Welche Erzählperspektive?

  • Zitat

    Natürlich kann der Personale Erzähler Innensichten darlegen.


    Kann er, ja. Bei Kommentaren und z.B. einer originellen Erzählstimme wird es dann schon schwieriger. Letzteres ist personal kaum machbar, ersteres nur mit grammatischen Verrenkungen.

  • Ich glaube zu verstehen, was du meinst.
    Die Abweichung der Erzählerstimme von der Dialogstimme des PE. Insofern hast du Recht, es wirkt dann halt alles beschreibender und weniger authentisch-subjektiv als in der 1.Person.
    Bei den Kommentaren käme sowas aber durchaus authentisch rüber.
    Ich mag dennoch die 3.Person am liebsten, speziell wenn sie wechselt.

  • Hallo Cordula,


    es gibt kein Richtig oder Falsch. Obowhl der PE heute die beliebteste Erzählperspektive ist, ist er viel jünger als die anderen, er ist eine Erfindung von Autoren. Sie haben die Regeln dafür gelegt, in dem sie Mittel des Ich-Erzählers und des auktorialen Erzählers mischten und etwas Neues schufen. Das kann jeder von uns auch versuchen, nur macht das das Leben nicht leichter.


    Ich habe eher das Gefühl, dass in dieser Diskussion die Begrifflichkeiten nicht klar sind. Kommentare sind für mich Bewertungen der Figur über andere Figuren und die Lage der Welt innerhalb des Textes. Natürlich können Ich-Erzähler und PE das tun, aber sie müssen wie der AE auch, dazu aus der Geschichte aussteigen und sie von außen betrachten. Da die Leser mitzunehmen ist schwierig, weil wir rein aus der alltäglichen Erfahrung nicht unterstellen, dass eine Figur selbst aus der Retrospektive alle Fakten kennen kann. Ein Ich-Erzähler oder ein PE, die in die Nähe des AE rücken, gelangen auch in diese göttergleiche Position und allein dieser (scheinbare) Anspruch senkt ihre Glaubwürdigkeit und je näher sie dem AE rückt, desto wichtiger wird die.


    Was den Pe im Speziellen angeht, so ist er von der Entwicklung wie der Nutzung her ein Hybrid. Natürlich kann er Innenansichten transportieren, sehr intensiv sogar, je näher er dem Ich-Erzähler rückt. Was wichtig ist, und weshalb ich gewöhnlich in der Arbeit die großen Vier (so selten die zweite Person als Erzähler auch ist) in kleinere Einheiten aufteile, um klar zu machen, dass es sich jeweils um ein Kontinuum von Möglichkeiten handelt, dass unsere Vorgänger und vielleicht auch unsere Zeitgenossen uns erschlossen haben.


    Aber in einem hat Habibi recht, diese ganzen Kategorien sind nur deshalb sinnvoll, weil sie uns ermöglichen, über die verschiedenen Möglichkeiten zu sprechen, Vorschriften sind sie nicht und mehr als den Tenor einer Technik können sie auch nicht erfassen. Krücken eben, aber sie erleichtern den meisten das Leben doch ungemein. 8-)


    Liebe Grüße
    Judith

    Nay, thy lordship, me ain't no thief, not even a smart one - Piper Quickfingers



    Der Tokee in Die rote Kammer [buch]393991407X[/buch]

  • Zitat

    Original von habibi
    Hallo Judith, danke für die Tipps, aber ich werde dort NICHT nachschauen und weißt du auch, warum? Weil mich das, was zu meiner Frage in diesem (und in Toms BT) Thread bis jetzt gepostet wurde sowie das, was ich in Wikip. gelesen haben, schon genug verwirrt hat. Meine Einstellung dazu ist: Wenn es mir bis jetzt (lt. Aussagen verschiedenster Fachleute und Laien) gelungen ist, Romane oder KGs zu schreiben, die die Frage nach der herrschenden Erzählperspektive erst gar nicht aufkommen gelassen haben, weil ich es "aus dem Bauch heraus" richtig gemacht zu haben scheine, wird es vielleicht gerade dadurch, dass ich es jetzt versuche, VORHER wissenschaftlich untermauert festzulegen, nicht gut werden.


