• Über die enorme Bedeutung, die eine gründliche Recherche besonders für Gattungen wie Thriller hat, ist ja hier schon viel gesprochen worden, steht auch an anderer Stelle viel zu lesen und erscheint mir auch ausgesprochen einleuchtend.
    Auch zum 'wie' gibt es eine Reihe Empfehlungen. Als beste Methode wird häufig der direkte Kontakt mit Spezialisten propagiert. Auch das finde ich nachvollziehbar, aber jetzt mal ehrlich - wie macht ihr das?


    Ich kann doch schlecht weil ich - sagen wir mal einen Spionagethriller schreiben will - bei Generalmajor Georg Freiherr von Brandis anrufen und fragen, ober er Lust hat bei einem Bier mit mir über den militärischen Abschirmdienst zu sprechen. Und wenn ich sowas vorhätte (wirklich nicht jetzt, aber mal gesetzt den Fall) dann müsste ich mich vermutlich auf die Frage gefasst machen: "Was haben sie denn schon so geschrieben?"


    Kurzum - Wie kommt ihr an gute Spezialistenkontakte?

    “Life presents us with enough fucked up opportunities to be evaluated, graded, and all the rest. Don’t do that in your hobby. Don’t attach your self worth to that shit. Michael Seguin

  • hallo marvin,


    am besten direkt auf die leute zugehen. habe ich gerade bei den fußballvereinen in dubai so gemacht. natürlich solltest du vorbereitet sein, um gute fragen stellen zu können.


    denke dich in die psychologie des befragten ein, zeige echtes interesse, sei ehrlich mit dem, was du vorhast (es sei denn, du willst die bundeswehr in die pfanne haun). kann aber sein, dass du in deinem fall von offiziellen nicht soviel erfahren wirst. schau mal, welche journalisten darüber gearbeitet haben, lese das und frage sie dann nach weiterem, was dich interessiert. die werden dir bestimmt dinge erzählen, die sie so nicht schreiben können, weil sie sie selbst nur gehört haben, ohne es belegen zu können. werde selbst experte, so dass du vielleicht ihnen auch etwas erzählen kannst, so haben die auch was davon.


    überhaupt ist wichtig, denselben sachverhalt aus unterschiedlichen perspektiven zu erfragen, in deinem fall vielleicht gefreite, journalisten, andere behörden etc.


    bei mir waren es offizielle, sportjournalisten ... oder unterschiedliche nationalitäten, die in dubai leben.


    viele grüße,
    michael

  • Hallo Marvin,


    ich verstehe deine Zweifel. Ich hätte ähnliche (besonders bez. der gefürchteten Frage nach dem, was ich denn schon veröffentlicht hätte :D).


    "Spionage-Thriller" ist natürlich wieder eine ganz andere Größe ... Aber wenn es z. B. um einen "simplen" Thriller geht: Die Pressestellen der jeweiligen Polizeibehörden sollten auch für Autoren, nicht nur für Journalisten, Anlaufstelle sein und bereitwillig Auskunft erteilen. Da wird dann wahrscheinlich gar nicht mal danach gefragt, "was man denn schon geschrieben hat".


    Abgesehen davon kann man leichter Kontakte zu Leuten knüpfen, die einem bereitswillig Auskunft geben, als man denkt. Seien es nun Gerichtsmediziner, Leute von der Bahnhofsmission, bekennende SM-ler, Taubenzüchter oder was-weiß-ich-nicht-alles. Solange Leute von dem, was sie tun, überzeugt sind und gern darüber reden, werden sie dir auch Auskunft geben.


    Gruß,
    Petra

  • Pressestelle ist gut. Pressestellen gibt es ja für alles mögliche und man ist direkt an einer 'offiziellen' Adresse.
    Und das mit dem MAD war nur ein Beispiel. Ich plane keinen Spionagethriller.


    Aber auch die anderen Tips sind sehr wertvoll. Es muss als 'Spezialist' wohl nicht immer irgendeine aus den Medien bekannte Figur sein.

