Musik, die verstört

  • Verehrte Gemeinde,


    meine Musiksammlung deckt ein sehr breites Spektrum ab, spart lediglich Perlen wie deutschen Schlager oder "Volksmusik" und schlechten Rap und Hip Hop aus, aber selten habe ich ein solches Musikerlebnis gehabt wie bei


    "Scott Walker - The Drift".


    Scott Walker ist diese schmachtend schöne tiefe Stimme der Walker Brothers, für den die Sonne Ende der 60er aufhörte zu scheinen ("The Sun Ain't Gonna Shine Any More").
    In den 70ern haben die Brüder wohl noch ein Comeback gestartet, aber seit einiger Zeit hat sich Scott Walker darauf verlegt, vollkommen unverkäufliche Platten zu machen.


    "The Drift" sein neueste Werk habe ich drei Tracks lang ausgehalten, dann musste ich abschalten. Ich habe selten einen Musik gehört, bei der ich regelrecht Beklemmungen bekam.


    Walker bestand bei den Aufnahmen darauf, dass jeder Musiker seinen Part allein einspielte, ohne die Musik der anderen zu hören. So wollte er verhindern, dass sich die Musiker aufeinander einstimmen, einen Groove oder gemeinsamen Rhythmus entwickeln. Das ist ihm sehr gut gelungen. Die Musik wirkt seltsam kalt, gestelzt, durch die Instrumentierung aber so angreifend, verletzend, dass es fast körperlich spürbar ist.


    Ich werde die CD sicherlich auch weiter hören, allerdings nur wohl dosiert. In ihrer Gänze ist dieses Werk IMVHO nicht hörbar.


    Nach Walkers eigener Aussage ist die Intention der CD auch die Verstörung und Irritation des Hörers, die Verzweiflung soll per Musik transportiert werden. Von daher ist "The Drift" ein unhörbares, aber gelungenes Werk.


    Herzlichst


    Wolf P.


    BTW: Für die Aufnahmen ließ Walker eine Schweinehälfte ins Studio hängen, das der Perkussionist dann bearbeiten musste. Wie mühsam diese "Musikleistung" für ihn war, kann man bei der Aufnahme hören. Walker ließ einen Verzweiflungsschrei seines Musikers auf den Bändern.

  • Ich habe bei iTunes mal in das Album reingehört und werde es mir ganz sicher nicht kaufen. Es ist kaum auszuhalten. Das soll keine Wertung sein. Lustig fand ich allerdings diesen Teil einer Amazon-Rezension:


    Zitat

    Bei THE DRIFT hat man das Gefühl, die ganze CD hindurch von Mike Tyson verprügelt zu werden; mit einem manisch-depressiven, suizidgefährdeten Katzenchor als Liefant der Hintergrundmusik.

  • Ich habe mir grade die Hörbeispile auf Amazon angetan. Ich muss gestehen es auf grausame Art und weise recht ansprechend zu finden. Erinnert mich ein wenig an eine verkünstelte Version aus einer Mischung von Nick Cave und den einstürzenden Neubauten.

  • Zitat

    Original von Tom
    Es ist kaum auszuhalten.


    Hi Tom,


    gerade dieses Gefühl kenne ich bei Musik nicht. Wobei ich bestimmte Musikrichtungen ausnehme, weil ich sie per se nicht ausstehen kann.


    Herzlichst


    Wolf P.

  • Hallo, Wolf.


    Ich kannte das Gefühl bis dato bei Musik eigentlich auch nicht, mal von Schlagern, Volksgetümele, Märschen, Musicals, Kammermusik, Opern und Operetten abgesehen. :D Ich weiß allerdings auch nicht, ob ich "The Drift" tatsächlich als "Musik" bezeichnen würde. Wie gesagt, ich kenne nur die kurzen Hörproben.

  • Hallo Tom und Wolf,


    Tom, weil Du die Klassik ansprichst: Der Dirigent Nikolaus Harnoncourt schreibt in seinen Büchern zur Musik immer wieder, dass Bach, Händel und auch Mozart auf ihre Zeitgenossen verstörend gewirkt hätten.


    Ich wollte das ursprünglich gar nicht in die Diskussion bringen , weil es sich dabei um eine ganz andere Musikrichtung handelt.
    Aber interessant finde ich es schon, dass es dieses Phänomen sogar bei Musik gegeben zu haben scheint, die uns heute (sofern wir sie mögen) als größtenteils harmonisch und melodiös erscheint.


    Aber jetzt mal wieder zu Eurer CD, die ich genauso wenig kenne, wie die Gruppe (weil selber Klassikhörerin :)).
    Liebe Grüße
    Anja

  • Ihr Lieben,


    bei Ravels "La Valse" sind die Zuhörer bei der Premiere schreiend aus dem Konzertsaal geflohen, weil sie den Komponisten für wahnsinnig hielten, da Ravel den Walzer hier so richtig schön versägte.


    Herzlichst


    Wolf P.


  • ... und es soll nach zeitgenössischen Berichten Leute gegeben haben, die schreiend davon liefen, wenn Musik in temperierter Stimmung gespielt wurde, noch zu Bachs Zeiten.


    Ich sagte es ja schon an anderer Stelle: Es ist eine Frage der Hörgewohnheiten. Wenn wir beim Hören bei den Gewohnheiten bleiben, gibt es irgendwann etwas, das weh tut.


    Gott-sei-Dank


    Horst-Dieter

    BLOG: Welt der Fabeln


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    ASIN/ISBN: 3831335559


    Verengung des freien geistigen Horizontes ist eine Gefahr in Zeiten des Massenkultes.
    Emanuel von Bodmann


  • Ich sehe, ihr habt noch nie Slipknot gehört ;-). Ich hab mal reingehört und kann den Robert T. Amok jetzt verstehen, dass er diese Schule zerlegt hat ...


    Gruß ...


    Jo

  • ich denke mal das wort "musik" ist in den letzten jahrzehnten ein sehr dehnbarer begriff geworden. was für die einen harmonie pur ist, ist für andere katzenjammer. kommt eben auf den geschmack an. bestes beispiel: meine mutter findet so ne harmlos klingende musik wie ac/dc, nirwana und co. schrecklich. für mich ist es reiner musikgenuß. :bitte
    edit: dafür finde ich eben klassische musik schrecklich. habe bis heute nicht den draht dorthin gefunden. und das trotz bemühungen. :(