Simplicissismus

  • Am 11.11. in der Nationalbibliothek, Ffm, die Neuübertragung des „Der abenteuerliche Simplicissimus“, Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, in modernes Deutsch von Reinhard Kaiser, wird unter Mitwirkung von hr2 Kultur vorsgestellt.
    Gelesen hat Felix von Manteuffel, unprätentiös, wunderbar. Er spielt derzeit am Frankfurter Schauspiel
    Reinhard Kaiser hat nach Meinung der Presse eine Großtat vollbracht und die Ausschnitte, die Felix von Manteuffel an jenem Abend zu Besten gab unterstrichen dieses. Abgesehen von der rezitatorischen Leistung, die Manteuffel auf die Frage des Moderators, wie er es denn schaffe, all die vielen verschiednen Figuren so unterschiedlich zu lesen, mit der Bemerkung, es sei schließlich sein Beruf beantwortete, war es eine Freude dieser Sprache zuzuhören.
    Es ist Kaiser gelungen, dass wir "normalen" Menschen, die die zwar des Deutschen mächtig sind, aber die Originalfassung höchstens ansatzweise zu lesen imstande sind, nun ohne Germanistikseminar, den Simplicissimus lesen und verstehen können. Dennoch hat er es nach geschafft durch eine große Nähe zur ursprünglichen Fassung (wurde anhand von Textbeispielen von ihm persönlich gezeigt), an der Figur des Barockmenschen Simplicissimus nahe dran zu bleiben und den Ton nicht zu verfälschen.

  • Typisch FAZ. Simplicissimus in neuer Übersetzung. Als ob es alte Übersetzungen je gegeben hätte =)


    Das Buch ist auch in der Originalfassung in deutscher Sprache geschrieben. Hier der Anfang des ersten Kapitels


    Zitat

    Vermeldet Simplicii bäurisch Herkommen und gleichförmige Auferziehung


    Es eröffnet sich zu dieser unserer Zeit (von welcher man glaubt, daß es die letzte sei) unter geringen Leuten eine Sucht, in der die Patienten, wenn sie daran krank liegen, und so viel zusammen geraspelt und erschachert haben, daß sie neben ein paar Hellern im Beutel ein närrisches Kleid auf die neue Mode mit tausenderlei seidenen Bändern antragen können, oder sonst etwa durch Glücksfall mannhaft und bekannt worden, gleich rittermäßige Herren und adelige Personen von uraltem Geschlecht sein wollen; da sich doch oft befindet, daß ihre Voreltern Taglöhner, Karchelzieher und Lastträger; ihre Vettern Eseltreiber; ihre Brüder Büttel und Schergen; ihre Schwestern Huren; ihre Mütter Kupplerinnen oder gar Hexen; und in Summa ihr ganzes Geschlecht von allen 32 Anichen her also besudelt und befleckt gewesen, als des Zuckerbastels Zunft zu Prag immer sein mögen; ja sie, diese neuen Nobilisten, sind oft selbst so schwarz, als wenn sie in Guinea geboren und erzogen wären worden.


    Dieses »barocke« Deutsch mag uns befremdlich klingen, unverständlich ist es nicht und einer Übersetzung bedarf es schon gar nicht. Allenfalls Erläuterungen und Erklärungen.


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Lieber Horst-Dieter,


    soll ich meinen Eintrag jetzt löschen? ;)
    Hast du was gegen die FAZ?
    Schau in die Süddeutsche...


    Hier ein Ausschnitt aus der langen Rezension

    Zitat

    Die Übertragung von Reinhard Kaiser erleichtert den Einstieg erheblich. Sie ist, so weit ich dies prüfen konnte, verlässlich und frei von Willkür. Sie bleibt in Wortlaut und Syntax nahe am Original, zugleich ergeben sich ein flüssig lesbarer Text und eine kohärente Stil-Illusion, ohne dass man, wie es bei Übersetzungen aus anderen Sprachen nicht selten geschieht, von der aufgepfropften Eitelkeit eines „zweiten Autors” belästigt würde.