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  • Hallo Marvin,


    ja die Recherche ist gar nicht so einfach, bei solchen Themen.
    Ich habe mal bei einem Kurzgeschichten Wettbewerb mitgemacht, der sehr kurzfristig war. Naja, ich lebe auf dem Land und hatte kein Möglichkeit in die Bücherei zu kommen.
    Hatte im Internet recherchiert und Kontakt zu einer Journalistin hergestellt, die genau über diese Sache geschrieben hatte.
    Ich hatte da eine ganz spezielle Frage. Sie war sehr hilfsbereit.


    Für meinen Thriller Schwanennebel habe ich auch schon merkwürdige Kontakte geknüpft. :D


    Meist sind die Leute echt interessiert einem zu helfen.


    Liebe Grüße Birgit

  • Auch ich kann die Vorgehensweise "einfach fragen" als durchaus hilfreich empfehlen.


    Problem: In "Red October" von Tom Clancy kam der Begriff "barratry" vor. Den verschwieg mir mein Lexikon. Also habe ich kurzerhand beim Verteidigungsministerium angerufen. Die Telefonzentrale hat nicht lange gefackelt, sondern mich weiterverbunden an die Abteilung für Seerecht - immerhin konnte ich ja den Hinweis geben, dass es sich um einen juristischen Begriff handeln musste und der Tatbestand auf einem U-Boot, vulgo Schiff, gegeben war.


    Ein sehr freundlicher "Kapitän zur See" (mittlerweile sicher längst befördert und/oder im Ruhestand) hat mir dann erklärt, dass es im Gegensatz zur mutiny/Meuterei bei "barratry" keinen weiter als Barratrie eingedeutschten Begriff gibt.


    Fäddich. Wusste ich mehr. Wenn man nur freundlich fragt, ist es also durchaus möglich, freundliche und hilfreiche Antworten zu erhalten.


    Ach ja: Barratrie. In dem Buch geht es darum, dass die Offiziere ihr U-Boot "entführen" und in die USA verbringen. Und warum heißt das nicht Meuterei? Weil Meuterei der Fachausdruck dafür ist, wenn die Mannschaftsgrade den Befehl verweigern. See-Offiziere tun so etwas anscheinend nicht. Höhö. Jedenfalls meutern sie nicht, sondern begehen Barratrie. Ist natürlich auch pfui und verboten.

  • Im Fall eines Spionagethrillers wäre das wahrscheinlich ziemlich kompliziert. Andererseits machen viele Vertreter dieses Genres nicht den Eindruck, besonders intensiv recherchiert zu haben. Von echten Insidern wie John Le Carre mal abgesehen.


    Für Krimiautoren und z.B. Drehbuchschreiber haben die Landeskriminalämter entsprechende Büros eingerichtet, die Auskunft z.B. über Ermittlungsarbeiten und Behördenwege erteilen. Das gibt es zumindest in den meisten Landeshauptstädten.


    Grundsätzlich hängt es davon ab, was und worüber man schreiben will. Viele Informationen findet man im Internet, einige davon sind sogar verlässlich. Erfahrungsgemäß fühlen sich Leute auch gebauchpinselt, wenn man sie als Experten für ein Romanprojekt anspricht und eine Nennung in den "Credits" zusagt. So habe ich für "Idiotentest" einige Informationen von Kriminalbeamten erhalten, darüberhinaus von Ärzten. Vieles kann man live und in Farbe selbst recherchieren, z.B. indem man sich ein paar Tage als Zuhörer in Amts- und Landgerichte setzt.


    Usw.

  • Zitat

    Original von Tom
    Im Fall eines Spionagethrillers wäre das wahrscheinlich ziemlich kompliziert. Andererseits machen viele Vertreter dieses Genres nicht den Eindruck, besonders intensiv recherchiert zu haben. Von echten Insidern wie John Le Carre mal abgesehen. (...)


