Oliver Polak: Ich darf das, ich bin Jude

  • Ein 30jähriger, den außerdem kein Schwein kennt, schreibt seine Memoiren. Ein Kracher! Darauf hat die Literaturwelt gewartet, der Nobelpreis ist nur noch eine Frage der Zeit. Im Ernst: So etwas lesen bestenfalls des Autors Eltern und seine Freunde. Kein Verlag der Welt (sieht man mal von Institutionen, die talentlosen Hobbyschreibern das Geld aus der Tasche ziehen und sich selbst scherzhaft als "Verlage" bezeichnen ab) würde auch nur daran denken, so etwas ins Programm aufzunehmen - es sei denn, der Autor wäre - zum Beispiel - Jude. Und wenn das Werk dann auch noch den plakativen Titel trägt "Ich darf das, ich bin Jude", wird plötzlich ein Schuh - und ein Buch - daraus. Da stellt sich dann auch nicht mehr die Frage, wozu das hoffnungsvolle Nachwuchstalent denn auch noch einen Co-Autor (Jens Oliver Haas) benötigt (Möglichkeit 1: Er selbst kann nicht schreiben, Möglichkeit 2: Er selbst ist nicht witzig), da ist im Land der kollektiven Betroffenheit ein Chartbreaker vorprogrammiert.
    Genug polemisiert. Der Autor Oliver Polak rückt gleich am Anfang gerade, daß im vorliegenden Werk keineswegs die Schuldfrage aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts zum x-tausendsten Mal durchgenudelt werden soll ("Treffen wir doch für die Dauer der Lektüre folgende Vereinbarung: Ich vergesse die Sache mit dem Holocaust – und Sie verzeihen uns Michel Friedman"). Er konstruiert keine Geschichte, sondern läßt den Leser am harten Los des Sohnes der einzigen Jüdischen Familie im ländlichen Papenburg teilhaben, wobei seine Leiden weniger aus dem Jüdischsein, als viel mehr aus dem Einejüdischemutterhaben resultieren. Diese Mutter, ein russischstämmiges Energiebündel mit der Durchschlagskraft einer mit der Hiroshima-Bombe kombinierten, jungen Alice Schwarzer, herrscht über die Familie und somit auch über den Protagonisten. Dieser schildert sein junges Leben mit einer gehörigen Portion Witz und Selbstironie, vermittelt beiläufig und in homöopathischen Dosen einige Infos zum Judentum, die wahrscheinlich nicht nur mir als Atheisten unbekannt waren und die durchaus noch etwas ausführlicher hätten sein können. Zwischenzeitlich gerät des Protags Karriere stark in den Vordergrund des Geschehens und ich sehe mich gezwungen, meine Eingangsformulierung in "kein Schwein über 30" umzuändern, da Polak wohl auch schon mal bei VIVA den Andrack für Stefan Raab gemacht hat und auch als Drummer in einer Band tätig war, so daß ihm durchaus der F-Promi-Status mit integrierter Dschungelcamp-Quali zugestanden werden muß.
    Kurzum: 187 Seiten witzige und zum Teil sogar informative Unterhaltung, die man innerhalb weniger Stunden mal eben so weglesen kann und die gute Laune hinterläßt. Ein Autor, von dem ich mir - im selben Stil geschrieben - ein empirisches Werk über das Judentum wünschte. Egal, ob er Polak oder Haas heißt.
    :dhoch :dhoch


    ASIN/ISBN: 3462040502

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    kaelo.de

    2 % aller Menschen besitzen einen IQ >130, die restlichen 98 % nicht. Das erklärt meine Skepsis gegenüber Mehrheitsmeinungen. (Kaelo)

  • Hallo Kaelo,
    ich stimme Silke hiermit zu:
    Deine Rezension macht gleich Lust auf mehr. Zumal ich an dem Thema sowieso interessiert bin. Nicht um das schon beinahe genetische schlechte Gewissen noch mehr durch zu kauen sondern um mich davon zu befreien.
    Es lebt sich so schlecht mit Schuldgefühlen.
    Wie findest du die Wirkung dieses Romans dies bezüglich?

