TA 4: Rilke und Hofmannsthal

  • Hallo Thomas,


    ohne eine Ahnung von der Sache zu haben, stößt mir in dem "ersten Teil" etwas als unschlüssig auf, wenn ich versuche, Deiner Interpretation zu folgen. Wenn ich Dich richtig verstanden habe, stellt sich der erste Teil folgendermaßen dar:

    Zitat

    oben + hell +zivilisiert + katholisch-christich + rein + asexuell + zentral + schön + geordnet + diszipliniert


    Dem widerspricht in meinen Augen dieses Zitat, das für mich bei genauem Lesen etwas durchaus Sexuelles hat, wobei meine Deutung im Zusammenhang mit einer Kriegssituation eher in Richtung Vergewaltigung geht, und mir nicht klar ist, ob Hoffmannsthal nur die Stadt als Frau personifiziert oder ob er, da er gleich im Anschluss auch die Bewohnerinnen erwähnt, das Verhalten der Kürassiere in der Stadt andeutet:


    Zitat

    Nachdem laut übereinstimmender Aussagen der verschiedenen Gefangenen die Stadt Mailand von den feindlichen sowohl regulären als irregulären Truppen vollständig verlassen, auch von allem Geschütz und Kriegsvorrat entblößt war, konnte der Rittmeister sich selbst und der Schwadron nicht versagen, in diese große und schöne, wehrlos daliegende Stadt einzureiten. Unter dem Geläute der Mittagsglocken, der Generalmarsch von den vier Trompeten hinaufgeschmettert in den stählern funkelnden Himmel, an tausend Fenstern hinklirrend und zurückgeblitzt auf achtundsiebzig Kürasse, achtundsiebzig aufgestemmte nackte Klingen;


    Oder gehört das Zitat schon nicht mehr in den ersten Teil?


    Gruß
    Sabine

  • Hallo Teilnehmer der TA 4,


    So, vielleicht mal bis hier.


    Ich denke, es ist jetzt klar, dass wir es bei der Reitergeschichte mit einem außergewöhnlich reichhaltigen, überaus strukturierten und komplexen Text zu tun haben.


    Ihr könnten bereits sehen, welche Ergebnisse die strukturale Textanalyse bis jetzt erbracht hat. Ihr seht auch, dass ich Analyse mit Interpretation verbinde, z.B. dann, wenn ich den fremden Offizier mit dem Tod gleichsetze. Technisch könnte ich hier sagen, der Text konstruiert eine Äquivalenz (= Entsprechung) zwischen beiden Figuren.


    Ein paar Ergebnisse der Analyse darf ich gleich vorwegnehmen:


    HvHT hat nie wieder in seinem Leben eine so moderne und gute Geschichte geschrieben. Mit diesem Text hat er, obwohl erst 26 Jahre alt, seinen Zenit als Prosaschriftsteller erreicht und gleichzeitig übertschritten und sich damit dann von der literarischen Moderne verabschiedet.


    Später hat er die RG als Schreibübung abgetan - was ich ihm nicht abkaufe; ich denke, er hatte einfach Angst vor der eigenen Courage, was er später im Chandos-Brief auch irgendwie eingeräumt hat.


    Aber dazu am Schluss dann mehr!

  • Zitat

    Original von Horst Dieter
    Der Doppelgänger ist der Teil der eigenen Identität, die man nicht im Blick hat, der Schatten (C.G. Jung). Den sieht man nicht, wenn man in den Spiegel blickt sondern allenfalls, wenn man dahinter schaut. Hier ist es aber tatsächlich so, dass der Reiter mit sich selbst konfrontiert wird. Es ist gar nicht von Bedeutung, ihn mit seinem Doppelgänger zu konfrontieren, wenn er noch nicht mal das Bild von sich selber richtig hat.


    Hallo Horst Dieter,


    Doppelgänger und Spiegelbilder sind schon verwandt; die Diskussion um literarische Doppelgänger ist höchst spannend, ein Thema über das allein man ganze Bücher schreiben könnte.


    Ein Doppelgänger stellt oft die Spaltung einer Person dar, manchmal in zwei tatsächlich voneinander unabhängig existierende Figuren (wie in den Elixieren des Teufels), manchmal die Spaltung einer einzigen Person in zwei Charakter-Hälften wie in Dr. Jekyll und Mr. Hyde.


    Ein Spiegelbild aber ist oft nichts anderes als die Gegenüberstellung des wahren, eigentlichen Ichs mit einem falschen, scheinbaren, uneigentlichen Ich.