    Allerdings sind eben auch "echte Insider" nicht vor Fehlern gefeit. So verlegt beispielsweise der Bonn-Kenner John Le Carre die Baulücke am Marktplatz von der rechten auf die linke Seite des Rathauses.
    8-)

  • Zitat

    Original von blaustrumpf


    Allerdings sind eben auch "echte Insider" nicht vor Fehlern gefeit. So verlegt beispielsweise der Bonn-Kenner John Le Carre die Baulücke am Marktplatz von der rechten auf die linke Seite des Rathauses.
    8-)


    Was der Spannung sicher keinen Abbruch getan hat ;)

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Zitat

    So verlegt beispielsweise der Bonn-Kenner John Le Carre die Baulücke am Marktplatz von der rechten auf die linke Seite des Rathauses.


    Und der gebürtige Berliner Autor Tom Liehr behauptet in "Geisterfahrer", der neue Berliner Hauptbahnhof läge im ehemaligen Osten. 8-) Außerdem hätte er das Album "Music For The Masses" von Depeche Mode beinahe nach 1984 verortet, obwohl es 1987 erschienen ist. Das aber hat er noch bei der Fahnenkorrektur bemerkt. In der ersten Auflage des Buches gab es trotzdem noch ein paar andere Aussetzer dieser Art.


    Wer Bonn (oder Berlin) nicht kennt, dem dürfte bei der Lektüre herzlich egal sein, ob die Baulücke am Marktplatz links oder rechts vom Rathaus liegt, oder auf welchem Grund der Berliner Hauptbahnhof gebaut wurde, zumal mindestens letztgenanntes eigentlich nicht die geringste Rolle im Roman spielt. Trotzdem sind das natürlich "Recherchefehler", wenn man so will, wobei ich das Wort eher auf Umstände beziehen wollen würde, die tatsächlich relevant sind und auf Recherche beruhen. Unsere Erinnerung ist eine trügerische Quelle - gleichzeitig aber etwas, das uns davon abhält, Fakten zu überprüfen, die wir sicher zu wissen glauben. Klar ist "MFTM" 1987 erschienen! Aber hallo! Ich erinnere mich noch gut an das Jahr! Tja, dumm gelaufen. Und das mit dem Hauptbahnhof ist natürlich total peinlich. 8o


    In der Filmadaption "Stellungswechsel" erzähle ich in der Hauptsache Szenen des Films nach, wenn man so will. Eine Kernszene des Films besteht darin, dass eine der Hauptfiguren, ein Polizist, mit einer neuen Kollegin Streife fährt - sie sitzt am Steuer. Der Mann nörgelt ständig an ihr herum, rät ihr, hochzuschalten undsoweiter. Aus dieser Situation entsteht ein Verkehrsunfall, der später ausschlaggebend für die weitere Handlung ist. Das war so im Film und ist so im Buch. Mal davon abgesehen, dass die Konsequenzen des Unfalls (die beiden müssen die Kosten tragen und werden zum Objektschutz verdonnert) so in der Realität niemals eintreten würden, ist schon der vorherige Ablauf unrealistisch, wie mir eine befreundete Polizistin energisch und wütend mitteilte. Polizeiwagen sind allesamt mit Automatik ausgestattet. Alle. Bundesweit. Schon seit Jahrzehnten. Und aus gutem Grund (Hände frei). Das ist etwas, das weder ich wusste, noch die Drehbuchautorin, deren Vorlage ich umzusetzen hatte. Es war so im Film und im Buch. Das ist ein echter, sogar ziemlich böser Recherchefehler. Gut, das ist ein Unterhaltungsfilm ohne Anspruch auf Gesellschaftskritik, und es ist sicher auch kein Film über das deutsche Polizeiwesen. Die meisten Zuschauer (und dann auch Leser) sind sicher nicht über diese Szene und ihre Konsequenzen gestolpert. Aber ziemlich blöd ist das dennoch.