    Warum hast du dann gefragt? Nein, im Ernst, wenn du diese Befürchtung hast, dann lass es einfach. Jeder Weg, der funktioniert, ist auch "richtig". Die Verwirrung kann ich gerade bei dem Artikel verstehen, weil er ein sehr komplexes System auf wenige Sätze zusammenfasst. Mehr sage ich jetzt nicht dazu, weil es nur zur Verwirrung beitragen wird.


    Zitat


    Oder wie mir ein alter Zirkelleiter mal sagte: wer schreiben kann, lernt in Leipzig (Literaturinstitut) auch nicht mehr und wer nicht schreiben kann, lernt in Leipzig das Schreiben auch nicht.


    LOL, solche Sätze sind so sinnvoll wie der Wikipediaeintrag. Kann er das belegen? (gemeine rhetorische Frage, weil er das natürlich nicht kann, sondern nur sein Gefühl ausdrückt) Historisch gesehen sind Poetiken älter als frei-geschaffene Literatur, haben die Entwicklung erst angeschoben, weil der Bruch ihrer Regeln zu neuen Entwicklungen bis hin zum Roman, der in der europäischen Literatur relativ jung ist, geführt. Aber unsere Altvorderen wären nie auf die Idee gekommen, dass sie sich nicht mit den Regeln zu beschäftigen hätten. Woher in den letzten zwei Jahrhunderten dieser Gedanke gekommen ist, dass man ein Handwerk nicht erlernen kann, weiß ich nicht so recht.


    Zitat


    Werde mich also wieder von meinem Bauchgefühl leiten lassen und zunächst mal die 1. Person versuchen, und wenn es nötig ist, schauen, wie es sich mit dem PE verbinden lässt, so dass es noch funktioniert. Vielleicht stelle ich ja die Leseprobe, bevor sie zum Verlag geht, mal hier ein.


    Mach das. Wie gesagt, du bist keinesfalls die einzige, die die Beschäftigung mit der Theorie eher verwirrt als weiterbringt. Das man jeder für sich selbst herausfinden.


    Zitat


    Oder ist es anrüchig, wenn man Geschichten aufschreibt, die bereits vorgegeben, weil von jemand anderem erlebt, sind? Gehört das dann eigentlich zur Literatur? Oder ist das bloßes Ghostwriting? Wie seht ihr das? Extra Thread? ?(


    Ghostwriting ist auch nur eine von den Kategorien, die wir zum Diskurs geschaffen haben. Nichts negatives, nichts positives, einfach nur der Fakt, dass jemand anderes die Geschichte schreibt, als der, der später auf dem Cover steht. Was deinen Text angeht, hört sich das eher nach einer literarisierten Biographie an. So lange du als Autorin genannt bist, es es kein Ghostwriting. Wie weit es sich der Biographie nähert, kann man auch erst im Nachhinein beantworten, aber ist das so wichtig?


    Und natürlich gehören Romane, die auf dem Erleben anderer Beruhen, zur Literatur, sonst hätte es Robinson Crusoe nie gegeben.


    Liebe grüße
    Judith

    Nay, thy lordship, me ain't no thief, not even a smart one - Piper Quickfingers



    Der Tokee in Die rote Kammer [buch]393991407X[/buch]

  • Hallo Judith, danke für dein Statement und versteh mich bitte nicht so, dass ich nicht bereit bin, zu lernen. Aber die Diskussion hier hat ja doch gezeigt, dass es sehr verwirrend ist und es auch verschiedene Ansichten gibt und da will ich nicht auch noch drin rummischen. Bis jetzt hatte ich überhaupt keine Probleme mit Perspektive, ich hab einfach geschrieben, ebenso wie ich es bei Gedichten handhabe. Natürlich habe ich mal all das über Metrik gelesen und sogar während meines Studiums einen Vortrag dazu gehalten. Aber beim Schreiben denke ich da nicht dran, da höre ich ganz auf mein (Rhythmus)-Gefühl und so werde ich es auch weiter halten.


