Münte wirft das Handtuch

  • Nachdem der SPD-Bundesvorstand die "Linke" Andrea Nahles als Generalsekretärin nominiert hat, erklärte Parteichef Franz Müntefering, nicht mehr für den Vorsitz zur Verfügung zu stehen.


    http://www.n-tv.de/596288.html


    Schade für die SPD. Anfangs fand ich Münte ja fürchterlich (bin übrigens kein SPD-Anhänger), aber er hat gerade während der vergangenen Monate doch erheblich an Profil gewonnen. Jetzt isser wech. Wer wird folgen? Tritt Lafo doch wieder in die SPD ein? :D

  • Hallo Tom,


    ja, so richtig darüber traurig sein kann ich nicht. Ich bin allerdings auch nicht hämisch, aber Müntefering war es, der Hedge Fonds und private Kapitalgeber als "Heuschrecken" bezeichnet hat. Damit wurde eine Diskussion losgetreten, die zwar wahltaktisch klug, aber sonst schrecklich kurzsichtig ist.


    Ich bin persönlich wie auch wirtschaftlich liberal und kann mich meist den Positionen des Economist anschließen.


    Economist


    Wenn Du den Economist liest und die britische, kanadische und amerikanische Presse verfolgst, dann kommen die aus dem Staunen über einen wie Müntefering nicht heraus. Für die angelsächsische Welt ist es klar, dass es private Kapitalgeber eben musst, dass diese auf Pferde setzen, die siegen, und dass sie für ihr Risiko entlohnt werden wollen. Die Ausfallquote bei Hedge-Fonds liegt bei 80%.


    Aber Münteferings Schlappe scheint mir noch was anderes zu zeigen: die SPD ist tief zerstrritten, verunsichert und seit 40 Jahren zum ersten Mal wirklich gezwungen, ihre Positionen nochmals zu bestimmen (was Lafontaine ja getan hat). Ich kann mir gut vorstellen, dass der linke Flügel innerhalb der SPD nun an Rückenwind gewinnt - und warum auch nicht? Die Partei war vor 100 Jahren ja wirklich mal revolutionär, dann nur noch evolutionär, aber seit den 60ern nichts anderes als eine Wohlfahrtsstaatsmaschine, die immer nur von übermächtigen Figuren (Schmidt, Schröder) phasenweise von der angestammten Richtung abgebracht werden konnte.


    Aber: vor dem Morgengrauen ist die Nacht am dunkelsten!


    Münte übernimmt ja jetzt den Vorsitz der Arbeiterwohlfahrt Mecklenburg-Hinterpommern, und da gehört er auch hin. Die brauchen noch ein, zwei gute Leute!

  • Ich wollte da ja eigentlich nicht zu sagen, aber jetzt muss ich doch:


    Eine böse Sache das Ganze. Eine ernsthafte Gefährdung der Koalitionsverhandlungen können wir m.E. wirklich nicht brauchen.


    Was die Heuschreckendebatte angeht ... LEIDER ist sie durch die Vorbereitungen für die Neuwahlen abgebrochen worden, weil sie mehr als notwendig war. Dabei geht es ja gar nicht gegen private Anleger, sondern um eine Ethik, die alles erlaubt, was der Gewinnmaximierung dient. Wenn Shareholder Value der einzige Value ist, der noch zählt, leben wir in einer sehr traurigen Welt.


    Wer jedem das Recht auf uneingeschränkte Gewinnmaximierung einräumt, soll nicht so tun, als wäre wer gegen Drogenhandel und Zwangsprostitution - wo doch gerade in diesen Branchen die Gewinnchancen besonders hoch sind!

  • Hallo Helmut,


    ich versteh schon, was Du meinst. Aber die Fixierung auf Renditeziele heißt nicht, dass die Ethik auf der Strecke bleiben muss. Zwei aktuelle Fälle:


    Ein britischer Hedge Fonds hat den Chef der Frankfurter Börse rausgekickt. Warum? Weil er den London Stock Exchange (feindlich übrigens) übernehmen wollte. Hätte Seifert den LSE übernommen, dann hätte die Börse Frankfurt AG auf Jahre hinaus keinen Gewinn gemacht und Millionen Aktionäre (auch Kleinaktionäre, Streubesitz, Fondsinvestoren, also auch Lebensversicherungen etc.) hätten auf Erträge verztichtenb müssen. Und warum? Wegen der napoleonischen Fantasien eines Mannes.