    Ich finde nicht, dass die Übersetzung überflüssig ist.
    Klar, sonst wäre ich nicht zur Lesung gegangen..
    Ich bin ja schon etwas älter, und traue mir auch ne Menge zu, aber ob ich den Simplicissimus in der Urfassung lesen möchte, das bezweifle ich doch sehr.
    Aber mal abgesehen davon, wer von den 30jährigen und jünger versteht ohne Germanistikseminar noch die "Teutsche-Urfassung"?
    Ich finde diese Buch ist es einfach wert, in modernes Deutsch übertragen worden zu sein.



    Einen schönen Sonntag
    Gerda

  • Zitat

    Original von Gerda
    Lieber Horst-Dieter,


    soll ich meinen Eintrag jetzt löschen? ;)


    Wie kommst du darauf?


    Zitat


    Hast du was gegen die FAZ?


    Wenn die Rezensenten der FAZ solche platten Aussagen treffen, dann schon …


    Zitat


    Hier ein Ausschnitt aus der langen Rezension


    Ich finde nicht, dass die Übersetzung überflüssig ist.


    Übertragung und Übersetzung sind zwei Stiefel


    Zitat

    Ich bin ja schon etwas älter, und traue mir auch ne Menge zu, aber ob ich den Simplicissimus in der Urfassung lesen möchte, das bezweifle ich doch sehr.
    Aber mal abgesehen davon, wer von den 30jährigen und jünger versteht ohne Germanistikseminar noch die "Teutsche-Urfassung"?


    Jeder, der unbefangen an die Lektüre geht


    Zitat


    Ich finde diese Buch ist es einfach wert, in modernes Deutsch übertragen worden zu sein.


    Ich finde, dieses Buch ist es einfach wert, in der Originalfassung gelesen zu werden.


    Horst-Dieter

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  • @Gerda
    Nicht dass du das falsch verstehst - ich lästere nicht über die Übertragung von Reinhard Kaiser, die ich nicht kenne und die möglicherweise sogar gut ist, sondern darüber, dass der FAZ Rezensent behauptet, dass es eine Übersetzung ist.


    Und ein klitzekleinesbisschen auch darüber dass du sagst, dass Grimmelshausen barockes Deutsch schwer zu verstehen ist.


    Horst-Dieter

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  • Zitat

    Original von Gerda
    Ich finde nicht, dass die Übersetzung überflüssig ist.
    Ich bin ja schon etwas älter, und traue mir auch ne Menge zu, aber ob ich den Simplicissimus in der Urfassung lesen möchte, das bezweifle ich doch sehr.
    Aber mal abgesehen davon, wer von den 30jährigen und jünger versteht ohne Germanistikseminar noch die "Teutsche-Urfassung"?
    Ich finde diese Buch ist es einfach wert, in modernes Deutsch übertragen worden zu sein.


    @Gerda,


    HD meint das nicht böse, er meint überhaupt nie etwas böse, dafür bin, wie man weiß, ICH zuständig!


    Aber ich möchte HD Recht geben: Der Simplicissimus braucht weder Übersetzung noch Übertragung, er kann von jedermann (auch von jederfrau, natürlich auch von Dir Gerda - vergiss Studium und Germanistik, das hat doch mit Sprachgefühl, Belesenheit und Intelligenz gar nix zu tun) im Original gelesen werden.


    Hilfreich ist ein guter, durchaus auch ausführlicher Kommentar, wie z.B. der in der Ausgabe des Klassiker-Verlages:

    ASIN/ISBN: 3618680023

    Da hst du 500 Seiten Text und noochmal genauso viel an Kommentar und Erläuterungen.


    Noch was: Ich lese auch Faust oder Wilhelm Meister immer mit Kommentar, besondes schön ist der der Hamburger-Ausgabe.