    Was das Schreiben der Biografie dieser Frau betrifft, ja, ich denke, es ist wohl eher so eine Art literarische Biografie, wird ja auch von einem Sachbuchverlag verlegt. Und auf dem Cover steht selbstverständlich MEIN Name, sonst würd ich mir die Arbeit auch gar nicht machen. Aber der Name der Frau steht wohl auch mit drauf, sozusagen als Co-Autorin. Na, ja, mal sehen, obs was wird, Im Moment schaffe ich noch am Exposee und einer kurzen Inhaltsangabe.


    Danke nochmal und Gruß von Habibi

  • Hallo Habibi,


    auf die Idee, dass du nicht lernen willst, bin ich auch gar nicht gekommen. Es ist einfach eine Frage, ob es einen weiterbringt oder aufhält, wenn man sich überlegt, mit theoretischen Ansätzen zu arbeiten. Das sind nur unterschiedliche Wege, die gleiche Sache anzugehen und jeder davon hat seine Berechtigung.


    Liebe Grüße
    Judith

    Nay, thy lordship, me ain't no thief, not even a smart one - Piper Quickfingers



    Der Tokee in Die rote Kammer [buch]393991407X[/buch]

  • @Habibi: Im Prinzip ist es auch nicht erforderlich, die Terminologie oder die literaturwissenschaftliche Aufarbeitung zu kennen. Manch ein Autor hatte in Deutsch schlechte Noten und weiß auch nach zwanzig veröffentlichten Büchern nicht, was Präsens und Präteritum bedeuten. Er erzählt einfach in der Vergangenheitsform, vielleicht sogar unbewusst. Und so ähnlich mag es auch mit der Perspektive sein. Sie drängt sich zuweilen auf. Meine "Popromane" würden mit personalen oder auktorialen Erzählern nicht funktionieren, weil die Erzählstimme (diejenige der Hauptfigur) von wesentlicher Bedeutung ist. Außerdem spiele ich damit, dass viele Leser für teilweise autobiographisch halten, was ich schreibe, wofür das "Ich" zwingend notwendig ist.


    Dennoch lohnt es sich, das mal bewusst auszuprobieren, also zum Beispiel eine Kurzgeschichte mit verschiedenen Erzählertypen auszustatten. Erst "Ich", dann das, wovon Judith geschrieben hat, dass die Amis es "tight third person" nennen (einfach Personalpronomen austauschen), schließlich "echter" PE und zum Schluss AE. Wie bei anderen Schreibübungen (zum Beispiel dem berühmt-berüchtigten Adjektive- und Adverbienstreichen) stellt man schnell fest, wie unterschiedlich Texte wirken, wenn man solche Elemente variiert. Wenn man auch noch herausbekommt, warum das so ist, verfügt man über die Handhabe, das auch gezielt einzusetzen.

  • Hallo Tom,ja, gewiss, wäre sicher mal eine interessante Übung, mal sehen, wenn mir mal langweilig ist - (ist nur so selten der Fall ;))


    Ist mir auch schon so gegangen, dass ich die Erzählstimme gewechselt (im Sinne von: nochmal angefangen) habe, weil ich gemerkt habe, es funktioniert so nicht. In meinem neuen Roman (war letztens das 1. Kapitel als BT) schiebe ich zwischen den PE, 3. Person, Brief- und Tagebuchzitate, natürlich in Ich-Form. Weiß nicht, ob man das machen kann, mal sehen, was die Verlage sagen. Diesen Mix finde ich von daher interessant, weil man durch die Zitate sehr nah an die Prots rankommt, näher als im PE.