    Nehmen wir noch ein anderes, darf ich sagen: sehr deutsches Beipiel - nämlich VW. Hier kann niemand von Heuschrecken reden.


    Ein Bundesland besitzt 18% der Anteile und hat die Garantie, dass es eine Sperrminorität hat, Arbeitnehmervertreter halten 50% der Sitze im Aufsichtsrat, die Verzahnung zwischen Gewerkschaften, Aufsichtsrat, Mitarbeitern und U-Leitung ist lückenlos. Das ist das, was man allgemein die "Deutschland AG" nennt.


    Wie ethisch ist die nun?


    - der Betriebsrat bezieht fürstliche Vergütungen
    - die Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaften kümmern sich weder um den Aktienkurs, noch um die Profitabilität noch um die Qualität der Produkte
    - VW produziert seit Jahrzehnten überteuert und technisch zweitklassig
    - Für Betriebsratsmitglieder (alle Familienväter) und Vorstandsmitglieder ist es vollkommen normal, dass Huren über Jahre aus allen Ecken der Welt auf Kosten von VW eingeflogen werden, dass Sex-Wohnugen am Stadtrand eingerichtet und Spesen in Millionenhöhe produziert werden.


    Helmut, Du bist ja selbst Berater und unterscheidet in Deinem Buch so gut Soll-Buchhaltung von der IST-Buchhaltung. Du weißt doch ganz genau: keine Buchung ohne Beleg. Nur bei VW, da interessiert das alles nicht, da werden 7 Mio. € für Sexparties und Reisen mit Eigenbelegen über eine konspirative Kostenstelle abgerechnet, an die weder die Konzernrevision, geschweige denn externe Prüfer, jemals randürfen. Hunderte von Gesetzen wurden bei VW tagtäglich verletzt.


    Ich weisss, das ist ein extremer Fall, aber schau Dir die Daimler-Chrysler Aktie an - warum war damit nie Geld zu verdienen? Weil auch hier der Aufsichtsrat nicht kontrolliert, sondern immer nur abgenickt hat. Und ganz richtig: auch hier stand der Profit (oder der Shareholder Value) nicht im Mittelpunkt. Kannst Du dich noch an Edzard Reuter erinnern? Der hatte einmal aus Mercedes einen riesigen integrierten Rüstungs- und Raumfahrtkonzern machen wollen, genau zu der Zeit, als es mit der Rüstungsindustrie (Auflösung des Warschauer Paktes) weltweit abwärts ging. Reuter hat Milliardenverluste gemacht, seine Vision war ein Rohrkrpierer. Ist das ethisch? Ist ein Rüstungskonzern ethisch? Ist es ehtisch, dass die ehemaligen Sprecher der Deutschen Bank bei Daimler-Chrysler (z.B. Hilmar Kopper) immer den Aufsichtsrat leiten und nie was kontrollieren? Das Aktiengesetz schreibt doch klar vor, dass der AR ein Kontrollgremium ist.


    Aber wenn nicht der Shareholder Value im Mittelpunkt der Deutschland AG steht - was dann? Seilschaften, Kungelei und Nepotismus?


    Was ist nun besser? Und : sind denn Verluste wirklich ethischer als Profite?
    Und bitte glaube mir: kein Mensch, der für – legale – Erträge aus einem Investment eintritt, muss ipso facto für Zwangsprostitution und Drogenhandel sein.

  • Hallo Thomas,


    natürlich widersprechen sich Gewinn und Ethik nicht! Die Frage, ob Aufsichtsräte ihrer Aufgabe gerecht werden, hat damit aber nichts zu tun.


    Die Fragen die mich bewegen sind eher: Ist es ethisch vertretbar, dass ein Vorstand seine Gewinnanteile dadurch vergrößern kann, dass er 1000 Leute entlässt?


    Kann es uns insgesamt wirklich vorwärts bringen, wenn alle Konzerne gezwungen sind, immer nur das nächste Quartalsergebnis im Auge zu haben?


    Leisten Vorstände, die hundertfach höhere Gehälter haben als einfache Angestellte wirklich hundertfach mehr?


    Ist ein Hartz IV-Bezieher, der nebenbei noch hundert Euro irgendwo schwarz verdient ein Sozialschmarotzer, während es ein Millionenverdiener, der jedes Schlupfloch nutzt, um sich vor Steuern und Abgaben zu drücken, nicht ist?