    [buch]3866855109[/buch]


    "Sinn mag die äußerste menschliche Verführung sein." - Siri Hustvedt

  • Moin, lametta,


    Zitat

    Original von lametta
    Wie findest du die Wirkung dieses Romans dies bezüglich?


    ich gehöre zu den mittlerweile annähernd 100% derer, die den Holocaust nicht verursacht haben, bin aber einer der ganz wenigen, die sich konsequent zu der daraus resultierenden Nichtschuld bekennen. Insofern hatte ich nie ein schlechtes Gewissen oder gar Schuldgefühl, habe angesichts des Titels zunächst aber befürchtet, daß dieses Buch mal wieder dazu dienen soll, diesen Zustand zu ändern.
    Polak schafft es jedenfalls, dieses Thema locker und witzig zu behandeln, so daß kein Schuldgefühl auf-, sondern mit Sicherheit eher abgebaut wird, sofern der Leser denn irrationalerweise (es sei denn, er wäre älter als 90 Jahre) überhaupt ein solches besitzt.
    Und mein Abschlußsatz, in dem ich mir ein empirisches Werk über das Judentum von diesem Autor, oder zumindest in ähnlichem Stil, wünsche, ist durchaus ernstgemeint.
    VV (Vroe Vinxtn)
    Kaelo

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    2 % aller Menschen besitzen einen IQ >130, die restlichen 98 % nicht. Das erklärt meine Skepsis gegenüber Mehrheitsmeinungen. (Kaelo)

  • Oliver Polak hatte ich im Fernsehen irgendwie nie richtig registriert. Wahrscheinlich trägt er dort auch, wie auf dem Buch-Cover, Jogginklamotten in ausgebleichtem anthrazith und die welligen dunklen Haare teils nach oben, teils nach hinten frisiert. Falls ich ihn mal in einer Comedy-Sendung gesehen haben sollte, habe ich ihn vermutlich in die Schublade lebender Lachsack gesteckt.


    Dieser Oliver Polak also hat ein Buch geschrieben, ein Buch, das sich wie eine Autobiographie liest. Der Aufmacher und rote Faden: Er ist Jude. Da steckt natürlich jede Menge Komik drin, wenn einer das nicht ernst nimmt, weil er als jemand auf die Welt gekommen ist, der nur eines kann: auseinandernehmen, was die Welt im innersten zusammenhält. Nämlich Disziplin, Bildung, Religion und ein ordentlicher beruflicher Werdegang. Dass ihm die Natur eine brachiale Antagonistin in Gestalt der jüdischen Mutter gegenübergestellt hat, macht das Aufbegehren in den Schulen des Nichtortes Papenburgs nicht einfacher. Aber komischer.


    Die 180 Seiten sind äußerst dicht und kurzweilig erzählt. Oliver Polak spielt schlau damit, was er sich als Jude an Judenwitz erlauben kann. Nämlich alles. Er erzählt chronologisch, aber springt immer wieder in der Zeit zurück, weil jedes Kapitel ein Thema wie "Der Israeli verfolgt mich!" oder "Schmock aroun the clock" abhandelt. Die Kapitel lesen sich wie locker zusammenhängende Kurzgeschichten zwischen vergeblicher Erziehung, Beschneidung, sexueller Freizügigkeit im Judeninternat und TV-Karriere. Stilistisch ist das bombensicher und überzeugt vor allem durch Polaks konsequent selbstironischen Humor. Gut, am Handwerklichen wird der TV-Autor Jens Oliver Haas einen großen Anteil haben. Aber dass das Judesein gerade in Deutschland soviel Spaß machen kann, darf man getrost Polak selbst zuschreiben. Ein äußerst rundes, erfreuliches Werk.