    Und dass, um den Eindruck des Autobiografischen zu erwecken, zwingend in der Ich-Form geschrieben werden muss, finde ich auch nicht. Einige meiner Romane sind stark autobiografisch, aber ich habe sie alle personal in der 3. Person geschrieben. Irgendwie habe ich gerade die durch die 3. Person aufgebaute Distanz für mich beim Schreiben gebraucht. Und ich finde auch, dass ein in der 3. Person geschriebener Roman eher als "Literatur" angenommen wird, als einer in der 1. P., vor allem, wenn es um Autobiografisches geht. Oder wie seht ihr das?

  • Du hast mich missverstanden. Autobiographisch sind viele Romane, ein bisschen ist das sogar jeder, ganz automatisch dadurch, dass er von einer bestimmten Person geschrieben wird. Ich habe vom Spiel mit dem Leser gesprochen.
    Es ist nicht zwingend erforderlich, einen tatsächlich autobiographischen Roman in der ersten Person zu erzählen, aber ich würde es tun. Die Wahrnehmung der Kritik fällt in diesem Bereich ganz unterschiedlich aus. Für einige Kritiker ist es ein absolutes Don't, aus der Ich-Perspektive zu erzählen, aber es gibt ja auch namhafte Kritiker, die behaupten, jeder Roman, der über dreihundert Seiten hat, wäre automatisch schlecht. Ich find's auch viel wichtiger, dass Bücher den Lesern gefallen. Denen, die nicht dafür bezahlt werden, Bücher zu lesen. (Aber: Geiler Job, das. ;))

  • Hallo ihr alle,


    ich denke auch (wie anscheinend Tom), dass die Erzählperspektive aus der 3.Person mehr Raum für Unterschwelliges, nicht vom Autor eindeutig Bestimmtes/ Reflektiertes lässt, was ich total spannend finde. Eben diese Leerstellen, die der Leser füllen muss. Ich jedenfalls kriege das besser hin mit dem bißchen mehr Distanz, das der 3.Pers.-Erzähler gegenüber dem Ich-Erzähler zum Protagonisten hat.
    Man kann aber auch einen ich-Erzähler haben, der quasi wie ein 3.Pers.-Erzähler aussieht und funktioniert, aber das muss man sehr geschickt anstellen. Tolle Beispiele hierfür sind Vladimir Nabokovs Romane "Pnin" und "The Real Life of Sebastian Knight".
    @habibi: ich habe Literaturwissenschaft in Geramnistik und Anglistik studiert, dabei haben mir weder die Einführungen in die Litheraturtheorie noch weiterführende Theorietexte wesentlich beim eigenen Schreiben geholfen. Das Einzige, was mir am ganzen Studium für das Schreiben wirklich was gebracht hat, war das viele Lesen von Romanen, Kurzgeschichten und Lyrik.
    Viele Grüße! Maida

  • Zitat

    Original von Tom


    Kann er, ja. Bei Kommentaren und z.B. einer originellen Erzählstimme wird es dann schon schwieriger. Letzteres ist personal kaum machbar, ersteres nur mit grammatischen Verrenkungen.


    Man kann mit der indirekten Rede arbeiten, die nutze ich meistens, wenn ich mehr Innenleben zeigen möchte. Wohl dosiert natürlich, ein ewig vor sich hinphilosophierender Held ist langweilig.


    Meine liebste Perspektive ist die auktoriale, als Leserin liebe ich sie, als Autorin ebenfalls, nur darf ich sie ja meist nicht.
    Aber erwünscht ist da meine zweitliebste Perspektive, die personelle.


    Einen Roman in der Ich-Form würde ich nicht schreiben wollen. Erstens mag ich diese Perspektive nicht (schlimmer ist nur die 2. Form, die kriege ich schon beim Lesen Zustände), zum anderen schränkt sie einen zu sehr ein.


    Liebe Grüße
    Maren