diesen TAs intendiert hatten. Sie sollten primär aufs Handwerk abzielen, also auf die Technik des Schreibens, weniger auf die Struktur von Texten.


    Dein Ansatz ist aber im Ergebnis nicht uninteressant, und einige können ihm viel abgewinnen. Deshalb würde ich vorschlagen, Du machst jetzt mit Deinem Ansatz weiter, und wir verzichten dieses Mal auf den Handwerksaspekt im unmittelbaren Sinn. Außer, Dein Ansatz führt sogar dorthin :).
    Nur sollte das ab jetzt allen, die hier weiter mitarbeiten, klar sein! Sonst führt es zu weiteren Missverständnissen. Und ich denke, niemand, der sich die Mühe macht hier mitzuarbeiten, hört gerne den direkten oder indirekten Vorwurf, er würde labern :). Und ich kann auch, anders als in vielen anderen Beiträgen hier im Forum, nicht einen Beitrag finden, der tatsächlich in Richtung privates Gerede geht, sondern alle Beiträge bemühen sich in der einen oder anderen Weise darum, sich mit dem Text oder zumindest mit Fragestellungen, die sich durch den Text ergeben, zu beschäftigen.


    Liebe Grüße
    Anja

  • Hallo Thomas,


    keine Sorge, ich schweige jetzt still. =)


    Liebe Grüße
    Judith

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  • Zitat

    Original von Th. Walker Jefferson


    HvHT hat nie wieder in seinem Leben eine so moderne und gute Geschichte geschrieben. Mit diesem Text hat er, obwohl erst 26 Jahre alt, seinen Zenit als Prosaschriftsteller erreicht und gleichzeitig übertschritten und sich damit dann von der literarischen Moderne verabschiedet.


    Lieber Thomas,


    darüber habe ich etwas nachgedacht. Was ist denn eine moderne Geschichte um 1900? Welche Elemente sorgen dafür, dass die Reitergeschichte modern genannt werden kann? Die Symbolhafte Verschlüsselung vieler Textelemente? Vielleicht, aber ich habe mal etwas anders auf die Geschichte geschaut. Bitte nicht gleich ungeduldig werden aber einmal denke ich, dass die Geschichte in der von dir vorgelegten Vorgabe schon stark ausgereizt ist und dann haben wir ja auch den Ansatz hier, dass wir das handwerkliche nicht aus den Augen verlieren wollen.


    Wie sieht es denn mit der Erzählerperspektive in der Reitergeschichte aus? Da haben wir den auktorialen Erzähler, der gleich zu Beginn präsent ist


    Zitat


    Den 22. Juli 1848, vor 6 Uhr morgens, verließ ein Streifkommando, die zweite Eskadron von Wallmodenkürassieren, Rittmeister Baron Rofrano mit 107 Reitern, das Kasino San Alessandro und ritt gegen Mailand. Über der freien, glänzenden Landschaft lag eine unbeschreibliche Stille; von den Gipfeln der fernen Berge stiegen Morgenwolken wie stille Rauchwolken gegen den leuchtenden Himmel; der Mais stand regungslos, und zwischen Baumgruppen, die aussahen, wie gewaschen, glänzten Landhäuser und Kirchen her. …


    Bereits im dritten Absatz kommt eine zweite Erzählerstimme hinzu, eine personale


    Zitat


    Nicht weit vom letztgenannten Stadttor, wo sich ein mit hübschen Platanen bewachsenes Glaçis erstreckte, glaubte der Wachtmeister Anton Lerch am ebenerdigen Fenster eines neugebauten hellgelben Hauses ein ihm bekanntes weibliches Gesicht zu sehen. …


    Nun wird aus Sicht des Wachtmeisters Anton Lerch erzählt.


    Im letzten langen Absatz wechselt gegen Ende der personale Erzähler für ein paar Zeilen zum Rittmeister


    Zitat


    Der Rittmeister versorgte seinen Säbel, zog eine seiner Pistolen aus dem Halfter, und indem er mit dem Rücken der Zügelhand ein wenig Staub von dem blinkenden Lauf wegwischte, wiederholte er mit etwas lauterer Stimme sein Kommando und zählte gleich nachher »eins« und »zwei«. Nachdem er das »zwei« gezählt hatte, heftete er seinen verschleierten Blick auf den Wachtmeister, der regungslos vor ihm im Sattel saß und ihm starr ins Gesicht sah.


    Der personale Erzähler wechselt noch einmal zurück zum Wachtmeister um dann am Schluss wieder mit der auktorialen Erzählerstimme auszuklingen.


    Zitat


    Der Feind nahm aber die neuerliche Attacke nicht an, und kurze Zeit nachher erreichte das Streifkommando unbehelligt die südliche Vorpostenaufstellung der eigenen Armee.


