Thomas Glavinic: Das bin doch ich

  • Die Vermessung der Schriftstellerwelt



    Thomas Glavinic hat in diesem Roman, der 2007 erschien, über einen Autor namens Thomas Glavinic geschrieben. Dieser lebt in Wien, hatte bereits ein paar Achtungserfolge, kann sogar eine Verfilmung vorweisen, aber so recht hat sich der Erfolg noch nicht eingestellt. Erfolg, das wäre die Longlist zum Deutschen Buchpreis. Großer Erfolg, das wäre die Shortlist. Ganz großer Erfolg aber ist, was Daniel Kehlmann, ein Spezi Glavinics, mit "Die Vermessung der Welt" parallel vormacht. Ein wiederkehrendes Element in "Das bin doch ich" sind Gespräche oder SMS-Dialoge mit Kehlmann, die zumeist mit der Nennung der aktuellen Verkaufszahlen enden. Fast eine Million Bücher sind es am Ende. Auf Kehlmann, den ein Kritiker sinngemäß als "die bemerkenswerteste deutsche Autorenstimme" bezeichnet, bezieht sich dann auch der Titel: "Das bin doch ich", kommentiert Glavinic gedanklich den Kommentar.


    Dieser Roman-Glavinic ist egozentrisch, hypochondrisch, idiosynkratisch, aviophob, tendenz-misantroph und auf dem besten Weg zum Schwerstalkoholiker. Er nimmt jeden Termin wahr, der sich bietet, so auch die Jury-Mitgliedschaft bei einem Filmpreis, der ihn überhaupt nicht interessiert, fühlt sich aber meistens unwohl unter Menschen, nicht nur unter fremden. Er geht täglich zum Inder essen, am Naschmarkt, und isst auch immer das gleiche, und findet fortwährend Ausreden dafür, das Ritual zu wiederholen. Er schreibt nachts im Suff E-Mails und schämt sich am Morgen dafür, ist aber erstaunlicherweise nicht dazu in der Lage, nachzuprüfen, was er da der Weltgeschichte mitgeteilt hat. Er wartet auf Antwort seiner Agentin, der das neueste Werk - "Die Arbeit der Nacht" - vorliegt. Glavinic googelt ständig nach sich selbst, hat sogar den eigenen Wikipedia-Eintrag verfasst, aber er schämt sich ein bisschen, allerdings auf eitle Weise, wenn er wieder einmal erklären muss, darf oder soll, Schriftsteller zu sein. Er liest andere Autoren - etwa Denis Johnson - und ärgert sich darüber, solche Bücher nicht schreiben zu können. Er zweifelt. Er trinkt und trinkt und trinkt. Er meidet den Anblick der eigenen Hoden, weil er mal gelesen hat, dass Vergrößerungen auf Krebs hinweisen können. Er ist, in wenigen Worten zusammengefasst, eine unsichere, fremdbestimmte Person, was ihn wohl auch - nach eigener Diagnose, die irgendwo zwischen den Zeilen aufzufinden ist - hauptsächlich von jenen Autoren unterscheidet, die Erfolg haben, also auf irgendwelchen Long- oder Shortlists herumhängen. Aber das ist - im Roman wie in der Kritik - eine Mutmaßung.


    Um zwei Dinge geht es in "Das bin doch ich" nur am Rande. Einerseits um Glavinics Familie, insbesondere die Frau Else und den Sohn Stanislaus, die zwar zum Personal gehören, aber eher die Präsenz von Nachbarn oder Arbeitskollegen aufweisen (diese Schonung könnte als Indiz für die Authentizität der Erzählung gewertet werden). Und andererseits, erstaunlicherweise, um das Schreiben. Hin und wieder wird zwar der Druck, das Schreibenmüssen, thematisiert, aber die Schriftstellerei als Motiv reduziert sich auf die Rezeption durch andere, auf den messbaren Erfolg und die Würdigung durch die Kritiker. Folgerichtig endet der Roman auch damit, dass "Die Arbeit der Nacht" zwar bei einem nennenswerten Verlag (Hanser) erscheint, Glavinic aber wieder nicht auf einer "List" landet (das wird übrigens später ausgerechnet mit "Das bin doch ich" erstmals gelingen).


