Sol Steins Schreiblehrbuch

  • Ich hab vor ein paar Tagen Sol Steins "Über das Schreiben" geschenkt bekommen. Hat das von euch jemand gelesen?


    Ich geb zu, ich hab nur mal reingeschnuppert, und so der erste Teileindruck bestätigt das mulmige Gefühl, das ich schon bei einem anderen dieser Bücher hatte. Pauschal waren diese kurzen Abschnitte, die ich las, ohnehin, klar. Ist wohl so. Trotzdem scheint mir auch, dass vieles, was darin stand, zwar durchaus jene Grundlagen beleuchtet, die ich durch Übung und nicht zuletzt der 42er-MuLi lernte, bei unserer Textbesprechung durchfallen würde. Vor allem die Beispiele.


    Zur Figurenzeichnung:
    "Henry bewegte sich durch die Menge wie ein Basketballspieler, der entschlossen ist, bis zum Korb durchzupreschen."


    Oder:


    "Er hatte die Haltung eines Mannes, der lange Zeit als Soldat gedient hat."


    Das sind doch eher Beispiele, wie man's nicht machen sollte. Oder täusche ich mich da?


    Deshalb meine Frage: Ist das Buch lesenswert? Wenigstens Kapitelweise? Oder muss ich lügen, wenn man mich fragt, ob mir das Geschenk geholfen habe?


    Danke und Gruß ...


    Jo

  • Ich habe es vor einiger Zeit (zwei Jahre oder so) gelesen, fand es recht gut und habe ziemlich kräftig drin rumgemarkt. Hab es dann in den Schrank gestellt und nicht mehr benutzt ... :)
    Ich denke, es ist wie mit allen "Lehrbüchern" - manches ist sehr gut, über anderes kann man sich streiten. Er geht, soweit ich mich erinnere, sehr stark, fast übertrieben von der 'show, dont tell'- Grundlage aus und lässt da ziemlich wenig Spielraum. War mir etwas zu rigide.
    Aber alles in allem hat mir der Stein um Längen besser gefallen als so ziemlich alle anderen Bücher zum Thema, die ich gelesen habe.
    Ich schnuppere gerade bei der "Konkurrenz" rein 8), der WWG. Die arbeiten da konsequent nach Stein. Das sehe ich mir mal eine Zeitlang an, dann weiß ich, ob's was taugt oder nicht.
    (Die Site der WWG ist übrigens nicht uninteressant, BTW)

  • Ein "Schreiblernbuch" ist m.E. ein Buch über etwas, das man nicht lehren kann wie Physik, Latein oder Mathematik. Es gibt tausend Ansätze guten Schreibens, die schon zu Erfolg geführt haben, tausend schlechte, bei denen es ebenso geklappt hat und unzählige, die (bisher) nicht funktionierten.


    Insofern wird so ein Buch immer die sehr subjektive Meinung des Autors widerspiegeln. Das heißt aber nicht, dass man aus solchen Büchern nicht eine Menge lernen könnte. Man solte es nur nicht als Heilslehre verstehen. Wenn du 90 % des Buches für Quatsch hältst, aber 10 gute Anregungen mitnimmst, hat sich das Lesen sicher schon gelohnt.

  • Ne, ist schon klar, Helmut. Das meinte ich ja mit den pauschalen Tipps. Die Schreibregeln an sich scheinen mir auch mehr eine Hilfe zu sein, eine Sprache zu finden. Vielleicht kann man sie als Krücken bezeichnen. Man muss sie irgendwann verinnerlichen, das show-don't-tell-Prinzip zum Beispiel trägt imo auch viel für die eigene Auffassung vom Erzählen bei. Dass also die Figuren auch für den Autor lebendiger werden, und die Welt, die Story, etc.


    Danke auch an dich, Susanne (dein Vorname, soweit ich weiß?). Also schmökere ich mal ein bisschen.


    Gruß ...


    Jo

  • Susanne, stimmt - hab ich wieder nicht unterschrieben ... so was.
    (Warum war ich auch so blöd, mich mit meinem Nachnamen anzumelden!) :kopfhau


    Ich mag übrigens Theorie-Bücher übers Schreiben recht gerne. Anregungen kann man sich aus fast allen holen - und Schreibtechnik ist schließlich durchaus was, was man lernen kann. Imho. Wie jede Technik.


