Rückblenden

  • Hallo,


    Ich habe mal eine Frage zum Thema Rückblenden. Habe dazu trotz Suche hier keinen Fred gefunden, obwohl ich eher vermutet hätte, dass das Thema ausgelutscht ist.


    Ich habe mehrfach gelesen, dass man mit Rückblenden sehr vorsichtig sein soll, weil sie das Erzähltempo bremsen würden. Deswegen bin ich jetzt etwas am Grübeln. :down


    Bei meinem aktuellen Romanprojekt ist es nämlich so, dass der Ursprung des Hauptkonfliktes weit in das 20. Jahrhundert zurückreicht. Ich habe mir dazu eine komplette Vorlaufgeschichte ausgedacht, die ich natürlich im Laufe der Erzählung so nach und nach enthüllen will. Dafür bieten sich zwei Wege an:


    Ich kann meinen Prota bei der Aufdeckung finsterer Machenschaften an alte Zeitzeugen, Dokumente, Gegenstände usw. geraten lassen, die ihm die Begebenheiten erzählen. Käme mir so ein wenig wie die Symbolikschnitzeljagden von Dan Brown vor.


    Ich könnte aber auch die Vergangenheit aufleben lassen, in dem ich die damaligen Geschehnisse tatsächlich szenenweise geschehen lasse, also durch Rückblenden. Am besten noch überschrieben mit "Altlandsberg 1958" oder so. Dann taucht man in das dortige Geschehen ein und dann kommt die nächste Szene "Berlin 2005", also wieder zurück in der Gegenwart.


    Ich persönlich fände die zweite Möglichkeit attraktiver, weil dann die Begebenheiten nicht erzählt werden, sondern quasi geschehen. Aber es heißt ja, dass Rückblenden bremsen... :bonk


    Habt Ihr eine Meinung dazu?


    Liebe Grüße
    Achim


  • Bremsen ist ja auch nicht immer schlecht. Auf gerader Strecke stören sie meist, aber vor Kurven ist Bremsen meist sinnvoll :)


    will sagen: Eine Rückblende im Roman kann z.B. auch spannungsfördernd sein, wenn sie an der richtigen Stelle kommt.


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Zitat

    Original von Horst Dieter
    will sagen: Eine Rückblende im Roman kann z.B. auch spannungsfördernd sein, wenn sie an der richtigen Stelle kommt.


    Horst-Dieter


    ... naja, das wären eher 5 oder 6 Rückblenden, immer an den Stellen, an denen die damaligen Geschehnisse für das Verständnis der Geschichte notwendig wären. Wobei mich das nicht von der Pflichte befreien würde, meinen Prota das auch noch herausfinden zu lassen. Aber im rückwärts erlebten Geschehen wäre es für den Leser eindrücklicher, als wenn er nur liest, dass damals schlimme Dinge geschahen.


    Liebe Grüße
    Achim

  • Ich denke auch, bei Rückblenden kommt es immer darauf an, inwieweit sie den Erzählfluss hemmen oder nicht.
    Bei Romanen, bei denen an den spannendsten Stellen ein 'cut' gemacht und eine Rückblende eingeschoben wird, kriege ich als Leserin die Krise. Ich bin sehr neugierig und will dann wissen, wie es weiter geht.
    Wenn ich aber einen Text habe, der gemächlich dahin fließt, sammel ich die Rückblenden sozusagen im Vorbeifahren mit ein und genieße den zweiten Handlungsstrang mit ins Boot zu nehmen.
    Kurz, bei einem Text, der durch sein Tempo funktioniert, zum Beispiel in Richtung Krimi oder Thriller, würde mir die 'Schnitzeljagd' besser gefallen. Ein, ich will mal sagen 'Entwicklungsroman' oder Ähnliches, könnte bei mir auch gut Rückblenden enthalten.


    Herzlichen Gruß,
    Cordula G.

    "Man muss immer noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können." Nietzsche

  • Zitat

    Original von AchimW


    ... naja, das wären eher 5 oder 6 Rückblenden, immer an den Stellen, an denen die damaligen Geschehnisse für das Verständnis der Geschichte notwendig wären. …
    Achim


    Nicht unbedingt. Eher an den Stellen, an denen ein Bruch des Handlungsverlaufs die Spannung schlagartig zurücknimmt. Nach den Rückblende findet durch die Erwartung des Lesers dann eine Steigerung der Spannung statt - vorausgesetzt, der Autor enttäuscht die Erwartung des Lesers dann nicht


    Horst-Dieter


    Ich sehe es also anders, als Cordula G. Dass die Leser »die Krise« bekommen, ist ja ein gewollter Effekt. ;)

    BLOG: Welt der Fabeln


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    ASIN/ISBN: 3831335559


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    Emanuel von Bodmann


  • Hallo Achim


    Man liest ja häufig, dass Rückblenden verpönt sind - ich finde das Quatsch. Wie immer kommt es darauf an, wie sie in die Geschichte eingebettet sind und wie geschickt der Autor sie einzusetzen weiss.