    Ich habe nachgedacht und mir ist kein früherer Text eingefallen, der mit solch wechselnden Erzählerstimmen arbeitet. Das mag aber daran liegen, dass ich noch nicht allzulange auf solche Details achte UND dass mir einfach die Beispiele dafür nicht bekannt sind.


    Vielleicht ist das aber auch alles Blödsinn und Hoffmannsthal hat einfach unsauber gearbeitet. Er sagt ja selber, dass das nur eine Fingerübung für ihn war :brille

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  • Hallo,


    so schlüssig mir auch die Gegensätze scheinen, wenn Thomas sie schildert, bin ich doch an der Trennung Stadt-Land hängen geblieben.


    Diese Trennung sehe ich nicht so klar. Der letzte Halbsatz vor dem Stadttor lautete:

    Zitat

    so ritt die schöne Schwadron durch Mailand

    was in meinen Augen ankündigt, dass sich der nachfolgende Absatz wieder auf Mailand bezieht.


    In dem Absatz folgt dann noch:

    Zitat

    »in acht Tagen rücken wir ein, und dann wird das da mein Quartier«, auf die halb offene Zimmertür deutend.

    Schon vorher war es für mich eigentlich nicht klar, dass das gelbe Haus außerhalb Mailands lag. "Nicht weit vom Stadttor" war für mich dennoch in der Stadt, da ich außerhalb der Mauern keine Häuser vermutete. Auch die Schilderung des Hauses, mit Tapetentüren, Spiegeln, etc. mutet nicht ländlich an. Einrücken bezieht sich für mich auch eindeutig auf eine Stadt, in dem Fall auf Mailand. Die Schwadron hat im Vorgriff darauf vorab einen kleinen Siegeszug probiert.


    Fürs "Handwerk" interessant finde ich auf jeden Fall die Möglichkeiten, die in der Nutzung von Räumen liegen. Sicher etwas, das beim Schreiben häufig intuitiv geschieht, das aber, bewusster eingesetzt, einem Text eine andere Grundlage verleihen kann. Da meine Schwächen beim Schreiben eher in der Struktur und im inhaltlichen Bereich liegen, kann ich von dieser Art der Analyse viel profitieren, denke ich wenigstens.


    Die Erzählperspektiven wechselten doch auch in dem Text von Zobeltitz, oder?. Wenn ich mich richtig erinnere, begann er auktorial, zoomte von außen nach innen und wechselte dann in eine personale Perspektive, die aber in der Verhandlung nicht mehr eingehalten wurde, sondern wieder ins auktoriale ging.


    Gruß
    Sabine


    edit: Wenn ein "Glacis" der äußere Teil eines Verteidigungswalls ist, nehme ich (fast) alles zurück, und behaupte, dass das gelbe Haus dann in einem Übergangsgebiet liegt. :achsel

  • Zitat

    Original von SabineK


    Diese Trennung sehe ich nicht so klar. Der letzte Halbsatz vor dem Stadttor lautete:

    was in meinen Augen ankündigt, dass sich der nachfolgende Absatz wieder auf Mailand bezieht.


    Und auch ein Zeichen dafür, dass der auktoriale Erzähler zwischendurch immer mal wieder aufblinkt.


    Zitat


    Die Erzählperspektiven wechselten doch auch in dem Text von Zobeltitz, oder?. Wenn ich mich richtig erinnere, begann er auktorial, zoomte von außen nach innen und wechselte dann in eine personale Perspektive, die aber in der Verhandlung nicht mehr eingehalten wurde, sondern wieder ins auktoriale ging.


    Ohne das jetzt noch mal nachgelesen zu haben: Ich meine, die Erzählerstimme ist nie so nah dran an einer Person, dass man sie als personal bezeichnen kann. Vielleicht hier und da für eine Stelle doch mal, das müsste ich noch einmal überprüfen, aber m.E. nicht so deutlich, dass von einem personalen Erzähler wirklich gesprochen werden kann. Am ehesten noch in der Szene, wo der Protag vor dem Zimmer sitzt und im Halbschlaf glaubt, etwas zu hören. Der auktoriale Erzähler dominiert aber die Zobeltitz-Novelle deutlich.


    Aber ich schrieb ja auch, ich wüsste jetzt aus der Erinnerung keine anderen Beispiele, was nicht heißt, dass es sie doch gibt aus dieser Zeit oder sogar noch früher.


    Horst-Dieter

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    Emanuel von Bodmann


  • Hallo,


    1. Erzählperspektive: Richtig, wir wechseln von einem gemäßigt auktorialen (könnte viel stärker sein, denken wir an Dickens oder Thomas Hardy) zu einem personalen Erzähler und wieder zurück zum auktorialen Erzähler.