    Ich würde sicher nicht meinen ersten Entwurf nach Stein oder irgendeinem anderen Fuzzi schreiben, das wäre ja nervig.
    Aber sich seinen Text bei der Überarbeitung dann mal daraufhin vorzunehmen und zu sehen, was davon ihn vielleicht ein bisschen aufpoliert - why not? Redigieren muss man eh ... :duden

  • Zitat

    Original von Helmut
    Ein "Schreiblernbuch" ist m.E. ein Buch über etwas, das man nicht lehren kann wie Physik, Latein oder Mathematik..


    Schreiben kann man genauso gut oder genauso wenig lernen wie Musik, Mathe, Physik oder Fremdsprachen. Wenn man die Begabung nicht hat, hilft kein Lehrbuch etwas, hat man sie, kann man mit dem Lehrbuch Dinge dazulernen, die auf eigene Faust herauszufinden sehr viel schmerzhafter bis unmöglich wäre. Auch die beiden Sol-Stein-Bücher bieten wichtige Denkanstöße und Rezepte. Allein schon die die Kapitel über Dialoggestaltung sind lesenswert.


    Ein gutes Schreibbuch kann aus einem schlechten Schreiber einen besseren Schreiber machen und aus einem guten Schreiber einen sehr guten ;-).


    Mehr darf man nicht erwarten.


    Viele Grüße
    Christian

  • Auch auf die Gefahr hin, jemandem zu nahe zu treten, von wegen schreiben kann man nicht lernen, ist es leider ein Faktum, dass man sich gewisse Grundzüge sehr wohl aneignen, sprich erlernen kann.
    Hierfür findet man in Sol Steins Werk sicher eine Möglichkeit, etwas Brauchbares heraus zu filtern.
    Also Jo, für geschenkt lohnt es sich allemal einen Blick zu riskieren.
    :D

  • @ christian


    Ich denke, dass wir uns hier gar nicht widersprechen. Ich sgte ja nur, dass eine Anleitung zum "richtigen Schreiben" nicht so präzise "Wahrheiten" vermitteln kann wie 2+2 = 4 oder lateinische Deklinationsregeln.



    Ansonsten gilt wie überall: Üben-üben-üben-üben-üben


    Auch hier macht die Übung den Meister. Es war sicher kein Zufall, dass die drei Erstplazierten unseres diesjährigen Pulitzer Preises - bei anonymisierter Bewertung durch die Jury - allesamt profesionelle Schreiber waren.

  • Dass man schreiben lernen kann und sich Talent, was immer das ist, vielleicht erst durch das Erlernen des Handwerks offenbart, ist imo unstrittig - es ist eher die Frage, ob man es mit einem solchen Buch lernen kann. Und ich habe darauf keine Antwort. Möglicherweise.


    Ich hab vorher das Buch "wie man einen verdammt guten Roman schreibt" gelesen, nachdem sich meine Augen angesichts des Titels ausgerollt haben. Ich kann immer noch nicht sagen, ob es mir geholfen hat. Weiß auch den Namen des Autors nicht mehr. In punkto Erzählperspektive war es allerdings eher hinderlich, vieles von dem Rest meinte ich irgendwie schon zu wissen.


    Üben ist das Stichwort. Wenn ein solches Buch Lust macht, Geschichten zu schreiben und sich einzuüben, okay. Aber ob es wirklich mehr bringt?


    Gruß ...


    Jo

  • Frey. Fand ich auch eher mager. :kerze


    Der Stein ist aber wirklich nicht übel, weil er ganz konsequent darauf schaut, dass ein Text bildhaft, anschaulich und dicht ist und dass vor allem die Figuren leben.
    Ich weiß auch nicht, wie man Schreiben lernt. (Doch, ich weiß es ;) Durchs Schreiben und nicht zuletzt durchs Lesen.) Aber wie bei jedem Handwerk kann man sich Kniffe abschauen und Techniken beibringen. Was das angeht, ist der Stein imho wirklich ganz brauchbar.