    Das Buch wird als Roman gehandelt, eine Kategorisierung, die der Leser hinnehmen muss, weshalb sich die Frage danach, was hier Fiktion und was Biografie ist, eigentlich verbietet. Allerdings gibt es auch kein Gesetz, das die Spielregeln eines Autors für die Wahrnehmung von dessen Werk vorschreibt. Wer Autor und ehrlich zu sich selbst ist, wird sich im Roman wiedererkennen, woran auch die dezente ironische Überspitzung nichts ändert. Kulturschaffende sind Sklaven jener, die Kultur bewerten, und von dieser Form der Sklaverei handelt "Das bin doch ich." Vom Hoffen und Bangen, vom Vergleichen und Abwarten, vom Ausgeliefertsein. Dass die Schöpfung selbst dabei zum Nebenaspekt gerät, erklärt sich spätestens an dieser Stelle.


    Sprachlich kommt "Das bin doch ich" im Vergleich zum restlichen Oeuvre Glavinics eher geradlinig daher, weniger kunstvoll, persönlicher, wenn man - wer eigentlich? - so will. Das Buch ist möglicherweise ein kleines, gemeines Spielchen mit der Erwartungshaltung des Lesers, vielleicht aber auch einfach ein ehrliches Stück biografischer Gegenwartsliteratur, das endlich jemand den Mut hatte, zu schreiben. So oder so - es ist interessant, meistens spannend und im Wortsinn bemerkenswert.


    ASIN/ISBN: 3423138459

  • Kann deine Kritik nur bestätigen. Ich habe das Buch gern gelesen - und man (also ich) fragt sich immer wieder: Was ist echt, was erfunden? Und als ich bald nach der Lektüre anlässlich eines Wien-Besuchs durch den Naschmarkt stromerte, dachte ich mir dauernd: Wo wohl grade der Glavinic säuft?
    Ich habe auch "Wie man leben soll" gelesen, das ich ein wenig pubertär fand, und den Krimi "Der Kameramörder", der in seiner spröden Art etwas Düsteres hat. "Das Leben der Wünsche" steht auf meinem Weihnachtswunschzettel :-)

  • Unter uns: Ein österreichischer Freund von mir hat TG schon ein paar Male getroffen und hält - ganz subjektiv - den Roman für vollständig authentisch. ;)


    "Wie man leben soll" und "Das Leben der Wünsche" habe ich im Forum rezensiert; "Der Kameramörder" steht noch aus:


    Thomas Glavinic: Wie man leben soll


    Thomas Glavinic: Das Leben der Wünsche

  • Ich habe das Buch gelesen und mich während der ganzen Lektüre gefragt, wo denn bloß der Witz liegt, von dem auf dem Buchrücken so laut die Rede ist. Ein Autor bemerkt laut Titel etwas über sich selbst, nämlich, wie man liest, wie banal und langweilig sein Leben ist, dass es auf der Welt nichts zu tun gibt, wenn man auf seinen Buchvertrag wartet, und dass sich der Erzähler mitunter arrogant und oberflächlich verhält (z.B. beim Bekenntnis, dass ihn Politik nicht interessiere). Außerdem kann man zwischen den Zeilen lesen, was für ein einfältiger Fatzke (Überraschung!) Daniel Kehlmann ist.


    Das Buch bietet weder Spannung, Dramaturgie, noch (Wort-)Witz oder Ironie. Aber immerhin die Erkenntnis, wie belanglos der Literaturbetrieb ist.

  • Hallo, Michael.


    Zitat

    Ich habe das Buch gelesen und mich während der ganzen Lektüre gefragt, wo denn bloß der Witz liegt, von dem auf dem Buchrücken so laut die Rede ist.