    Ich bin ein Fan von aktiven Rückblenden, wäre also für die 2. Version. Ob die bremsen? Denke ich nicht. Bremsen würden eher lange Passagen, in denen einfach nur erzählt wird, was früher geschah.


    Bei meinem letzten Thriller hatte ich für Rückblenden einen Auslöser. Keine Ahnung, ob das jetzt ein gutes Mittel ist, den Leser darauf vorzubereiten, dass die Geschichte in die Vergangenheit springt. Aber es hat sich - bis jetzt! - auch keiner darüber beschwert. :D


    Im Dialog ist es natürlich auch möglich, etwas aus der Vergangenheit aufleben zu lassen. Nur ist es dabei schwieriger, Athmosphäre aufzubauen. Es sagt ja keiner: "Es war ein kalter, windiger Tag im Januar. Eiszapfen hingen an den Dächern, Vögel hockten wie schwarze Kegel in den Bäumen, als ich ..." :D


    Bei was ich immer "die Krise" kriege, ist, wenn die Erzähler wechseln. Gerade wenn's spannend wird, ändert Geschehen und Perspektive.
    "Chapeau, werter Autor", denke ich dann immer, "schon wieder schaffen Sie es, mich bei der Stange zu halten." ;)

  • Zitat

    Ich sehe es also anders, als Cordula G. Dass die Leser »die Krise« bekommen, ist ja ein gewollter Effekt.


    Natürlich kommt es immer auf den Leser an. Bei mir hätte eine, höchstens eine zweite, solche 'Krise' den Effekt, dass ich das Buch weglegen und sicher nicht weiterempfehlen würde.


    Ein Roman mit einem Spannungsbogen, der immer neu aufgebaut werden muss, weil er durch eingeschobene Rückblenden abstürzt, ist mir zu anstrengend zu lesen.
    Als säße ich in einem Flugzeug, das immer wieder in Start- und Landephasen wechselt. Gerade meint man, jetzt ist man oben, es geht weiter, da geht es schon wieder nach unten.


    Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich bisher mehr Bücher dieser Art gelesen habe, bei denen ich das ungute Gefühl hatte, der Autor versuche künstlich Spannung aufzubauen, anstatt die Spannung aus der Handlung heraus entstehen zu lassen.
    So wird für mich mancher Kunstgriff zum Missgriff.


    Cordula G.

    "Man muss immer noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können." Nietzsche

  • @ Margot

    Zitat

    "Chapeau, werter Autor", denke ich dann immer, "schon wieder schaffen Sie es, mich bei der Stange zu halten."


    Dem kann ich mich nur anschließen, wenn er es denn schafft ;)


    Cordula G.

    "Man muss immer noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können." Nietzsche

  • Hallo und vielen Dank für eure Einschätzungen.


    Mir scheint, dass es tatsächlich von der Kunst des Autors abhängt, ob sich eine Story mit mehren großen Rückblenden spannend liest. Ich muss mir überlegen (oder es einfach ausprobieren), ob solch eine Rückblende sich organisch von der vorherigen Szene ein- bzw. überleiten lässt (nicht als Bruch empfunden wird) und ob sie nicht nur Information vermittelt, sondern die Geschichte auch voranbringt.
    Wo mir dieses Hin- und Herspringen einmal gut gefallen hat, was Stephen Kings "Es". Da hat mich das nicht gestört, allerdings war die Handlung ja auch so aufgebaut, dass sich die Geschehnisse von damals und heute wiederholten und es deswegen wesentlich öder gewesen wäre, das hintereinander zu schreiben.


    Bin am Wochenende nicht on, deswegen nicht wundern, wenn ich nicht antworte, falls noch jemand hier was postet.


    Liebe Grüße
    Achim

  • Hallo Achim,


    falls du mal wieder alle Dokumente viel zu schnell abgearbeitet hast, dann empfehle ich dir die Lektüre „Die Entdeckung der Currywurst“ von... von...


    Andy denkt...


    Ich komme auch ohne Google drauf!


    Uwe Timm (ich glaube mit Doppelkonsonant - spricht man Timm dann noch schneller?)