    Ich hab zur Zeit noch ein paar andere Theoriebücher auf meinem SUB herumliegen: Elizabeth George, Anne Lamott, Anne Bernays ... alles verschiedene Ansätze und Anregungen. Nicht, weil ich meine, ich müsste jetzt unbedingt "schreiben lernen", sondern weil ich das Gefühl habe, dass Anregungen mich weiterbringen. Und dazu gehört das Rumspielen mit Datenbanken und Textverarbeitungen genauso wie das Lesen von Schreibbüchern und der Austausch mit anderen Schreiberlingen. IMVVVHO.

  • Meiner Erfahrung nach kann solch ein Buch nur einen Einstieg in die Problematik bieten -- mehr nicht.


    Schreiben lernt man m.A.n. durchs Lesen, und zwar durchs bewußte Lesen. Indem man sich die Bücher, die einem gefallen haben, die einem etwas gegeben haben oder die einen wirklich berührt haben, ein weiteres Mal liest, wobei man dabei das Augenmerk darauf legt, wie der Autor das gemacht hat.
    Das macht man bei vielen Büchern, dann vergleicht man die unterschiedlichen "Stimmen", Erzählweisen, Stile usw. der verschiedenen Lehrmeister. Man tritt mit ihnen in einen Dialog ein, übernimmt "virtuell" deren Position in einem Diskurs mit sich selbst. Das bringt einen ungemein schnell weiter.


    Okay, es "verdirbt" einen als Konsument fürs flotte Entertainment. Ein Dan Brown mit seinem restlos skelettierten Stil kann dann nur noch als Vorbild für schnell konsumierbare Überholspur-Thriller dienen, die man selbst schon nicht mehr lesen mag. :zwinker


    Fröhliche Grüße,
    Iris :sonne


    PS: Du meinst diese Dinger, gell:

    ASIN/ISBN: 3924491321
    ASIN/ISBN: 3897051281

  • Zitat

    Original von hpr
    Aber grade bei Dan Brown würde ich mir wünschen, dass der mal läse, was Frey zur Figurenentwicklung sagt. Vielleicht würden die Holzpuppen, die er für Personen hält, dann mal ein wenig Leben bekommen ;-).


    Hans Peter, es gibt ganz offenkundig eine ausreichende Anzahl an Lesern, die sich für die Charaktertiefe der Figuren einen feuchten Kehricht interessieren, solange sie nur am Nasenring der Cliffhanger durch eine schreiend unlogische, aber fetzige Handlung gezogen werden. :zwinker


    Bloß sollte man das nicht verabsolutieren, wie das verlagsseitig derzeit im Bereich "historischer Roman" betrieben wird, wo händeringend "Frauenbewährungsmythen" gesucht werden -- aber eben nix anderes mehr!


    Mal kommt so ein Reißer oder Schmachtfetzen an -- aber die Leute wollen eben nicht immer dieselbe lauwarme Brotsuppe!

  • Hallo Jo


    Ich finde Sol Stein hat in seinem Buch mit die lesenswertesten Dinge zum Thema Schreiben formuleiert, die ich kenne. Grade Kapitel wie: Actors Studio, Spannung, Schmelztiegel oder der heimliche Schnappschuß geben mehr Einblick in das, was neben der abstrakten Theorie einen Text interessant macht als manch anderer Schreibratgeber. Und Stein geht immer vom Charakter aus und nicht vom reinen Plot, was mir persönlich sehr gefällt.
    Über die Beispiele kann man sich streiten, aber kaum jemand liest so ein Buch wirklich kontinuierlich von A-Z, oder?
    Also: auf jeden Fall reinschauen und viel Neues rausfischen.
    Gruß
    Ingrid

  • Hallo ihr Lieben,


    zufälligerweise bin ich auch gerade dabei, Sol Steins Buch zu studieren. Ich habe es etwa zur Hälfte durch und es gibt mir viele Anregungen. Ich habe es vorher immer so wie Iris gehalten: lernen durch lesen. Aber jetzt habe ich das Gefühl, dass ich durch Stein bestimmte Teile in meinem Roman noch verbessern kann. Mein Gefühl. Es macht mir viel Spaß, Stein zu lesen und seine Ratschläge gleich anhand meiner Texte auszuprobieren und zu sehen, ob der Text besser oder flüssiger oder was auch immer wird.
    Natürlich sollte man das Buch nicht wie ein Dogma sehen.