    Wenn wir noch einen Beweis für die Überlegenheit der strukturalen TA über alle anderen Formen der TA bräuchten – nun hier ist er. Nur sie strukturale TA kann befriedigend erklären, warum die Erzählperspektive wechselt.


    Ganz verstehen wir das aber noch nicht, weil wir in der TA noch nicht so weit sind. Soviel aber können wir schon sagen: Teil 1 ist der sujetlose Teil des Texte. Das ist also der Teil, in dem die Handlung noch nicht eingesetzt hat.


    Anders ausgedrückt: Sehr viele Texte etablieren am Anfang ein Modell der Welt, sie zeigen uns, was der Hintergrund = Folie = Grundlage für den Text ist. Der Text stellt uns in diesem Teil die Welt nur vor, den Raum, die Figuren und ihre Beziehungen zueinander. Es wird eine Grundordnung präsentiert – die nur deshalb aufgestellt wird, damit sie später verletzt werden kann = damit später die anfangs gezogenen raumsemantischen und anderen Grenzen von der Hauptfigur (und nur von ihr) überschritten werden können.


    Ein bekanntes Beispiel dafür sind Stadt- oder Dorfgeschichten. Die meisten klassischen Western im Film sind Dorfgeschichten und funktionieren so: Am Anfang des Textes wird die Westernstadt gezeigt, wie sie normal funktioniert, ausgewählte Figuren und ihre Beziehungen zueinander werden gezeigt. Und dann reiten die Schurken in die Stadt und die Handlung beginnt, weil die anfangs etablierte Grundordnung gestört wird.


    Genau das tut HvHT hier auch: Er zeigt einen Raum, stellt Figuren und ihre Beziehungen vor. Er zeigt z.B., dass die Figuren in einer gesellschaftlichen Gruppe mit starker Kohäsion vertikal-hierarchisch integriert sind.


    Für die Etablierung der Grundordnung, also der sujetlose Schicht des Textes aber passt die auktoriale Perspektive sehr gut, weil keine individuellen Figuren mit ihrem Handeln vorgestellt werden, sondern eine Welt gezeigt wird.


    HvHT hat m.M.n. nicht unsauber gearbeitet.


    2. Liegt das Haus innerhalb oder außerhalb der Stadt: Außerhalb! Zwei Gründe:


    Glacis ist immer außerhalb der Stadtmauern, noch heute zu sehen in Germersheim oder Landau in der Pfalz, wo die Glacis-Straßen außen an den Befestigungsanlagen von Vauban entlangführen.


    Und der Text sagt es doch auch:
    Zitat:
    ... zur Porta Venezia hinein, zur Porta Ticinese wieder hinaus: so ritt die schöne Schwadron durch Mailand. Nicht weit vom letztgenannten Stadttor, wo sich ein mit hübschen Platanen bewachsenes Glaçis erstreckte



    Sabine, in der strukturalen TA spielen Anmutungen der Leser keine Rolle. Es zählt nur, was der Text sagt. Das Einrücken bezieht sich auf das Einrücken in das sog. Standquartier, also den Zustand, wenn die Truppe länger wo Halt macht.


    Ich akzeptiere eine Aussage wie: Das Haus mit der Vuic liegt vor der Stadt, aber noch nicht ganz auf dem Land, das kann sein, aber außerhalb der Stadtmauern liegt es auf jeden Fall.


    Eines müssen wir noch bedenken: Das Gebiet außerhalb der Stadtmauern ist von jeder semantisch anders besetzt als das Innere. Traditionell waren die Richtstätten außerhalb der Stadtmauern, wohnten da die ärmeren Menschen, die ohne Bürgerrechte, war da die Bannmeile, die heute noch im französischen Wort für Vorstadt: banlieu fortlebt.


    Es passt also durchaus, dass die hierarchische Integration der Einheit zum ersten Mal außerhalb der Stadt in Frage gestellt wird.

  • Hallo ihr Lieben,


    das ist so nah, wie ich einer strukturalen Analyse innerhalb so kurzer Zeit kommen kann.


    Liebe Grüße
    Judith


    Edit: Diese Analyse verzichtet - soweit das jemandem, der mit den volksmythologischen Vorstellungen über Psychoanalyse aufgewachsen ist, möglich sein kann - auf solche Unterlegungen, weil erst nachzuweisen wäre, dass Hoffmannsthal mit ihnen hätte arbeiten können. Die Verhandlungen zu Haager Landkriegsordnung allerdings beruhen auf Diskussionen und ersten Verträgen, die das ganze 19. Jh. bestimmen.

