Neue Geistesblitze von MWW, dem größten aller Großkritiker

  • Liebe Freunde,


    Nach seiner sensationell erfolgreichen Autobiographie "Mein zerstücktes, verficktes, total versautes, literarisches, aber eben doch Leben" erscheinen nun die gesammelten Werke von Maurice Wasch-Waschlappski (MWW) im gewerkschaftseigenen Hans-Zwöckler-Verlag.


    Ich habe auf der Damentoilette des Bahnhofs Göppingen ein Vorabexemplar gefunden, dessen Perlen (Pearline-Schnuckihasi: aufgepaßt!) ich exklusiv für Euch gesammelt habe. Nicht immer konnte ich jede Seite vollkommen entschlüsseln, was nicht nur durch die hermetische Ausdrucksweise MMWs bedingt ist, sondern auch durch die Tatsache, dass mein Rezensionsexemplar in dem kleinen weißen Eimerchen neben der Kloschlüssel lag, das für die Aufnahme von Tampons und Damenbinden vorgesehen war. Da mein Exemplar leider recht weit unten zwischen gut benutzen Binden, ausgeleierten ... ahm ... nun ja ... Vibratoren-Batterien etc. lag, waren manche Seiten fleckig. Ich bitte das zu entschuldigen.


    1. Ich habe nie einem Autor einen geblasen, ohne dafür Geld zu nehmen. Alles andere hätte ich als unter meiner Würde empfunden.


    2. Ich lese nicht jedes Buch. Auch nicht jedes, das ich rezensiere. Oft steht ja doch nur Mist drin.


    3. Ich hätte mit der Bachmann fast mal was gehabt, aber dann ist sie verbrannt. Es hat mich übrigens immer empört, dass Frisch ihr nicht helfen konnte, wohl auch nicht wollte.


    4. Der Darwinismus ist die Lehre vom Überleben der Besten; und er ist falsch. Das sieht man an den Literaturwettbewerben.


    5. Ich hätte fast mal ein Gedicht von Wolf Wondratschek gelesen, aber dann habe ich es nicht getan, weil ich nicht wußte, wie ich mich danach fühlen würde.


    6. Balzac wäre der Joyce der Polen, wenn die Iren einen Musil oder gar einen Tolkien gehabt hätten.


    7. Der Herr der Ringe hat mich immer maßlos gelangweilt, weshalb ich ihn nicht gelesen habe.


    8. Natürlich wurde ich für Verrisse bezahlt. Aber ich hatte ein Haus gebaut, in dem der Keller naß war, ich hatte vier Kinder von fünf Frauen (eines war gestorben) und mein Golf war in der Werkstatt. Was sollte ich tun?


    9. Kritiker lesen weniger als man denkt, aber sie empfinden dafür mehr.


    10. Wer hätte vor zehn Jahren sagen können, dass Peter Weiss vollkommen bedeutungslos ist? Ich nicht, und darum habe ich es nicht gesagt.


    11. Mein Gott, ja der Nobelpreis, natürlich. Wenn der nicht von Schweden, sondern von Albanern oder Frauen oder Unterdrückten vergeben würde, dann wäre es ein ganz anderer Preis, aber vielleicht ein besserer.


    12. Schiller ist doch ohne Goethe gar nicht denkbar, darum heißt das Denkmal in Weimar ja auch: Goethe-Schiller-Denkmal. Hätte einer von beiden oder gar keiner von beiden jemals gelebt, dann hätte man das Denkmal auch nicht Goethe-Schiller-Denkmal nennen dürfen.


    13. Natürlich war Musil im Exil an seinem Lebensende arm. Aber mir geht's gut. Dadurch fehlt mirt natürlich auch der Leidensdruck, aber ich will den gar nicht. Mir geht's auch ohne Leiden gut.


    14. Ich wollte eigentlich über "Der Hund in der Literatur" promovieren, aber dann habe ich keine Buch gefunden, in dem Hunde vorkamen, nur eines von Tschechov, aber das war gerade ausgeliehen, darum habe ich eine Lehre gemacht.


    15. Ja ich habe mich bezahlen lassen. Aber nie mit Geld, und darauf lege ich Wert.


    15. Wenn ich einmal alt und tot bin, werde ich gar nichts mehr lesen, und das hat die Literatur dann verdient.


    16. Ich habe das Pascalsche Cogito ergo sum immer für einen totalen Blödsin gehalten. Für mich hieß es immer: Sum ergo sum, sum sum herum. Alles andere ist doch Heuchelei. Wer denkt denn schon? Und vor allem an was? Hat jemand an mich gedacht? Niemand!