    Aber es gibt natürlich Verbindungen beider Motive, z.B. dann, wenn das Spiegelbild aus dem Spiegel heraustritt und zu leben beginnt.

  • Zitat

    Original von Th. Walker Jefferson

    Aber es gibt natürlich Verbindungen beider Motive, z.B. dann, wenn das Spiegelbild aus dem Spiegel heraustritt und zu leben beginnt.


    Richtig. Aber das haben wir hier nicht. Da hatte ich nicht richtig hingeschaut. Das habe ich »überlesen«. Insofern zeigt die Textanalyse schon mal, wie wichtig genaues hinschauen ist - und unabhängig davon das wiederholte (oder vielleicht von vornherein langsame) Lesen guter Texte sowieso :)

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Zitat

    Original von SabineK
    Hallo Thomas,
    Dem widerspricht in meinen Augen dieses Zitat, ... Oder gehört das Zitat schon nicht mehr in den ersten Teil?


    Guten Abend Sabine,


    Doch, das Zitat gehört in den 1. Teil. Aber was genau an diesem Zitat widerspricht der semantischen Zuordnung?:


    oben + hell + zivilisiert + katholisch-christlich + rein + asexuell + zentral + schön + geordnet + diszipliniert

  • Zitat

    Original von Horst Dieter
    Da hatte ich nicht richtig hingeschaut. Das habe ich »überlesen«. Insofern zeigt die Textanalyse schon mal, wie wichtig genaues hinschauen ist - und unabhängig davon das wiederholte (oder vielleicht von vornherein langsame) Lesen guter Texte sowieso :)


    Hallo Horst Dieter,


    Textanalyse, wenn man sie nichtig macht, kann eine spannende und absolut befriedigende Angelegenheit sein, die einen weit abseits ausgetretener Pfade führt. Es ist schon richtig: Man muss genau hinschauen, oft und gründlich lesen.


    Übrigens hatte ich weder den Hofmannsthal noch den Rilke jemals in Schule oder Studium, biete euch hier also keine aufgewärmte alte Seminararbeit oder sowas an.


  • Guten Morgen Thomas,


    für mich liest sich dieser Textabschnitt wie die Verklausulierung eines Sexualakts, deshalb passt das "asexuell" meiner Meinung nach nicht.
    Das schöne Mailand liegt entblößt und wehrlos da, er kann die Schwadron nicht hindern (seinen Trieb nicht beherrschen?) einzureiten (einzudringen), aufgestemmte nackte Klingen (Phallussymbol?).
    Diszipliniert würde ich es auch nicht nennen, wenn der Rittmeister die Schwadron "nicht hindern" kann, in dem Moment ist die Disziplin, wenn nicht gebrochen, so doch aufgeweicht.


    Mag sein, dass ich mich da vergalloppiere, aber für mich unterscheidet sich der den zweite Absatz auch dadurch stark von dem ersten, neben der inhaltlichen Zerrissenheit, die mir im ersten Absatz das Lesen erschwerte und die hier einem Erzählfluss weicht.


    Gruß
    Sabine

  • Guten Morgen Sabine,


    Das, was du schreibst, könnte absolut zutreffen. Die nackten Klingen könnten Phallussymbole sein, das ist tatsächlich ein sehr häufiges Bild, und die Truppe nimmt die wehrlose Stadt.


    Natürlich klingt das jetzt alles ziemlich nach Psychoanalyse, und zwar nach recht alter, eben Freudscher Psychoanalyse, die so – wenn ich die Diskussion richtig verstehe – heute gar nicht mehr praktiziert wird, aber das kann im Text drinstecken.


    Auf der anderen Seite fehlen mir dann die Topoi (also Ausdrücke) für tatsächliche Sexualakte oder auch nur Andeutungen davon, die üblichen Bilder (rot, glühend) und ganz allgemein die sonstigen textuellen Chiffren für Sexualität (schwül, drückend, warm, fließend, höhlenartig, innen statt außen).


    Dein Hinweis auf die – darf ich sie so nennen? – bedrohte Disziplin ist wichtig und gut. Denn die Grenze zwischen Ordnung und Chaos und damit zwischen soldatischer Disziplin und unsoldatischer Disziplinlosigkeit ist von zentraler Wichtigkeit in diesem Text.