    Viele liebe Grüße
    Olivia :write

  • Zitat

    Original von hpr
    Man kann sich über Harry Potter streiten, aber gegenüber "Illuminati" ist es ein Unterschied wie zwischen einem Hamburger im Stehen und einem Vier Sterne Menü.


    Da sagste was! Bloß daß einen der Rummel ganz kirre macht. Ich muß noch ein bißchen warten, bevor ich HP6 lese, bis die PR-Welle sich endlich totgelaufen hat. Man mag ja Amazon schon nicht mehr aufrufen!
    Aber mit dem Inhalt des Buches hat dieser Bohei ja nun wirklich nichts zu tun.


    Zitat

    Gilt auch für Tintenblut, den der Spiegel aus seiner Bestsellerliste verbannt hat. Obwohl ich ja wette, dass Harry Potter und Tintenblut von mindestens sovielen Erwachsenen wie Kindern gelesen wird.


    Muß ich dringend nachholen. Beide sind noch auf meinem SUB bzw. auf der Wunschliste.


    Liebe Grüße nach Freiburg!
    Iris :sonne
    Hach, in deine Gegend muß ich auch mal wieder ... Rumpsteak im Holzöfele in Ihringen ... ein Gedicht!

  • Schmeiß die Schreiblehrbücher weg! ... Das ist meine persönliche Ansicht!
    Mir haben sie im Grunde nichts gebracht. Eher Schreibblockaden.


    Brigitte Kronauer bekommt am 6. November 2005 den Büchnerpreis verliehen. Ihre Bücher verkörpern genau das Gegenteil von dem was Sol Stein predigt.


    Die "amerikanischen" Anleitungen nach dem Motto "wie schreibe ich ein Buch" sind vielleicht etwas für "leichte Literatur", die leserfreundlich geschrieben sein soll (nach Sol Stein muss das erste Ereignis (z.B. ein Mord) auf den ersten sechs Buchseiten erfolgen). Auch halte ich z.B. nicht mehr viel über Tabellen für Charaktere: manche Punkte: "was hatten die Eltern für einen Beruf" machen oft keinen Sinn. Das ganze erinnert mehr an einen "Beichtspiegel".


    Du kannst aber auch Sol Stein lesen und das probieren, was der eigenen Vorgehensweise am ehesten entspricht.


    Beste Grüße
    Tasso

  • Zitat

    Original von Tasso9x
    Die "amerikanischen" Anleitungen nach dem Motto "wie schreibe ich ein Buch" sind vielleicht etwas für "leichte Literatur", die leserfreundlich geschrieben sein soll


    Einspruch, Euer Ehren: Frey z.B. taugt grad mal fürs Seichte, und solche Kost ist m.A.n. nicht "leserfreundlich", sondern trivial.


    Für den Bereich Trivialliteratur leisten solche Bücher sicherlich gute Dienste.
    Und was manche Hilfsmittel angeht, die als Gedächtnisstützen vorgeschlagen werden, weiß ich aus der Literaturwissenschaft, daß sie auch von Klassikern verwendet wurden. Thomas Mann führte regelrecht Buch über seine Figuren.


    Als Hilfsmittel bewähren sich derlei Maßnahmen, vom vielfach beschworenen absoluten Vorrang des Handwerks halte ich nichts.
    Richtig ist wohl, daß ein talentloser Mensch, der Geschichten erzählen will, es mit einer Ausbildung in Erzähltechniken bis zum durchschnittlichen Entertainer bringen kann, ein hochtalentierter, der den technischen Aspekt es Erzählens verschmäht, ein dilettantischer Stümper mit gelegentlichen Geistesblitzen bleiben wird. Die Begabung bezeichnet die erste Stelle der Zahl, die Menge der Sekundärtugenden, mit denen man das Talent ausbildet, formt und fördert, die Nullen dahinter bos zum Komma (links davon!).


    Allerdings reicht es nicht, sich auf die Schreibgurus aus den USA zu verlassen. Da Literatur immer Auseinandersetzung mit sich selbst und ihren eigenen Traditionen ist, bleiben diejenigen, die vor allem schreiben und wenig oder gar nicht lesen, letztendlich Dilettanten. ;)