    17. Peter Handke hat einmal meinen Geburtstag vergessen. Das tut ihm heute noch leid. Mir nicht.


    18. Manchmal denke ich: ohne Literatur wären wir alle besser dran. Auch ich!


    19. Ich weiß nicht, ob es Gott gibt. Aber wenn er tot ist, möchte ich ihm begegnen. Nietzsche auch!


    Bonus Track (aus einem Vortrag vor Studenten an der Universität Greifswald):


    Wolf Biermann war mit 20 begabter als Büchner; mit 30 wichtiger als Mozart; mit 40 war er in der DDR und mit 50 nicht mehr, genau wie Brecht. Ahm ... äh ... ich weiß jetzt auch nicht mehr, was ich eigentlich sagen wollte. Is auch egal. (Gelächter). Jetzt lachen Sie doch nicht, Sie sind Defätisten, ja das sind Sie ... füsilieren sollte man Sie, ja ... alle füsilieren ... Hören Sie jetzt endlich auf zu lachen! (Geht).

  • Zitat

    Original von lyrx
    Es geht um Marcel Reich-Ranitzki. ThJW versucht auf seine
    Weise, den Großkritiker zu entthronen. (Ich habe das auf
    meine Weise im Thread Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras
    versucht.)


    Hallo Lyrx,


    ich finde es müßig, jemanden enthronen zu wollen. Meines Erachtens soll man solche Leute da einfach sitzen lassen ;)


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


    Die schönsten Schlösser und Burgen in Oberbayern und Bayerisch-Schwaben

    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Sehr amüsant. Große Worte, gelassen ausgesprochen.


    Was mich verwirrt ist, dass Du das Exemplar auf einer Damentoilette gefunden hast. Was machst Du eigentlich auf Damentoiletten? Putzt Du sie neuerdings, oder was?

  • Hallo an alle,
    mal ein unqualifizierter Beitrag von jemand, der vielleicht einfach zu jung ist, um MRR als meinungsbildend wahrzunehmen... Es gibt ihn ja schon sehr viel länger als mich, und als ich anfing, "Erwachsenenliteratur" zu lesen, hat er mich in der Tat kurz irritiert, weil ich nicht verstand, ob er Günter Grass jetzt gut fand oder schlecht. Mein Vater hat dann was von "Privatfehde" gesagt, und seit dem lese ich vor allem die Verisse mit Abstand... und das ist mindestens 15 Jahre her.
    Insofern verstehe ich nicht, wie man sich dermassen an dem Guten abarbeiten kann.


    Ist es nicht vielmehr so, dass MRR immerhin dazu beiträgt, dass Leute gute Bucher lesen, die sonst nur den Ratschlägen aus der Maxi folgen? Vielleicht sogar Gedichte, weil er sie in 100er-Packs gestapelt als "Unsere Besten" herausgibt?
    Wie viel mehr Menschen haben das Literarische Quartett gesehen, als die Feuilletons von FAZ und SZ gelesen werden? (Von Literaturzeitschriften will ich gar nicht reden.)


    Er ist ein Popstar, und er schafft Popstars. So what?
    Hat es "Sommerhaus, später" nicht verdient, dass man es liest?
    Ich weiß, es gibt Hunderte von Büchern, die das genau so verdient hätten. Ich glaube nur nicht, dass die stattdessen gelesen würden, wenn es MRR nicht gäbe. Dass er subjektiv ist und sich sogar "täuscht" - geschenkt. Das ist sein Job.


    Und zum Stil von manchen Verissen: Klar, er ist verletzend. Aber ist es nicht so, dass ein Verriss von MRR immer noch die Verkäufe hoch treibt? Ich kann mich täuschen, aber ist ein Verriss von MRR nicht immer noch besser als KEIN Verriss?


    Ob er damit hauptsächlich sein Ego befriedigt, ist mir persönlich wurscht. Das tut auch jeder andere Feuilleton-Redakteur. Ist sogar ganz nett, wenn sie sich Mühe geben, gebildet und überheblich zu wirken, häufig liest sich das ja ganz nett. Und wenn nicht... na, jeder hat mal einen schlechten Tag.


    Also, worum geht es hier? Dass MRR nervt? Dass die Literatur-Welt besser wäre ohne ihn? Ich behaupte, so Typen werden gebraucht. So wie Bestseller-Listen und Vermarktungs-Tische in großen Buchhandlungen. Klar dreht es einem den Magen um, wenn da Zadie Smith neben Dieter Bohlen liegt. Aber hey - sie wird gelesen!


    Entspannt Euch!
    Sabine

  • Zitat

    Original von Tom
    Ist das nicht automatisch antisemitisch, wenn man sich über MRR lustig macht? :wow


    Tom: So ist es! Und genau aus diesem Grund würde ich das auch nie tun. Nie!


    Deshalb geht es hier auch um Maurice Wasch-Waschlappski, der nicht nur belesener ist als MRR, nein, er ist auch etwas jünger, sieht besser aus, kann noch ohne Brille lesen, hat mal ein Jahr in Swaziland gelebt (wo seitdem alle schreiben wie Günter Gerass), hätte fast studiert und - ganz wichtig: MWW ist ethnisch nicht zuordenbar.


    MWW ist ethnisch völlig frei, gewissermaßen unethnisch, wenngleich sehr ethisch, das auf jeden Fall!