    Und schließlich: ich bin zwar Agnostiker, lese aber gerne in der Bibel. Das tue ich, obwohl ich katholisch erzogen wurden und bei den Jesuiten auf die Schule ging, auf Deutsch ausschließlich in der Übersetzung von Luther. Die ist noch älter als der Grimmelshausen, und trotzdem kann man sie gut verstehen. Ja der ganze kräftige Luther-Ton geht doch in modernen Bibel-Übersetzungen verloren, schlimmstes Beispiel: Die Bibel in gerechter Sprache.


    PS: Auch Shakespeare ist älter als Grimmelshausen, trotzdem käme kein Engländer auf die Idee, Sharespeare in modernes Englisch übersetzen zu müssen.

  • Zitat

    Original von Th. Walker Jefferson


    HD meint das nicht böse, er meint überhaupt nie etwas böse, dafür bin, wie man weiß, ICH zuständig!


    ….


    Das ist ja mein Dilemma :( wenn ich's mal böse meine, glaubt man mir nicht. Noch nicht einmal Thomas Walker …

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  • Wie schön niemand meint etwas böse ... nur, ich habe es auch nicht so verstanden, als ob du Horst.Dieter es böse gemeint hättest..
    Mir kam meine Buchvorstellung nach deinem ersten Eintrag nur völlig obsolet vor, was sich durch weitere Einträge deinerseits und die Stellungsnahme Thomas Walker Jeffersons ja auch bestätigt hat.
    Tatsächlich braucht niemand dieses Buch, :rolleyes und ich dachte tatsächlich voller naiven Eifers, denn ich habe ja, im Gegensatz zu euch Beiden, Auszüge gehört, es könnte durchaus bereichernd für andere sein, es hier vorszustellen.


    Den Unterschied zwischen einer Übersetzung und einer Übertragung, das möchte ich zu meiner Ehrenrettung bemerken, kenne ich sehr wohl, ich bin nicht etwa dem unkundigen Reszensenten der FAZ aufgesessen. 8-)


    Aber mal ernsthaft, ist es nicht auch eine Frage des Lesegeschmacks, ob man sich den Simplicissimus in der teutschen Urfassung "antut"?
    Die Sprache dürfte sensiblen Leser/innen erhebliche Probleme bereiten.


    Ob Engländer, unter 25 Jahre Shakespeare nicht wohlmöglich doch lieber in modernem Englisch lesen, kann ich nur mutmaßen, aber meine Erfahrung mit dem Jungvolk, und ich habe einen ganz guten Draht, ist eher die, dass sie es üblicherweise bequem lieben.


    Herzlich Grüße ins Taubertal, nach Bayern/USA
    Gerda

  • Zitat

    Original von Gerda


    Aber mal ernsthaft, ist es nicht auch eine Frage des Lesegeschmacks, ob man sich den Simplicissimus in der teutschen Urfassung "antut"?
    Die Sprache dürfte sensiblen Leser/innen erhebliche Probleme bereiten.



    Gerda


    Ich würde sagen: Sensible Leserinnen und Leser ziehen die Originalfassung vor. Die anderen die bereinigte.


    Und möglicherweise gibt es einen Bedarf für solch eine Fassung und - wie schon geschrieben - vielleicht ist diese Übertragung sogar gut gemacht. Ich persönlich halte es aber für unnütz. Wer sich einmal in den Grimmelshausen vertieft hat, auch in seine anderen Werke (z.B. die Courage), der wird so schnell nicht mit dem Lesen aufhören. Barockes Deutsch stört dann nämlich überhaupt nicht.


    Anders ist das mit mittelhochdeutschen Texten. Das ist wirklich nicht jedermanns Sache


    Horst-Dieter

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    Emanuel von Bodmann


  • Hihi, die Ortographie ist aber schon arg angepasst. Was diese Ausgaben eben sehr leicht lesbar gestaltet, da braucht es wirklich keine weitere Übertragung IMHO, die ja immer auch eine interpretative Festlegung sein muss. :baby


    Liebe Grüße
    Judith

    Nay, thy lordship, me ain't no thief, not even a smart one - Piper Quickfingers



    Der Tokee in Die rote Kammer [buch]393991407X[/buch]