    Oder um ein sehr augenfälliges Beispiel zu nehmen: Bei der Mannesübernahme wurden Esser und Konsorten nicht weniger als 57 Millionen Euro zugesteckt. Geld das eigentlich dem Konzern und damit den Anlegern gehört. Jeder Normalo, der den Konzern um 57 Mio. € betrogen hätte, würde dafür mindestens 10 Jahre einsitzen.


    Allerdings sehe ich mich mit meinen Äüßerungen nicht im Gegensatz zu deinen, sondern verstehe sie eher ergänzend.


    Gruß


    Helmut


    PS: Wie ich sehe. hast du mein Buch gelesen! :)

  • Zitat

    Original von Helmut
    Ist es ethisch vertretbar, dass ein Vorstand seine Gewinnanteile dadurch vergrößern kann, dass er 1000 Leute entlässt?


    Der Vorstand rechtfertigt ein solch verwerfliches Tun allerdings damit, daß dadurch die restlichen Arbeitsplätze gesichert werden. Gewinnmaximierung ist bei der Nennung von Gründen wohl nur selten zu finden. :down


    Gruss,


    Bernd

    "Der erfolgreiche Abschluss infamer Aktionen steigert Ihren Bekanntheitsgrad, was für Ihren Feldzug zur absoluten Weltherrschaft unglaublich wichtig ist." (aus dem Benutzerhandbuch des PC-Spiels Evil Genius)

  • Gestern nacht in der Kneipe überfiel mich angesichts der letzten Berliner Tage der Gedanken, daß ein paar tausend Jahre Patriarchat ebensogut eine sinnvolle Maßnahme gewesen sein könnten, um die Welt vor den Folgen gewissen "weiblichen" Ausprägungen von Blödigkeit zu schützen? Oder, um die Damen Barbara Schweder und Sabina Riedl (Mimosen in Hosen) und ihren biofeministischen Versuch, den Mann auf die Rolle des natürlichen Sklaven des Weibes festzunageln, noch mit einzubeziehen: Könnte es sein, daß dieser hartnäckige Versuch, die biologisch determnierte Weibermacht abzuschütteln, der entscheidende Entwicklungsschritt vom Tier zum Menschen ist?



    Ketzerische Gedanken flößt einem so ein Veltins ein. Vermutlich, weil es von ihrer biologischen Bestimmung entfremdeten Mimosen in Hosen gebraut wird ...

  • Hallo Helmut,


    ja, ich hab' Dein Buch gelesen. Ich bin gerade beim zweiten Durchgang. Das ist so eine typische Methode von mir - gute Bücher lese ich erstmal ganz schnell und dann nochmal ziemlich langsam, um nur ja alles zu kapieren - denn ich bin (wie Pu) ein Bär von sehr geringem Verstand.


    Zu Deinem Buch wird noch eine Rezension kommen. Hier nur soviel: ich habe selten ein so gutes Bücher über Beratung gelesen und noch nie eines, das einer ganzen Branche so gerecht wird. Ich hab' von Gastronomie keine Ahnung und habe noch nie ein Gastronomie-Projekt gemacht und alles, was in dieser Hinsicht an mich herangetragen wurde, immer abgelehnt. Warum? Weil ich mich nicht kompetent fühlte.


    Ich habe allerdings Projekte, die an die Gastronomie grenzen, augenblicklich einige Fitnessstudios und vor Jahren hatte ich mal einen Event-Veranstalter (das waren Typen!) und einen Caterer.


    Heute nur so viel zu Deinem Buch: ich habe selten ein so klares, in sich schlüssiges und dabei vollkommen überzeugendes Buch über Gastronomie-Beratung gelesen. So ein Buch geht mir rein wie ein Hammett oder ein Chandler, ich kann da gar nicht mehr aufhören. Manches von dem, was Du schreibst, wußte ich, vieles aber nicht. Und nichts ist schwerer, als Beratungskonzepte aus dem - ja irgendwie: offebnsichtlichen -, also aus der Gastronomie zu entwickeln.


    Besonders schön ist, dass ich nächste Woche, Bars in Fitness-Studios besuchen muss und, wohl vorbereitet durch Dein Buch, doch etewas andere Fragen stellen werde als die, die man da bisher von mir gewohnt war.