    Ich persönlich bin ein ganz starker Gegener jeder Kritik an Marcel Reich-Ranicki! Ich fände es auch überhaupt nicht gut, wenn sich irgendso ein dahergelaufener Amerikaner, die nicht mal richtig Deutsch kann, über MRR lustig machte; das wär' echt nicht gut. Und ganz klar: MRR wird gebraucht! Wie Lenor oder Burger Queen oder die Kirche der Newborn Angels.

  • Zitat

    Original von lyrx


    Es geht um Marcel Reich-Ranitzki. ThJW versucht auf seine
    Weise, den Großkritiker zu entthronen. (Ich habe das auf
    meine Weise im Thread Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras
    versucht.)


    Ach so, ja dann ist das OK! ... Gut, dass ich zwei Fragezeichen gesetzt hatte. Lieber Fragezeichen setzen als sich selbst in die Nesseln setzen. 8)


    Beste Grüße
    Tasso J.M.

  • Zitat

    Original von Th. Walker Jefferson
    [ Und ganz klar: MRR wird gebraucht! Wie Lenor oder Burger Queen oder die Kirche der Newborn Angels.


    Genau! Wie Lenor! Deswegen frag ich mich ja auch, warum nicht endlich mal einer Lenor vom Thron stößt!

  • Zitat

    Original von SabineS
    Also, worum geht es hier? Dass MRR nervt?


    Gut gebrüllt, Löwe!
    Ist doch klar, worum es geht: Jede Art von Ikone, Popstar oder Authorität
    reizt dazu, dass man sie angreift. Natürlich wäre jeder von uns glücklich,
    wenn er von irgend einem bedeutenden Kritiker auch nur wahrgenommen
    werden würde, positiv oder negativ. Als ist natürlich immer auch ein
    wenig Neid oder Mißgunst dabei.


    Ich persönlich finde es sehr interessant, den eigenen Eindruck mit dem zu
    vergleichen, was eine "meinungsbildende Instanz" wahrgenommen hat. Deshalb
    habe ich ja auch Wolfgang Koeppen gelesen. ThJW's Satire-Stil ist nicht
    der meinige, ich finde ihn aber trotzdem amüsant.


    Kurz: Wenn ich mich an solchen Authoritäten abarbeite, dann sind das
    einfach Strategiespiele und Scheingefechte ....


    Deshalb hätte ich es viel interessanter gefunden, an Hand von
    Koeppens "Tauben im Gras" sich ganz konkret und sachlich mit
    dem Urteil eines MRR auseinanderzusetzen ...

  • Hallo lyrx,
    Du hast natürlich Recht, und ich hatte mir sogar „Tauben im Gras“ schon bestellt. Es liegt jetzt hier auf dem Tisch und wartet darauf, gelesen zu werden, was allerdings leider noch ein bisschen dauern wird.
    Das habe ich allerdings nicht getan, weil MRR so positiv drüber geschrieben hat, sondern weil ich es spannend fand, was Du drüber geschrieben hast. Und ja: Ich finde es auch interessant, den eigenen Eindruck mit dem anderer zu vergleichen...
    Wahrscheinlich liegt der Unterschied wirklich darin, dass MRR für mich keine in irgend einer Weise herausragende Instanz darstellt. Sollte er vielleicht, tut er aber nicht (das kann aber auch darin liegen, dass ich keinen Fernseher habe und die letzten Jahre nicht in Deutschland gelebt.). Es sind also wirklich nur Sätze wie


    Zitat

    Meiner Ansicht nach beweist das, dass auch M R-R eine relativierbare
    Sicht auf die deutsche Literatur hat.


    , die mich aus Deinem Text geworfen haben. Ich finde nicht, dass das eine zu beweisende Hypothese ist. Auch nicht, dass man sie so beweisen könnte, wenn man denn wollte.


    Zitat

    Deshalb hätte ich es viel interessanter gefunden, an Hand von Koeppens "Tauben im Gras" sich ganz konkret und sachlich mit dem Urteil eines MRR auseinanderzusetzen ...


    Insgesamt setze ich mich sehr gerne mit Dir über Tauben im Gras auseinander (ich habs ja sogar gleich gekauft, obwohl ich das „Treibhaus“ auch sehr schwerfällig fand). Nur eben nicht unbedingt im Hinblick darauf, wie unrecht MRR jetzt an welcher Stelle genau hatte. Dafür aber vielleicht weiterführend über die Frage, wie das mit dem Verfallsdatum von Texten ist, wenn die moralischen Zwänge und Eindrücke, unter denen sie geschrieben wurden, einfach „weggefallen“ sind. Ich lese nämlich sehr gerne Schnitzler (nicht alles, aber vieles), frage mich aber, ob man das noch inszenieren kann, heute, ohne dass es zur Klamotte wird (habe gerade den vielgelobten „Reigen“ am Burgtheater gesehen). Das ist vielleicht ein ähnliches Thema, gehört jetzt aber wirklich nicht mehr hierher.


    Bis dann - Sabine

  • Hallo Sabine,
    Toll, dass Du das Buch lesen möchtest. Deine Meinung dazu würde mich sehr interessieren. Hoffentlich gibst Du sie nach Deiner Lektüre hier kund!