    Vielleicht darf ich unter dem Eindruck deiner Sätze meinen Ansatz so reformulieren:


    - Die Truppe reitet unter ostentativem Darstellen einer aggressiven männlichen Sexualität (Krieg – Tod – männliche Sexualität sind oft verknüpft) in die eroberte Stadt ein, die wehrlos vor ihr liegt,


    - Die höchste anwesende Hierarchie kann und will dies auch nicht verhindern, hat aber gemischte Gefühle dabei, weil denen oben klar ist, dass die siegreiche Truppe nach Beute (und im männliche dominierten Krieg haben Frauen immer zur Beute gezählt, das hat man noch vor 15-20 Jahren in Kroatien gesehen) verlangt;


    - Der kommandierende Offizier weiß, dass das Verlangen nach Beute und Gratifikation potentiell Zusammenhalt und Disziplin der Truppe gefährdet;


    - Der störungsfreie Durchritt durch Mailand zeigt aber gerade, dass die Disziplin hält;


    - Erst nach dem Ausritt durch das andere Stadttor bricht die Disziplin in einem Fall zusammen, und dieser Fall ist natürlich unsere Hauptfigur.


    Sabine: Messerscharfe Textlektüre + scharfsinnige Erkenntnis! Bravo! So kommen wir weiter! :klatsch

  • Hallo ihr Lieben,


    dass Freud (auch immer noch) und Jung so beliebt bei Autoren waren und sind, liegt daran, dass sie geschrieben haben, schöne Fallstudien und wunderbar formulierte Archetypen. Mit sexueller Freizügigkeit, die im 19. Jh. sonst eher unterdrückt wurde. Moderne Wissenschaft ist da sperriger. mit ihren bildgebenden Verfahren und Datenbergen, ihrem Hang zur Objektivierung. Die eignet sich für CSI-Stories, aber nicht für die Spiegelung vom Einzelschicksal in der Welt. Vielleicht resultiert daraus der beständige Hang zum Rückgriff auf die emotionaleren Ansätze.


    Und das Motiv der gespaltenen Persönlichkeit war zwar nicht mehr ganz neu (schon bei Goethe können zwei Seelen in einer Brust wohnen) und Stevenson hatte das Thema mit Jeckyll and Hyde eigentlich schon abgehandelt hatte und selbst da schon auf literarische Vorlagen des 19. Jh. zurückgreifen konnte.


    Das "Doppelgängermotiv" wurde dabei von Literaturkritik mit freudianischen und biblischen Vorstellungen unterlegt und beschreibt tatsächlich die Spaltung einer Persönlichkeit (im Gegensatz zur volksetymologischen Bedeutungszuordnung), dazu muss das Spiegelbild nicht zwangsläufig aus dem Spiegel treten (Oscar Wilde, Dorian Gray).


    Das aber ist vor allem für die Literaturkritik wichtig. Wenn man deren Techniken für die Erarbeitung des Handwerkes einsetzen will, muss man einen Schritt weitergehen, und nach der Analyse den Blick auf die Techniken richten. Wie entsteht hell? Warum erscheint etwas (heute, im individuellen Leser) sexuell besetzt, obwohl es nach den Poetiken der Zeit das gar vielleicht gar nicht war? Wie kommt die Geschichte bei mir an, wenn ich Freud außen vor lasse?


    Das - wie gesagt - ist der Schritt, der die Methode dann dazu befähigt, auch für die Textproduktion produktiv zu werden, obwohl eigentlich dazu dient, bestehende Textkörper zum Erkenntnisgewinn zu analysieren.


    Liebe Grüße
    Judith

    Nay, thy lordship, me ain't no thief, not even a smart one - Piper Quickfingers



    Der Tokee in Die rote Kammer [buch]393991407X[/buch]

  • Zitat

    Original von Judith

    Das "Doppelgängermotiv" wurde dabei von Literaturkritik mit freudianischen und biblischen Vorstellungen unterlegt und beschreibt tatsächlich die Spaltung einer Persönlichkeit (im Gegensatz zur volksetymologischen Bedeutungszuordnung), dazu muss das Spiegelbild nicht zwangsläufig aus dem Spiegel treten (Oscar Wilde, Dorian Gray).



    Judith


    Man kann das Doppelgängermotiv zwar der "gespaltenen Persönlichkeit" zuordnen, aber es wird ihr nicht wirklich in allen Aspekten gerecht. Schon bei Dr. Jekyll & Mr. Hyde nicht.

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    Emanuel von Bodmann


  • Hallo Horst-Dieter,


    natürlich wird es der Geschichte nicht gerecht, weil es ein Fachterminus ist, der ein begrenzte Reichweite hat und die Geschichte - wie alle Texte - ganz viele Aspekte ins Spiel bringt. Das ist der Nachteil von Fachsprachen und Definitionen, sie beschränken den Blick auf eine Facette, weil nur schwer alle gleichzeitig untersucht werden können und am Ende ja ein wissenschaftlicher Erkenntnisgewinne stehen soll. Das geht nur über das Model, dass eben nicht alle Variablen einer Wirklichkeit berücksichtigt, auch nicht einer so geschlossenen wie der einer Novelle.