    Mit Esser und Mannesmann geb' ich Dir völlig recht - war eine Sauerei und ist niemand, der von 800 € im Monat leben muss zu vermitteln. Was ich nicht verstehe ist, warum Esser mit dem ganzen Geld nicht einfach eine Stiftung gegründet hat (wie Helmut Tschirra von SAP) und sich damit gemeinnützingen Projekten widmet. Da hätte er eine Aufgabe gehabt, hätte sich selbst eine Aufwandsentschädigung bezahlen können und dabei zugesehen, wie sein Geld was für andere Menschen tut. Dann hätte kein Mensch was über die Abfindung gesagt!


    Andrew Carnegie, der um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einer der reichsten Männer der USA war, hat bei seinem Tod buchstäblich nichts mehr besessen, weil er alles an Stiftungen gegeben hatte - die gibt es heute noch.

  • Zitat

    ja, so richtig darüber traurig sein kann ich nicht. Ich bin allerdings auch nicht hämisch, aber Müntefering war es, der Hedge Fonds und private Kapitalgeber als "Heuschrecken" bezeichnet hat. Damit wurde eine Diskussion losgetreten, die zwar wahltaktisch klug, aber sonst schrecklich kurzsichtig ist.


    Ich bin persönlich wie auch wirtschaftlich liberal und kann mich meist den Positionen des Economist anschließen.


    Ist die Diskussion kurzsichtig? Sie ist kurzsichtig geführt worden, kein Zweifel, wahltaktisch, das alles. Aber ich habe mich neulich mit einer Studienkollegin unterhalten, die einen kleinen Betrieb hat. Die erhält auf eine Kleinstanzeige in einer Zeitung für eine hochqualifizierten Job 400(!) Bewerbungen.


    Und jede Menge von Leuten, die viele Jahre in angesehenen, profitablen Betrieben gearbeitet haben.


    Bis diese aufgekauft wurden. Und wieder verkauft, aufgekauft, verkauft.


    Wobei der Profit auch für die Aufkäufer oft nicht allzu groß war. Wieviele Hedge Fonds machen langfristig Gewinn und wieviele machen Versprechungen?


    Das Problem ist, sie haben keine Ahnung von den Branchen, die sie da aufkaufen und handeln also nach der gängigen Formel: Entlass 10% der Leute jedes Jahr und du machst Gewinn. Na ja, ob sie Gewinn machen weiß ich nicht, aber zumindest steigen die Aktienkurse. Wenn ein Aktionär liest: 10 % weniger Leute, dann kauft er.


    Ein wenig scheint mir da sehr viel Glauben im Spiel. So wie bei den Neomarxisten, von denen die Neoliberalen ja abstammen.


    Mittlerweile ist es zu einem Mantra geworden, dass immer reflexartig wiederholt wird. Überprüft wird es aber nicht. Dabei wäre genau das wichtig.


    Hans Peter

  • Der Brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck soll die Nachfolge von Münte antreten. Wird er die Gelegenheit nutzen und sich seines irgendwie schmutzig wirkenden Stoppelgebärtes entledigen?


    :titanic

  • Zitat

    Schade für die SPD. Anfangs fand ich Münte ja fürchterlich (bin übrigens kein SPD-Anhänger), aber er hat gerade während der vergangenen Monate doch erheblich an Profil gewonnen. Jetzt isser wech. Wer wird folgen? Tritt Lafo doch wieder in die SPD ein?


    münte war der parteisoldat schlechthin. er hat in jeder situation jede tatsache so hingebogen, dass seine partei dabei gut aussieht.


    hat mich sehr gewundert, dass die partei ihren "ersten ritter" (sozusagen) absägt. oder war es wirklich nur ein unfall? das würde aber bedeuten der spd-vorstand weiß nicht was er tut.


    die spd ist für mich indiskutabel, weil sie daran glaubt, dass der staat alles regeln könne. müntefering hat diese vorstellung personifiziert.


    platzek wird sich wahrscheinlich eher im hintergrund halten, stoiber hat erheblich an politischem gewicht verloren. merkel kann als siegerin daraus hervorgehen, wenn der laden nicht gleich ganz auseinanderfällt.


    ciao,
    michael

  • Ja der Münte hat jetzt das Handtuch geworfen. Und der Steuber auch. Kann man sich freuen ja oder nein.
    Bezogen auf Steuber und Bayern hat die Angelegenheit nur eine positive Seite: der Beckstein wird nun keinesfalls bayerischer Ministerpräsident. Gott sei Dank! Denn wenn der ans Ruder käme, dann würde der in Bayern den totalen Polizei- und Überwachungsstaat installieren.


    Soll man sich freuen oder weinen?


    Besorgte Grüße
    Tasso