ASIN/ISBN: 3937793232 |
Die Ralley: Paris-Tragödie
Ich muss leider meine Unwissenheit eingestehen: George Simeon ist ein Klassiker oder? Ich dachte immer, dass ist ein Klassiker in der Art, wie beispielsweise Grass einer ist. Also einer, den ich tendenziell langweilig finden könnte. Hätte ich doch bloß gewusst, dass Simeon eher so ein Klassiker wie Patricia Highsmith oder Eric Ambler ist und er damit für spannende Unterhaltung der Spitzenklasse steht. Danke an die Redaktion der SZ.
Das Buch hat den Umfang meines untergewichtigen Daumens – und trotzdem steckt mehr drin als in vielen „400 Seiten aufwärts“ Wälzern. Dabei ist die Geschichte unspektakulär: Kees Popinga – Anfang vierzig, lebt mit Frau, Sohn und Tochter in gutbürgerlichen Verhältnissen, hat sich nie etwas zu Schulden kommen lassen, ist eifrig darauf bedacht, nirgends anzuecken – und wird zum europaweit gesuchten Frauenmörder, nach dem er erfährt, dass sein Chef die Firma in den betrügerischen Bankrott getrieben hat und er, Kees, damit vor dem Nichts steht. Es ist die Geschichte eines in jeder Hinsicht Gehetzten, der in Paris „zur Strecke“ gebracht wird.
Simeon bietet dem Leser kein nervenaufreibendes Katz und Maus Spiel und auch kein raffiniertes „Who Done It?“ Der Reiz des Buches liegt in der Schilderung von Kees Charakter, bzw. dessen Wandlung vom verkrampften Spießer zum größenwahnsinnigen „Verbrecher-Mastermind“, der der Polizei laufend ein Schnippchen schlägt. Zumindest glaubt Kees das. Als Leser weiß man die ganze Zeit, dass es für Kees nur abwärts geht. Trotz seiner Brillanz beim Schach oder beim Automatenglücksspiel – ist er im „richtigen“ Leben völlig untauglich. Als „Spießbürger“ weil er sich – wie er im Nachhinein feststellt – in einer Rolle gefügt hatte, die er nie spielen wollte – und als Verbrecher, weil er sich in einer Tour selbst überschätzt – was er sich bis zum Schluss nicht eingesteht. Was natürlich ein Selbstschutz ist, um sich das totale Versagen nicht eingestehen zu müssen. Das Mitleid des Lesers ist Kees Popinga von der ersten Seite an Gewiss.
Die Geschichte ist für mich eine „klassische Tragödie“ – von Anfang an ist das „zwingende Scheitern“ abzusehen und wird literarisch – Achtung, auch Halbwissen – zur Novelle gehören: Geraffte Handlung, starke Symbolhaftigkeit (Kees, eigentlich in einer kleinen holländischen Stadt zu Hause, gelangt ins mondäne Paris, scheitert dort, wobei sich sein Verfall äußerlich in den immer schäbigeren Absteigen abzeichnet, in denen er Unterschlupf sucht.) Dabei ist „Der Mann, der den Zügen nachsah“ ein moderner Kriminalroman in dem Sinne, als das hier der Fokus auf der „Seele des Mörders“ liegt und weniger auf einem raffinierten Plot a la Agatha Christie oder Artuhr C. Doyle.