    Demgegenüber steht, was sich ohne die Definition unter Doppelgänger verstehen lässt, und das ist weit mehr oder weit weniger, nur einigen muss man sich (mit sich selbst) halt auf eine Bedeutung und die dann auch nennen, wenn man den Begriff verwendet. D



    Liebe Grüße
    Judith

    Nay, thy lordship, me ain't no thief, not even a smart one - Piper Quickfingers



    Der Tokee in Die rote Kammer [buch]393991407X[/buch]

  • Hallo Judith,


    Beziehst du dich schon auf die Reitergeschichte?


    Wir hatten das Thema „Doppelgänger" bereits abgehakt, weil wir festgestellt haben, dass in der Geschichte kein Doppelgänger auftaucht, sondern ein Spiegelbild.


    Wir sind auch zu dem Schluss gekommen, dass Doppelgänger und Spiegelbild zwar mitunter Beziehungen zueinander haben, aber nicht miteinander identisch sind.


    Abgesehen davon wird die isolierte Betrachtung dieses einen Motives der ganzen Geschichte nicht gerecht. Es geht in der Reitergeschichte nicht und nicht nur um Doppelgänger und Spiegelbilder.


  • Jean Paul brachte den Doppelgänger bereits 1796 im Siebenkäs in einer Fußnote zur Sprache. Seither wurde die Spur immer breiter. Als Hoffmannstal seine »Spiegelerlebnis« (jetzt mal als Variante des Doppelgängers gesehen) beschrieb (1899) hatten Freud und Jung sich zu diesem »Thema« noch nicht geäußert. Von Jean Paul also, über E.T.A. Hoffmann, die Grimms (haben ihn in Ihrem Wörterbuch als 'Doppeltgänger'), Schopenhauer, Mörike (es gibt ein Gedicht zu diesem Thema) bis zu Hoffmannsthal (jetzt mal nur ein paar und längst nicht alle deutschen Autoren genannt, die das Thema aufgegriffen haben, und den Rest Europas ausgeklammert) gibt es also eine ziemlich deutliche literarische Ausdeutung dieses Themas mit zahlreichen Facetten und nur deshalb wies ich darauf hin, dass das Festzurren auf »gespaltene Persönlichkeit« hier zu eng ausfällt. Das sollte kein Anstoß zu einem Grundlagenstreit sein.


    Und natürlich hat TWJ Recht: Wir sollten diesem Spiegelbildmotiv in dieser Geschichte nicht zu viel Gewicht geben.


    liebe Grüße


    Horst-Dieter

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    Emanuel von Bodmann


  • Hallo Thomas,


    Zitat

    Liebe Anja,
    ich habe eine sehr schöne Frage für dich: Der Kritik Otto Brahm hat HvHT vorgeworfen, dass die Geschichte „kleistisierend“ sei. Hat er Recht? Und was meinte er eigentlich mit „kleistisierend“?


    Die Frage kann ich Dir leider nicht beantworten. Und zwar deshalb nicht, weil ich Kleist nur gelesen, aber nie analysiert und auch nie versucht habe herauszubekommen, was das Typische an Kleists Stil ist. Leider :). Das einzige, was mir ohne jede Stilanalyse einfiele, wäre das Erzähltempo. Der Text hält sich, ähnlich wie ich das von einigen der Kleistschen Erzählungen in Erinnerung habe, wenig mit narrativen Ausschmückungen auf. Es gibt keine Ruhepunkte, keine länger auserzählten Episoden.


    Mehr habe ich dazu nicht im Angebot :).


    Übrigens würde ich mich Sabine anschließen. Der Einzug in Mailand wird sprachlich in die Nähe zur Vergewaltigung gerückt, nicht unbedingt gewalttätig, aber in der Symbolsprache doch eindeutig. Und ich finde das auch durchaus schlüssig, denn die beiden nächsten Abschnitte, die Begegnung mit dem Mädchen Vuic und der Ritt durch das Dorf, kreisen um das erotische Begehren des Wachtmeisters. Oder anders: Das Mädchen hat dieses Begehren geweckt, die Frau aus dem Dort könnte, wenn ich in Deiner Deutung als Hölle bleibe, die (strafende) Antwort auf dieses Begehren sein.


