Das Buch beginnt mit einer Verneinung. Auf die Frage «Gibt es mittelalterliche Musik?» antwortet der Autor - Bernhard Morbach - mit «Nein». Im zweiten Kapitel geht es um die «Gegenwart mittelalterliche Musik», um die Kenntnis und das Verständnis dessen, was so lückenhaft überliefert ist. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der «Musikphilosophie» des Mittelalters und dann geht es erst richtig los mit dem «Gregorianischen Choral und der Verschriftlichung der Musik».
Es hört sich trocken an, ist aber vom Autor in einer verständlichen und flüssigen Sprache geschrieben, ohne dass er oberflächlich wird. Ganz im Gegenteil: das Buch ist mit Originaltexten aufgelockert, mit Beispielen illustriert, und das nicht nur optisch. Es liegt eine CD-ROM bei, auf der sich ergänzende Texte, Noten und Klangbeispiele finden. Die Klangbeispiele sind allerdings elektronisch eingespielt, was auf der einen Seite den Hörgenuss etwas trübt. Auf der anderen Seite lassen sich aber so die Beispiele an Hand der Notenauszüge besser verfolgen und verstehen. Zwar können die Audio-Dateien auch von herkömmlichen CD-Playern abgespielt werden, es ist aber auch eine feine Sache, sich die Beispiele am Computer anzusehen und das zugehörige Klangbeispiel gleich mit ablaufen zu lassen.
Im Hauptteil des Buches wird der Bogen gespannt vom Gregorianischen Choral (gleich über vier Kapitel bis zum Ausklang mit Hildegard von Bingen) bis hin zum Übergang zur Renaissance. Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit der «Englischen Musik», die ja zunächst nur übernahm, was vom Kontinent kam, später dann aber ganz eigene Ausprägungen entwickelte. Troubadours, Trouvères, Minnesänger, Ars antiqua und Ars nova kommen nicht zu kurz, ebensowenig die Italienische Musik im 14. Jahrhundert und die Musica Iberica. In eigenen Kapiteln geht der Autor auch auf die Musikinstrumente dieser Zeit und die Instrumentalmusik ein. Eine «Mittelalterliche Diskografie» - Empfehlungen von CD-Aufnahmen - schließt das Buch ab.
Ich war überrascht, was aus dieser Epoche über das Musikleben und die Musik alles bekannt war (obwohl ich in einzelnen Bereichen schon gut vorinformiert war). Ich bekam das Buch letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt. Nach einem ersten Überfliegen habe ich begonnen, die einzelnen Kapitel intensiver durchzuarbeiten (auch anhand der CD-ROM, der ergänzenden Texte und angegebener zusätzlicher Literatur). Ich habe leider nicht mehr viel vor mir und mache mir Sorgen, dass der 2. geplante Band zur Renaissance-Musik nicht mehr rechtzeitig erscheint. (Was lese ich dann in der Zwischenheit?)
Historische Romane die im Mittelalter spielen sind bei Autoren und Lesern sehr beliebt. Leider habe ich noch keinen in der Hand gehabt, der die Musik dieser Zeit richtig aufgegriffen hat. Viele Autoren und Autorinnen recherchieren inzwischen die bekannten historischen Fakten sehr intensiv, sogar mit authentischem Quellenmaterial. Aber wenn es um Musik geht, trifft man leider meistens auf eine ziemlich krasse Naivität (bestenfalls), oder extrem falsche Beschreibungen. Das reicht sogar bis in die Sparte «populäres Sachbuch» hinein. In einem mir vorliegenden Buch (Lebensalltag im Mittelalter, Weltbild) wird zur Musik im Mittelalter geschrieben: «Im Unterschied zu den munteren Liedern der Bauern wurden alle Kirchenlieder bis zum 11. Jh. im Gleichklang gesungen; die Chöre priesen Gott immer in derselben Tonart, und alle Noten hatten ungefähr die gleiche Länge.» An diesem Satz stimmt NICHTS.
Aber das ist ja jetzt kein Problem mehr. Jeder der seine Erzählungen und Romane in dieser Zeit ansiedeln will, kann sich jetzt anhand dieses Buches gründlich informieren. Solche Patzer, wie Sie sich z.B. Rebecca Gable in ihrem Buch «Das zweite Königreich» zur Musik dieser Zeit geleistet hat, dürften in der Zukunft nicht mehr vorkommen.
Horst-Dieter
Bernhard Morbach
Die Musikwelt des Mittelalters
Bärenreiter, Kassel, 2004
ASIN/ISBN: 3761815298 |