    Du glaubst also noch an Klappentexte? ;)


    Der Witz dieser Geschichte besteht darin, dass sie (pseudo)authentisch davon erzählt, was einen aufstrebenden Schriftsteller wirklich umtreibt. Es ist ihm egal, was er schreibt, es geht ihm nur darum, wahrgenommen zu werden. Und um nichts sonst. Literatur ist nur das Vehikel für sein Ego - und diejenigen der anderen Protagonisten. "Das bin doch ich" hält dem Betrieb einen Spiegel vor, ohne auf die Option zu verzichten, vollständig fiktional zu sein. Ich fand das durchaus witzig, erhellend und klug. Das ist kein großer Roman, aber auch kein kleiner.

  • Hallo Tom,


    Du glaubst also noch an Klappentexte? ;)


    eigentlich im gleichen Ausmaß wie an Reklame, aber bei den Rezensionsausschnitten müssen sich deren Schreiber ja was gedacht haben.


    Zitat


    Der Witz dieser Geschichte besteht darin, dass sie (pseudo)authentisch davon erzählt, was einen aufstrebenden Schriftsteller wirklich umtreibt. Es ist ihm egal, was er schreibt, es geht ihm nur darum, wahrgenommen zu werden. Und um nichts sonst. Literatur ist nur das Vehikel für sein Ego - und diejenigen der anderen Protagonisten. "Das bin doch ich" hält dem Betrieb einen Spiegel vor, ohne auf die Option zu verzichten, vollständig fiktional zu sein. Ich fand das durchaus witzig, erhellend und klug. Das ist kein großer Roman, aber auch kein kleiner.


    Ja, gut, aber das wird doch so gut wie gar nicht ironisch überhöht und auf die Spitze getrieben. Für mich wird da einfach nur biedere Realität, belangloser Schriftstelleralltag abgebildet. Komisch geschrieben geht anders. Vielleicht hat mich auch der ständige Kehlmann gestört, der dann nach dem Roman eigentlich nicht mehr Glavinics Freund sein dürfte.

  • Das "Problem" besteht darin, wie wir beide, Du und ich, diesen Text wahrgenommen haben. Du begreifst ihn offenbar als überwiegend authentisch, ich nicht, obwohl ich diese Option ausdrücklich mag. In dieser Variante ist "Das bin doch ich" hochgradig ironisch und auch witzig, in Deiner wohl weniger.

  • Das "Problem" besteht darin, wie wir beide, Du und ich, diesen Text wahrgenommen haben. Du begreifst ihn offenbar als überwiegend authentisch, ich nicht, obwohl ich diese Option ausdrücklich mag. In dieser Variante ist "Das bin doch ich" hochgradig ironisch und auch witzig, in Deiner wohl weniger.


    Wahrscheinlich hast Du recht Tom; vielleicht liegt's auch daran, dass ich anteilsmäßig mehr Humorzeug lese.

  • Ich habe das Buch auch gelesen und fand es sehr gut. Ich mag die Art, wie Glavinic diesen (seinen?) Alltag beschreibt, es ist nicht nur kein direkter Witz und kein direkter Humor, es gibt auch keine offensichtlichen Spannungsbögen, nicht einmal einen stringenten Handlungsablauf, alles ist sehr subtil. Genau das hat mir gefallen.
    Er schreibt vielleicht nicht so gut wie Genazino, Frank Schulz oder Eugen Ruge, aber dafür kurzweilig und unterhaltsam.


    Dieses Buch fand ich übrigens um Längen besser als den Roman "Wie man leben soll". Fast so gut wie das hier rezensierte Werk fand ich "Unterwegs im Namen des Herrn", das leider ein wenig zu üppig mit Klischees dekoriert ist.


    Kehlmanns Weltbestseller hatte ich übrigens direkt im Anschluss an "Das bin doch ich" gelesen und habe dann beschlossen, Bestsellern nicht mehr zu trauen.


    Nils