    Liebe Grüße
    Anja

  • Noch mal etwas zum Doppelgänger / Spiegelbild: Ein Autor, der ja auch gerne damit arbeitet, ist eben Hoffmann. Aber ich denke (ich meine, Judith hat das gesagt) man darf über dieses Motiv nicht die heutige Psychoanalyse legen. Ich kann jetzt nichts zu Hofmannsthals Text sagen, aber von E.T.A. Hoffmann weiß ich, dass er sich sehr eingehend mit der Psychologie seiner Epoche beschäftigt hat und dass er deren Erkenntnisse in seine Texte eingebaut hat. Dass einige seiner Texte sich für Freud geradezu als Fallstudien angeboten haben, konnte Hoffmann allerdings nicht wissen, und insofern hat er zumindest nie bewusst mit den theoretischen Modellen Freuds gearbeitet.
    Da kommt dann wieder mein literarhistorischer Zugang zum Tragen: Ein Autor kann nur sagen wollen (bewusst sagen wollen), was in seiner Zeit bereits gedacht wurde.
    Aber ich fürchte, ich bin ziemlich vom Thema RT abgekommen :).

  • Hallo Thomas,


    nein, ich habe mich noch nicht auf die Geschichte von Hoffmannsthal bezogen, sondern auf die Verwunderung darüber, dass die Psychoanalyse so beliebt war um die Zeit und darum, dass das Doppelgängermotiv ein Fachbegriff ist, der eine bestimmte Bedeutungsbandbreite hat, die gewöhnlich auch das Spiegelbild als Ausprägung der Persönlichkeitsbildungen mit einschließt.


    Die Tradition beginnt nach verbreiteter Meinung in der deutschen Literatur tatsächlich mit Kleist (nu ja, als wäre der der erste gewesen, der den Amphitryon-Stoff verwendet hätte). Dabei fällt mir ein, dass Brahms wohl beides mit seinem kleistisierend gemeint haben könnte, eben Epigonentum, dass der Romantik ja ohnehin immer vorgeworfen wird.


    Welche Schlüsse ich bezüglich des Handwerks aus den beiden Texten für mich ziehe, gibt es frühenstens am Mittwoch zu lesen.


    Liebe Grüße
    Judith

    Nay, thy lordship, me ain't no thief, not even a smart one - Piper Quickfingers



    Der Tokee in Die rote Kammer [buch]393991407X[/buch]

  • Zitat

    Original von Anja
    Übrigens würde ich mich Sabine anschließen. Der Einzug in Mailand wird sprachlich in die Nähe zur Vergewaltigung gerückt, nicht unbedingt gewalttätig, aber in der Symbolsprache doch eindeutig.


    Madame,


    von Vergewaltigung hat Sabine gar nichts gesagt und ich sehe das auch nicht. Die Schwadron reitet diszipliniert durch Mailand. Ich räume gerne ein, was ich ja bereits getan habe, dass die Reiter Symbole männlicher Macht und damit ev. auch einer aggressiven Sexualität zeigen – aber geschehen tut nichts. Und das, denke ich, ist das Entscheidende.


    Die Begegnung mit der Vuic (die übrigens kein Mädchen ist, sondern eine Frau von mittleren Jahren) löst das erotisch Begehren der Hauptfigur aus, ganz klar. Nur führt eben von den erotischen Tagträumen des Wachtmeisters ein direkter Weg zu dem versuchten Beutezug im Dorf und weiter zur Insubordination.


    Das Dorf hat die üblichen Attribut der Hölle, aber ich sehe es noch als Warnung, und es gibt ja noch einen Weg zurück aus der Hölle.


    Die Bestrafung ist dann am Schluss tatsächlich die Exekution durch den Rittmeister.

  • Zitat

    Original von Anja
    Aber ich fürchte, ich bin ziemlich vom Thema RT abgekommen :).


    Aber das hat doch bei uns hier schon Methode, oder? :evil


    Manchmal denke ich mir ja heimlich: Eigentlich will gar niemand wirklich Texte analysieren - und wenn das hier hundert Mal "Textanalyse" heisst.

  • Stimmt. Vergewaltigung ist es keine, nur (aggressives) Begehren. Aber zumindest denke ich, dass bereits mit dem Einzug in Mailand eines der entscheidenden Themen der Geschichte eingeführt wird, nämlich die Erotik. Ich glaube, das ist kein Nebenthema. Ich würde sogar meinen, von den sexuellen Wünschen des Hauptmanns zum Kampf und sogar zum Töten und zur Gehorsamsverweigerung ist das hier eine lineare Entwicklung. Hier, im Text.


    Nachtrag, Abweichung vom Thema: Ich kann auch noch mal einen kleinen Exkurs ins Mittelalter vornehmen :evil :)


    Liebe Grüße
    Anja