    Dateien

    • TA4.rtf

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  • Zitat

    Original von Th. Walker Jefferson


    HvHT hat m.M.n. nicht unsauber gearbeitet.



    Das war auch nur eine provokante Vermutung aus der Unsicherheit heraus, das (noch) nicht richtig einschätzen zu können.


    Horst-Dieter

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  • Zitat

    Original von Horst Dieter
    Das war auch nur eine provokante Vermutung aus der Unsicherheit heraus, das (noch) nicht richtig einschätzen zu können.
    Horst-Dieter


    Ja, aber das ist doch eine gute Frage! Und das könnte doch durchaus sein. Ich werde am Ende der TA zu zeigen versuchen, dass die Reitergecshichte zwar nicht schlecht, im Grunde genommen aber ein Text mit Mängeln ist und deshalb nicht in die erste Kategorie (zugegeben, da ist die Luft schon recht dünn) von Novellen und kürzeren Prosatexten gehört. Der Cornet m.M.n. übrtigens auch nicht.


    Wenn ich jetzt von der allerersten Kategorie rede, also von den wirklich unsterblichen Texten, dann meine ich z.B. Mario und der Zauberer, Tod in Venedig, Traumnovelle, alle großen Erzählungen von Kleist, Das Urteil, Die Verwandlung, Pique Dame, Der Mantel, Tod des Iwan Iljitsch, Kreutzersonate, Die Nase, Turning oft the Screw, Herz der Finsternis, Red Badge of Courage.

  • Hallo ihr Lieben,


    ehem, der Text liefert eher den Hinweis, dass der Glacis inzwischen innerhalb der Stadt, aber natürlich nicht in der Altstadt liegt, denn er ist "mit hübschen Platanen" bewachsen und "ebenerdigen Fenster eines neugebauten hellgelben (also mit Aufwand verputzten) Hauses" " hinter ihr aber ein helles Zimmer mit Gartenfenstern, worauf ein paar Töpfchen Basilika und rote Pelargonien, ferner mit einem Mahagonischrank und einer mythologischen Gruppe aus Biskuit" (das Rot weist darauf hin, dass der Text eher auf Blütenformen meint und so verbreitet die Ende des 19, Jh, waren, in der MItte waren sie für die Koalitionsländer die Blumen der Königin Luise) vor allem aber der große, 1848 noch extrem teurer Spiegel weisen genau darauf hin, das hat nichts mit Lesergefühl zu tun, sondern mit dem, was der Text sagt, vor allem, wenn man die nötige Umfeldanalyse miteinbezieht. Dieser Glacis wird also gerade bebaut und zwar nicht mit Hucken und Gängevierteln. All das sollte nicht sien, wenn die Festung noch als Bastion außerhalb der Stadtgrenzen gelegen hätte. Es kann sich also mit einiger Wahrscheinlichkeit um eine Vorstadt handeln, das wäre eben erst einmal herauszufinden.


    Ein weiteres Indiz ist die plötzlich auftretende, so vereinnahmende Gier, die im Wachmann entsteht, der mit Sicherheit aus einer der schlechteren Vorstädte Wiens oder anderer Städte kommt (die Wahrnehmung im Dorf sprechen, weil sie nicht auf den Zustand der Viehzucht oder Felder zurückgreifen, gegen eine dörfliche Herkunft), das er jedenfalls in diesem Haus so viel Reichtum sieht, dass er es haben und darin wohnen will. Nein, das alles spricht für mich explizit im Text gegen die Annahme, es handele sich um schlechtes Wohnumfeld jenseits der Urbanität.


    Für Hoffmannthals Vorstellungswelt gilt dazu die Erfahrung, dass die alten Glacis überbaut oder in Parks verwandelt wurden.


    http://de.wikipedia.org/wiki/Glacis


    Der Text setzt das Gebäude (auch von der Inneneinrichtung her) für mich in einen urbanen Kontext und setzt dabei auf die Vorerfahrung seiner Leser, die in Wien bis Hamburg entweder auf Glacis wohnte oder auf ihnen wandelten.


    Ein weiterer Hinweis darauf, dass der Text auf neuere Entwicklungen aufbaut, ist die Verwendung des modernen Namens Porta Venezia.


    Liebe Grüße
    Judith

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  • Hallo ihr Lieben,


    wie ihr seht, habe ich das Versprechen nicht eingelöst, sondern mich der Herausforderung gestellt. Was aber auch bedeutet, dass ihr die lästige Labertasche nicht los seit, die sich die Freiheit nimmt, Ergebnisse in Frage zu stellen.


    Ich finde den Diskurs ja wirklich spannend, ich finde aber, dass er ergebnisoffen bleiben sollte.


    Liebe Grüße
    Judith

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