    Hier wird die Entdeckung der Currywurst retrospektiv aufgewickelt. Die Unterbrechungen verlangen das Weiterlesen. Meines Erachtens hat Uwe das ganz originell konstruiert.
    Ich würde mich für diese Möglichkeit entscheiden. Briefe, Dokumente und Zeitungsartikel einzuschieben, muss schon kunstvoll verpackt werden, damit man nicht immerzu am „Nachlesen“ ist. „Schon wieder ein Brief“.
    Im Roman „Leichraub“ von Tess Gerritsen kannst du dieses Schema untersuchen. Krimis gehören weder zu meinen bevorzugten Büchern noch zu meinen Interessen. Aber ich glaube sagen zu können, dass sie ein Gleichgewicht mit diesem Werkzeug gefunden hat.


    Andy

  • Hallo Andreas,


    vielen Dank für den Buchtipp, kommt gleich auf meinen Wunschzettel (habe in absehbarer Zeit Geburtstag, da bietet sich das an =))


    Zitat

    Ich würde mich für diese Möglichkeit entscheiden. Briefe, Dokumente und Zeitungsartikel einzuschieben, muss schon kunstvoll verpackt werden, damit man nicht immerzu am „Nachlesen“ ist. „Schon wieder ein Brief“.


    Ist auch meine Sorge. Insofern kann man durch einen konsequenten Verzicht auf Rückblenden zwar die Erzähldynamik retten, aber mit der Schnitzeljagdmethode auf der anderen Seite vom Pferd fallen. Da bieten sich dann ne Menge billiger Lösungen an. Man könnte sogar vermuten, dass es die billige Lösung für meine Konzeption wäre, auf Rückblenden von vornherein zu verzichten.


    Ich habe am Wochenende das grobe Storyboard für meinen Roman gebastelt und dabei mal so ca. 5 größere Rückblenden konzipiert. Ich glaube, ich werde die einfach dann mal schreiben und schauen, ob sie sich in die Handlung einschmiegen - oder einfach nur stören. Der Knackpunkt wäre in meinen Augen, ob es ein verbindendes Glied zwischen der Rückblende und der unmittelbar angrenzenden Handlung gibt, so dass der Leser eigentlich nicht aus dem Erzählfluss herausgerissen wird, sondern ihm nur auf einer anderen (Zeit-)Ebene folgt. :rolleyes


    Hmmmm, ich neige manchmal dazu, mir das Leben beim Schreiben erheblich schwer zu machen, weil ich ziemliche Ansprüche stelle (bin schließlich schriftstellerisch erst im zweiten Jahr). Andererseits: wenn man sich nicht nach oben reckt, wie will man dann wachsen :frust?


    Liebe Grüße
    Achim

  • Moin Achim.


    Zitat

    Original von AchimW
    Ich habe mehrfach gelesen, dass man mit Rückblenden sehr vorsichtig sein soll, weil sie das Erzähltempo bremsen würden. Deswegen bin ich jetzt etwas am Grübeln. :down


    Rückblenden sind ein großartiges Stilmittel. Wenn ein Roman gut ist, kann er von mir aus großenteils aus Rückblenden bestehen. Andererseits sollten Autor/innen mit *allen* Stilmitteln vorsichtig sein *g (vorsichtig sein = sorgsam umgehen) ... Sprich: Alles ist erlaubt, wenn das Resultat stimmt, und für wen es "stimmt", führt dann noch zur nächsten Frage, welches Buch du schreiben und welche Leser/innen du erreichen möchtest.


    Es hängt ja auch evtl. damit zusammen, was man seinen Leser/innen "zumuten" mag. Wenn die Priorität dabei liegt einen leicht lesbaren Roman zu schreiben, der die Leser/innen mit den üblichen Spannungsbögen usw. bedient, sollte man idR wohl eher auf etliche Zeitebenen, Perspektivenwechsel, Sprachspielchen und sonstwelche Experimente verzichten. Ansonsten: schreiben und gucken, was dabei rauskommt.
    (Ich hab gut reden, ich mache mir mit derlei Entscheidungsfragen in der "Projektierungsphase" das Leben schwerer, als es sein müsste. Aber ich habe trotz allem noch keinen Weg gefunden, solche Fragestellungen befriedigend für sich selbst als Autor/in zu beantworten, ohne es durch Schreiben auszuprobieren. :zwinker )

    Frau: "Warum müssen Frauen immer still sein?"
    Mann: "Weil sie dann länger schön bleiben."
    (Der Hexer, 1964)